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Philip Marlowe der Berge: Eine Szene aus „Jäger“.

© Schreiber & Leser

„Jäger“ von Jiro Taniguchi: Hartgekochter Hundedetektiv

In einem seiner Spätwerke adaptiert Jiro Taniguchi die Geschichten eines Mannes, der entführte Hunde wiederfindet. Eine merkwürdige Mischung, die funktioniert.

Japan in den späten 80ern. Taku Ryumon lebt mit seinem treuen Wolfshund Joe in einem abgelegenen Stück Bergwald, das der Jäger von seinem Großvater geerbt hat. Außerdem arbeitet der bodenständige, altmodische Ryumon als hartgekochter Hundedetektiv und sucht verschwundene oder gestohlene Jagdhunde – das heißt, wenn er und Joe nicht gerade die kriminellen Schläger in Schach halten, die ihnen von gierigen Immobilienfirmen auf den Hals gehetzt werden, die Ryumons Land bebauen wollen.

Aber Gauner ist nicht gleich Gauner. Als eine schöne Frau aus den Reihen der japanischen Mafia Ryumon bittet, den allem Anschein nach entführten Blindenhund eines verzweifelten jungen Mädchens aufzuspüren, macht sich der „Philip Marlowe der Berge“ trotz seiner Abneigung gegenüber dem organisierten Verbrechen auf die Suche nach dem gekidnappten Vierbeiner …

Man muss nicht groß drum herum reden, Jiro Taniguchi hin oder her: Die Prämisse von „Jäger“, dessen Kapitel ursprünglich im Manga-Magazin „Business Jump“ serialisiert wurden, ist ziemlich seltsam. Man mag sogar soweit gehen und sie als lächerlich bezeichnen. Ein japanischer Hardboiled-Hundedetektiv in den Bergen, der gestohlenen Jagdhunden nachspürt und sich Tricks ausdenkt, wie man sie zu ihren ursprünglichen Besitzern zurücklockt, die mit der Flinte durchs Unterholz streifen? Und der dann noch mit der Mafia zu schaffen hat? Also bitte.

Das Können des 2017 verstorbenen Manga-Meisters zeigt sich jedoch umso mehr darin, dass die merkwürdige Mischung seines Comics am Ende bestens funktioniert. Egal wie berechenbar das tierische Klischee oder die Pathos, egal wie stereotyp die Charaktere, egal wie absonderlich die Handlung und ihre Elemente: als Leser lässt man sich voll darauf ein, werden einem die Geschichte und ihre Figuren schnell wichtig, und hat man alles in allem einen Mordsspaß mit den Fällen und Abenteuern von Ryumon und Joe.

Eine Kreuzung in Taniguchis Schaffen

Darüber hinaus kann man „Jäger: Witterung aufnehmen“, den ersten von insgesamt zwei Bänden, als eine Kreuzung zwischen Taniguchis Schaffensperioden betrachten. Schließlich deckt dieser recht späte Taniguchi alles ab: Seine nach dem Jahrtausendwechsel vom westlichen Feuilleton gefeierten Wanderungen durch das moderne Japan wie in „Der spazierende Mann“; seine Betrachtungen des zeitlos-archaischen Verhältnisses von Mensch und Natur wie in „Wanderer im Eis“; seine Faszination für die Beziehung zwischen Mensch und Hund, die neben dem „Wanderer“ obendrein „Träume vom Glück“ durchzog; sein reißerisches Genre-Frühwerk in der Tradition des klassischen Hollywood-Actionkinos wie etwa „Enemigo“; seine Vorliebe für amerikanisch geprägte Hardboiled-Detektive, die sich u. a. schon in der Krimi-Hommage „Trouble Is My Business“ manifestierte; und sein Faible für Romanadaptionen wie das vielgerühmte Bergsteiger-Epos „Gipfel der Götter“ oder die zarte Romanze und Gesellschaftsstudie „Der Himmel ist blau, die Erde weiß“.

Merkwürdige Mischung: Eine weitere Szene aus „Jäger“.
Merkwürdige Mischung: Eine weitere Szene aus „Jäger“.

© Schreiber & Leser

Taku Ryumons Fälle basieren nämlich ebenfalls auf einem Roman sowie mehreren Kurzgeschichten des japanischen Schriftstellers Itsura Inami (1931–1994). Taniguchi wollte lange eine Adaption des ungewöhnlichen Stoffes in Angriff nehmen, doch erst 2011 klappte es, und der Manga-Könner konnte die Ideen aus den Büchern in seinen Comic-Happen umsetzen. Den Kontrast zwischen Natur und Stadt fing er dabei in gewohnt klaren, realistischen Bildern ein, wofür Taniguchi einmal mehr auf leichte Grautöne setzt und auf sattes Schwarz verzichtet.

Lesenswertes Spätwerk

„Jäger“ erscheint thematisch als eines dieser reißerischen und durchaus mitreißenden, aber auch reichlich merkwürdigen und grellen Taniguchi-Frühwerke im bunt belaubten Genre-Wald. Die handwerklich stilsichere Inszenierung der Geschichte und – wieder einmal – der Natur machen den nur auf den ersten Blick unausgewogenen Manga allerdings zu einem allemal lesenswerten Taniguchi-Spätwerk. Es ist, als vereinte „Jäger“ alles aus Jiro Taniguchis Karriere-Halbzeiten in einem einzigen starken Manga, der eigentlich gar nicht funktionieren dürfte.

Die Fälle in „Witterung aufnehmen“ sind abgeschlossen. Für März 2019 ist mit „Auf der Pirsch“ der zweite, finale Band von „Jäger“ angekündigt.

Jiro Taniguchi: Jäger, Band 1: Witterung aufnehmen, Schreiber & Leser, 232 Seiten, 16,95 Euro

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