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Jagdgesellschaft: Eine Szene aus „Hit-Girl in Kanada“.

© Panini

„Hit-Girl in Kanada“: Kanadische Kargheit

In der Serie „Hit-Girl“ verschlug es die Protagonistin jüngst nach Kanada. Die Reihe zeigt, dass manchmal weniger mehr ist, erkennt Comiczeichner Bela Sobottke.

Mindy McCready sitzt in voller Hit-Girl-Montur in einer Schneelandschaft und fängt, ganz das zwölfjährige Mädchen, ein paar Schneeflocken mit der Zunge auf. Ihr rechter Fuß steckt zwischen den eisernen Zähnen einer gigantischen Bärenfalle und vor ihr liegt ein toter Gangster, dessen Hirn den Schnee blutrot färbt.

So beginnt der Comicband „Hit-Girl in Kanada“, der die vier Hefte der amerikanischen Originalveröffentlichung zusammenfasst. Mark Millar, Erfinder der aus diversen Comics und zwei Kinofilmen bekannten Figuren Kick-Ass und Hit-Girl, baut sein Werk zurzeit in alle Richtungen aus und schickt seine minderjährige Superheldin auf Weltreise.

Wichtiger Teil des Konzepts ist die gute Idee, jede Station von einem anderen Autoren-Zeichner-Gespann umsetzen zu lassen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, aber Langeweile kommt durch die Abwechslung nicht so schnell auf.

Im Krieg gegen ein kanadisches Gangsterkartell

Diesmal verschlägt es die psychotische Killer-Göre nach Kanada, und da passt es natürlich, dass der Kanadier Jeff Lemire, der momentan für sein Serien-Universum „Black Hammer“ gefeiert wird, die Geschichte erdacht hat. Bei all der Begeisterung über Lemires Worldbuilding gerät leicht in Vergessenheit, dass er auch ab und zu bereits bestehende Charaktere neu interpretiert. So sind in der Vergangenheit einige bemerkenswerte Comics entstanden, zum Beispiel der grandiose „Frankenstein, Agent of S.H.A.D.E“ mit Zeichner Alberto Ponticelli, für den die klassischen „Creature Commandos“ von DC Comics Pate standen.

Hier drückt Lemire also Hit-Girl seinen Stempel auf. Hit-Girl zieht in den Krieg gegen ein kanadisches Gangsterkartell, das ihre Heimatstadt New York mit Drogen überschwemmt. In der schneebedeckten Natur Kanadas kommt es schließlich zur blutigen Konfrontation zwischen Mädchen und Gangstern.

Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ hält Lemire die Handlung bewusst einfach und lässt viel Raum für die zeichnerische Umsetzung, die hier dem Argentinier Eduardo Risso obliegt. Risso hat sich einen Namen gemacht als Illustrator von wenig zimperlichen Comics wie den Gangstergeschichten „100 Bullets“ und „Brother Lono“, dem tollen Werwolf-Mafia-Crossover „Moonshine“ oder der überharten Torpedo-Fortsetzung „Torpedo 1972“. Diese Aufzählung legt bereits nahe, dass er kein Problem mit der deftigen Gangart von Hit-Girl hat.

Das Titelbild des besprochenen Sammelbandes.
Das Titelbild des besprochenen Sammelbandes.

© Panini

Im Laufe meines Comiczeichner-Lebens habe ich viele Zeichner genau studiert. Und manche noch genauer als andere, so diejenigen, die besonders souverän auf der Klaviatur des Schwarz-Weiß-Kontrasts spielen: Frank Miller, Mike Mignola, Kelley Jones ... und Eduardo Risso. Bei ihm wechseln sich Seen aus schwarzer Tusche und großzügige Weißräume mit fein ausgearbeiteten Details ab. Sein Stil passt perfekt zu den Schneelandschaften, in denen Lemire die Story angesiedelt hat. Risso kontrastiert auf meisterliche Weise die Schönheit der kargen kanadischen Landschaft mit seinem perfekt choreografierten Gewaltballett.

Hier ist das „Wie“ wichtiger als das „Was“

Lemires Timing und Rissos Inszenierung werden bei „Hit-Girl in Kanada“ von keinem komplexen Handlungsaufbau zerfasert. Ein zwölfjähriges Mädchen, Schnee und jede Menge Gangster: Das ist nicht nur die Essenz von Hit-Girl, sondern die ins Extrem übersteigerte Essenz einer jeden Geschichte. Sagte nicht schon Jean-Luc Godard, dass für eine gute Geschichte eine Waffe und ein Mädchen genügen? Hier ist das „Wie“ wichtiger als das „Was“, und da alles schon einmal erzählt wurde, möchte ich diese Strategie eigentlich jedem Comicschaffenden ans Herz legen.

Hit-Girl, wie sie unser Autor sieht.
Hit-Girl, wie sie unser Autor sieht.

© Illustration: Bela Sobottke

Aufgrund der archetypischen Handlung können sich Autor und Zeichner komplett auf die effektive Umsetzung konzentrieren. Das ergibt eine elementare Wucht, die sich übrigens für Leser, die nicht mit dem Kick-Ass-Universum vertraut sind, noch besser entfaltet als für Wissende. Warum bewegt sich ein zwölfjähriges Mädchen so selbstverständlich zwischen abgebrühten Gangstern? Was war das für eine Beziehung zwischen Hit-Girl und Big Daddy, der sie zur Killerin erzog? Diese offenen Fragen lassen Raum für Interpretation und faszinieren mehr als ausformulierte Antworten.

Nach dem fulminanten Abstecher nach Kanada, der auf absehbare Zeit die Messlatte für die Qualität weiterer Hit-Girl-Geschichten sein wird, darf man gespannt sein, was die nächsten Stationen der Weltreise sein werden. Gerade startete in den USA die vierteilige Geschichte „Hit-Girl in Hollywood“, passenderweise geschrieben von Regisseur Kevin Smith. Und wer weiß? Vielleicht verschlägt es Hit Girl ja auch irgendwann mal nach Berlin ...

Jeff Lemire und Eduardo Risso: Hit-Girl in Kanada, Panini, 100 Seiten, 12,99 Euro.

Unser Autor Bela Sobottke ist Grafiker und Comiczeichner und lebt in Berlin. Er ist auf deftige Genre-Comics spezialisiert wie „Keiner killt so schön wie Rocco“ oder seine demnächst erscheinende Kurzgeschichte „Blutmond 3000“.

Bela Sobottke

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