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Stille als Hilfsmittel der Personencharakterisierung: Eine Seite aus „Kramer“.

© Zwerchfell

Hexenverfolgung: Kramer gegen Kramer

Das Ringen mit dem eigenen Ich kennt oft keinen Gewinner – in Natalie Ostermaiers Comic über einen Inquisitor hadert aber nicht nur der Hexenjäger mit sich selbst.

Der Faltenwurf, der 2011 in Natalie Ostermaiers Kurzcomic „Jim“ bildbestimmend den erotischen Tanz zwischen Mensch und Biest definiert, findet sich ebenfalls in anderen Arbeiten Ostermaiers wieder, die nicht als Comics deklariert sind: So in „Desirelines“, mit Buntstift angelegten Studien über die Verschmelzung von Textil und Physis, oder in den „Schleier“ betitelten Fotografien der Künstlerin, die eine Nähe zum Fetisch zumindest erahnen lassen.

Eine ähnlich drastische Triebhaftigkeit wie in „Jim“ bestimmt das Nachfolgewerk von 2012, „Fressen und gefressen werden“, in dem die Protagonistin die Penetration durch den Saugrüssel einer Fliege herbeifantasiert, sich anschließend ihrer in Überdrüssigkeit und Selbsthass entledigt, um sie letztendlich zu verspeisen – eine feministische Umdeutung des Renfield-Syndroms, in der der ehedem so indifferente Gehilfe Draculas zur Selbstbestimmung findet.

 Blut und Buttermilch

Im Langformdebüt „Kramer“ bietet Ostermaier nun einige Einblicke in das Seelenleben Heinrich Kramers, dessen „Hexenhammer“-Schrift die mittelalterliche Hexenverfolgung mit legitimierte. Auch hier scheut Ostermaier explizite Darstellungen von Sex und Gewalt nicht: Das getuschte Artwork zeigt Kramers unterdrückte Triebe in anmutig-düsterer Plastizität und erinnert oft an Schabkarton-Grafik – eine Technik, die Ostermaier vom Kratzen von Kunstwerken in Buttermilch nicht gänzlich unvertraut ist.

Sonstige Motivationen des berüchtigten „Hexenhammer“-Verfassers bleiben jedoch leider im allumfassenden Dunkel. „Kramer“ wirkt in seinem Anspruch, eine längere Comicerzählung zu sein, als hätte eine Form bedient werden sollen, die Ostermaier gar nicht ausfüllen mag.

Hexen bis aufs Blut gequält: Der Exploitation-Film der 1970er Jahre lässt grüßen.
Hexen bis aufs Blut gequält: Der Exploitation-Film der 1970er Jahre lässt grüßen.

© Zwerchfell

So dient die detailliert dargestellte hochnotpeinliche Befragung einer vermeintlichen Hexe mehr der ausführlichen Darstellung von sadomasochistischen Praktiken, als dass sie Einblicke in eine durch Frauenhass geschundene Seele gewährt. Dadurch wird leider einiges der hier möglichen Darstellbarkeit an Horror verschenkt – vieles wirkt mehr wie ein zugegebenermaßen perfektioniertes SM-Artbook für Fetischisten als eine Ergründung der Ursachen und Mechanismen von Folter. Aber gut, den Exploitation-Fan mag es freuen, Filme wie „Hexen bis aufs Blut gequält“ verfügen bekanntlich über eine treue Fanschar.

 Potenzielles Stillleben

Ostermaiers durchaus vorhandenes Geschick zur subtilen Charakterinszenierung wird deutlich in einigen Sequenzen, in denen sie nicht viele Worte macht und sich, ganz wie in den wesentlich geschlossener wirkenden und vorangegangenen kürzeren Werken, auf ihre Bildsprache verlässt. Und das muss beileibe nicht die offensichtlich von ihr bevorzugten Themenkreise beinhalten, so gibt es eine Doppelseite mit Dorfimpressionen, die eine große Ruhe vermitteln, sehr stimmig gehalten sind und anhand der hier veranschaulichten subjektiven Perspektive Kramers sogar ein wenig von der Persönlichkeit der Titelfigur preisgeben.

Das Potenzial ist also da.

Natalie Ostermaier: Kramer, Zwerchfell Verlag, 192 Seiten, 20 Euro

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Zwerchfell

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