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Neuinszenierung: Flix' Geschichte um den Kampf des Alonso Quijano gegen die Windmühlen erschien zuerst als Zeitungscomic in der FAZ.

© Flix/FAZ

Graphic Novel: Wutbürger Don Quijote

Sieg der Fantasie: Nach Goethes „Faust“ hat Felix Görmann alias Flix jetzt Cervantes’ Literaturklassiker in die Moderne übertragen.

Nur wenige Werke der Weltliteratur haben einen ähnlichen Einfluss wie Miguel de Cervantes „Don Quijote de la Mancha“. Mit seiner Parodie auf die fantasiereichen Ritterelogen seiner Zeit begründete Cervantes nicht nur die Gattung Roman, sondern warf in bis dato einzigartiger Weise die Frage nach der Grenze zwischen Realität und Traum auf.

Macht nichts, wird sich Felix Görmann alias Flix gedacht haben, als er nach dem Erfolg seiner Faust-Neuinszenierung auf die Idee kam, für Cervantes Mittelalterroman eine neuzeitliche Geschichte zu ersinnen. Das Ergebnis seines freien Assoziierens im Umgang mit der literarischen Vorlage ist grandios komisch, verblüffend berührend und bemerkenswert aktuell.

Natürlich hat der Berliner Zeichner nicht die gesamten Abenteuer des Don Quijote in einen Comic übertragen. Er hatte sich die bekannteste Episode aus dem ersten Teil, den Kampf gegen die Windmühlen, herausgegriffen und sie für die FAZ in zeitgemäße Comicstrips übersetzt. Diese Strips liegen nun geringfügig überarbeitet und um wenige Seiten ergänzt als Comic vor.

Der Held seines Comics, der an Demenz erkrankte Senior Alonso Quijano, ist einer der letzten Bewohner des mecklenburgischen Dörfchens Tobosow. Als Mahner und Warner will er sein Dorf vor dem kulturellen Verfall der Moderne schützen, der mit Comicstrips und Windrädern Einzug erhält. „Rechtzeitig erkannter Feind ist halb besiegt“, lautet das Motto dieses ebenso schrulligen wie sympathischen Alten. In seinem todesmutigen Kampf gegen die „Verspargelung“ der schönen Heimat wird der Wutbürger Alonso Quijano von seinem Enkel Robin unterstützt, der sich in der Rolle des dunklen Ritters Batman wähnt.

Durch das Verschieben von Nuancen hält Flix in seiner Neuinterpretation die Erinnerung an den klassischen Don Quijote permanent wach. Cervantes’ personales Tableau ist unschwer wiederzuerkennen. Ob der füllige Getreue Sancho Panza, die nie gesehene Dulcinea von Toboso (ohne w) oder der Gaul aller Gäule Rosinante – sie alle erscheinen hier in gleicher Rolle, aber neuer Gestalt.

Auch das zentrale Motiv des Originals, die Erkundung der unsichtbaren Grenze zwischen Fantasie und Realität, zwischen Einbildung und Wirklichkeit, Wunschtraum und Ernstfall, wird bei Flix zum tragenden Element. Die geistige Verwirrung Quijanos sowie die kindliche Fantasie seines Enkels führen dazu, dass beide die Wirklichkeit nur verzerrt wahrnehmen – als permanente Bewährungsprobe im ritterlichen Kampf Gut gegen Böse. Sie assoziieren ihre Erlebnisse mit dem längst erloschenen Rittertum und ziehen mit zu Lanzen imaginierten Regenschirmen in die Schlacht gegen die Windräder-Riesen.

Flix lässt seine Leser an dieser Verzerrung der Wirklichkeit teilnehmen, indem seine Zeichnungen selbst permanent zwischen Einbildung und Wirklichkeit wechseln. Sitzt Quijano eben noch auf seinem klapprigen Drahtesel, galoppiert er im nächsten Bildkasten schon auf einem Pferd. Hat er eben noch einen Schirm in der Hand, führt er im darauf folgenden Moment eine Lanze und wenig später einen Säbel.

Zwischen Fantasie und Realität: Die beiden Hauptfiguren auf dem Buchcover.
Zwischen Fantasie und Realität: Die beiden Hauptfiguren auf dem Buchcover.

© Carlsen

Sogar vom Aspekt der Zeitkritik im Original hat sich Flix inspirieren lassen. Hatte Cervantes in seinem Roman immer wieder auf die Probleme der Nachfahren getaufter Juden in der spanischen Gesellschaft angespielt, spielt Flix immer wieder auf den wenig sensiblen Umgang mit Kindern und Alten in unserer durchrationalisierten Welt an. Bis zum Schluss lässt er offen, ob der alte Quijano und sein durchgeknallter Enkel Robin Witzfiguren oder nicht doch einfach nur Idealisten mit einer ordentlichen Portion Fantasie sind.

Auf der Suche nach einer Auflösung könnte man sich an den Sänger Max Prosa halten und behaupten: „Die Fantasie wird siegen“. Oder aber an Robin, der diese Parodie auf unsere Zeit mit einer Frage schließt: „Bist Du bereit für ein Abenteuer?“ Wenn Du das bist, verehrter Leser, dann lass Dich von diesem famosen Schelmencomic über jenen neuzeitlichen Ritter, der „einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Windhund zum Jagen“ hat, in eine Welt entführen, die du so noch nie gesehen hast.

Flix: Don Quijote, Carlsen-Verlag 2012, 134 Seiten 16,90 Euro

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