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Erdiger Grundton: Eine Seite aus dem Buch.

© Carlsen

Graphic Novel: Liebe, Tod und Taliban

Arne Jyschs Polit-Thriller „Wave and Smile“ ist der wohl meistdiskutierte Comic des Jahres - zu Recht.

Von Michael Schmidt

Stell dir vor, es ist Krieg, und die Graphic Novel bildet ihn ab. Mit seinen Widersprüchen, Grausamkeiten, großen Verlusten und kleinen Heldentaten. Arne Jysch hat es getan. Der Berliner Zeichner und Autor hat sich mit Verve auf die verstörende Realität des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan gestürzt. Das Ergebnis ist der erste Comic, der den Bundeswehreinsatz  am Hindukusch in den Fokus rückt. Er heißt „Wave and Smile“ und hat erzählerisch wie zeichnerisch einen beeindruckenden Drive. Mit „Winken und Lächeln“ (so lautete die Strategie der Patrouillen zu Beginn des Einsatzes) war es am Hindukusch nämlich spätestens 2006 vorbei. Was den 1973 in Bremen geborenen, seit geraumer Zeit in Berlin lebenden und arbeitenden Jysch interessiert, ist die Zeit danach, als es mit dem Brunnenbau schwierig wird und deutsche Soldaten sich unversehens in einem Krieg wiederfinden, der, weil das in der postheroischen Bundesrepublik politisch nicht gewollt war, lange so nicht heißen durfte.

„Wie soll man da seinen Auftrag ausführen?“

Afghanistan, Provinz Kundus 2009, zwei Einheimische sitzen im braunbeigen Staub und Sand der gebirgigen afghanischen Wüste, die der Graphic Novel ihren erdig-trockenen Grundton gibt, neben einem Panzerwrack, im Tal eine deutsche Militärpatrouille: „Unglaublich grün hier dieser Sommer“, sagt Hauptmann Chris Menger, „nicht wie 2006“.  Doch der Schein trügt. Nur eine Seite später, vier Bildsequenzen weiter, gerät der kleine Soldatentrupp in einen Hinterhalt, ein Fahrzeug – KRAWOMM - explodiert unter Raketenbeschuss, drei Kameraden sterben, fünf werden schwer verletzt. Menger schreibt, drei gerahmte Bilder mit Trauerflor an der Wand über seinem Schreibtisch, seinen Einsatzbericht. Seine Gedanken werden sehr grundsätzlich: „Wie soll man da noch seinen Auftrag ausführen? Wir schaffen es ja nicht mal uns selbst zu beschützen. Das ist ein Scheißkrieg hier, aber das will ja keiner wahrhaben…“

So beginnt der knapp 200-Seiten-Band. Man ahnt: „Wave and Smile“ ist genau recherchiert.  Jysch hat mit vielen Leuten gesprochen, viel gelesen. Seine mit Bleistift gezeichnete und dann aquarellierte Geschichte um Menger, die Fotografin Anna und den Hauptfeldwebel Marco sei von realen Figuren inspiriert, sagt Jysch, und sie spiele in einer „Art erfundenem Afghanistan auf der Basis der Realität, um möglichst viele Konflikte und Widersprüche der Situation in meiner Erzählung unterzubringen“. Und man sieht: Die Geschichte ist rasant erzählt, auf den Punkt, ungeschönt. Jysch fächert Perspektiven, Sichtweisen, Standpunkte auf, benennt Haltungen, Meinungen, ohne sie sich zu eigen zu machen, spricht Soldatensprech, ohne in Landserjargon zu verfallen, jedenfalls ohne es dabei zu belassen, lässt allen Seiten ihr Recht.

Wem kann man überhaupt noch vertrauen?

Das Ganze ist geradezu filmisch ins Bild gesetzt: berührend, bewegend, bezwingend. Und realitätsnah bis ins Detail, ob es um das Leben im Lager geht, wo man sich Osama-Bin-Laden-Witze erzählt und Fallschirm-Tequila in der „Lummerland-Bar“ trinkt, oder um die Enttäuschung der Afghanen, die in Ablehnung umschlägt und sich gegen jene wendet, die doch gekommen waren, um zu helfen, und die nun ihrerseits auf die „Ziegenficker“ schimpfen, weil sie nicht mehr wissen, wem man überhaupt noch vertrauen kann. Ungeschönt ist seine Erzählung da, wo es um  Politisches geht – „wie naiv waren wir. Wie die Friseure sind wir da reingestolpert“ - , oder Privat-Persönliches, wie die Entfremdung von Frau und Kindern, oder die fehlende Anerkennung daheim, wo Menger als Kindermörder beschimpft wird, austickt, zuschlägt – und in der Therapie landet.

Kriegsdrama: Das Cover von "Wave and Smile".
Kriegsdrama: Das Cover von "Wave and Smile".

© Carlsen

Jysch glänzt mit einem Händchen für spannende Plots und sicherem Gespür für das menschliche Moment; Kameradschaft (man muss sich nicht mögen, aber man hilft sich), Freundschaft und Verrat, Liebe, Tod und Taliban. Chris Menger kehrt schließlich nach einem Heimaturlaub zurück nach Afghanistan, um seinen vermissten Kameraden Marco allein und als Journalist einer linken Zeitung in Berlin getarnt aufzuspüren. Er reist nach Pakistan, trifft sich mit hochrangigen Warlords, gerät, als Dschihadist verdächtigt, in US-Gefangenschaft und – nein, mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel, aber das sollte nach dem Gesagten klar geworden sein: Die Lektüre lohnt sich. Arne Jysch ist mit seiner ersten Graphic Novel gleich ein großer Wurf gelungen.

Arne Jysch: Wave and Smile, Carlsen, 195 Seiten, 24,90 Euro.

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