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Familienbild in Pastell. Eine Doppelseite aus dem besprochenen Buch.

© Illustration: Prudhomme/Carlsen

Graphic Novel: Die rote Maria

Erst kürzlich sind von David Prudhomme und Pascal Rabaté erstmals Bände auf Deutsch erschienen. Jetzt dürfen sich deutsche Leser endlich an ihrem prämierten Gemeinschaftswerk „Die Plastik-Madonna“ erfreuen.

David Prudhomme und Pascal Rabaté teilen eine Vorliebe für einfache Leute. Prudhomme hat zuletzt mit seinem Musikerportrait „Rembetiko“ in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht, worin er das Leiden und den Selbstbehauptungswillen von geächteten Außenseitern unter der Diktatur darstellt. Rabaté erzählt in seinem wunderbaren Band „Bäche und Flüsse“ von den erotischen Erkundungstouren eines Rentners in der Provinz. In „Die Plastik-Madonna“ setzt nun David Prudhomme eine von Rabaté geschriebene Kleinbürger-Satire um, bei der eine blutende Devotionalie sich gegen eine Lenin-Ikone behauptet.

Während Rabaté seinen Protagonisten in „Bäche und Flüsse“ beinahe traumwandlerisch sicher zu seinem späten Lebensglück finden lässt, entwirft er in seiner im selben Zeitraum entstandenen Plastik-Madonna das Gegenprogramm: ein Ehepaar, das zum Leiden aller seine über die Jahrzehnte angewachsene, stets gereizte Feindseligkeit unter dem Dach seiner Kinder und Enkel austrägt.

Die Hölle, das sind die Großeltern

Édouard sieht es schon lange nicht mehr ein, seine Frau Émilie vom Bahnhof abzuholen, wenn sie von einer ihrer Wallfahrten zurückkehrt. Da werkelt er lieber weiter in seinem Schuppen und kümmert sich nicht um die unvermeidbare Szene, die er heraufbeschwört. Sein Langmut hört allerdings auf, sobald Émilie bei der Familienzusammenkunft mit Pomp eine Marienfigur auf dem Fernseher hinsetzt. Der aufrechte Kommunist Édouard lässt den lauten Worten Taten folgen und hängt einen Lenin darüber auf. Der Frieden im Hause Garnier ist sogar schon empfindlich gestört, bevor Maria vor dem Lenin im Hintergrund anfängt, Blut zu weinen.

Die Garniers bilden eine französische Familie, in der die Tagesabläufe und Rollenmuster ein für alle Mal festgelegt sind: Die Männer beginnen mit einem kleinen Aperitif, während die Frauen die Küchenangelegenheiten besorgen, man raucht im Garten, neckt sich auf eine immergleiche Weise und erhält stets dieselben Antworten. Zwar lässt das vermeintliche Wunder der weinenden Madonna die Situation eskalieren, so dass diese vorherbestimmte Harmonie aus den Fugen zu geraten droht. Doch sobald jemand wirklich von der Bühne des familiären Theaters herunterzufallen scheint, rauft man sich eben wieder so zusammen, dass alles beim Alten bleibt.

Ein Riss im Farbenparadies

Die Plastik-Madonna zeigt, welch eine Bandbreite David Prudhomme als Zeichner ausmacht. Seine satirischen Bilder sind flächiger und wesentlich weniger kontrastreich als seine Zeichnungen in Rembetiko, wo er mit feinen Linien die Gesichtszüge und die Mimik seiner Figuren konturierte. Doch in der Plastik-Madonna reichen seine cartoonartigen Striche aus, um in jedem einzelnen Panel die Schrullen der Familienmitglieder zu pointieren.

Wenn sich ein Schrein aus quietschbunten Legosteinen zwischen die rosarote Madonna in der hellblauen Plastikschüssel und den rotschwarzen Lenin schiebt, bricht die pastellig-harmonisierte Welt der Garniers endgültig auch farblich völlig zusammen. Vorher verschmolz die Großmutter noch wie ein Monument mit ihrer Umgebung, als sie neben ihrer Plastikpassion posierte: Die Farbe der Strümpfe entsprach der des Fernsehtischchens, ebenso verhielt es sich mit ihrem Rock und dem Bildschirm, der Bluse und der Wand, dem rosa Gesicht und der Madonna und schließlich dem bläulich melierten Haar und dem Heiligenhütchen.

Rabaté sagte über seinen Zeichner: „David weiß diese Poesie des Augenblicks hervorzuzaubern, das bestimmte Detail, das einfach richtig erscheint.“ Genau deshalb war Die Plastik-Madonna 2008 in Angoulême beim wichtigsten Comic-Festival Europas als „Essentiel“ prämiert worden: als herausragender Beitrag auf dem Comic-Markt. Das Szenario und die Zeichnungen gehen bei der liebevollen Milieustudie so innig Hand in Hand, dass wir nur auf eine weitere Zusammenarbeit der beiden hoffen dürfen.

David Prudhomme und Pascal Rabaté: Die Plastik-Madonna, Carlsen, 128 Seiten, 18,90 Euro, mehr unter diesem Link.

Ein Interview mit David Prudhomme über seine Arbeit an „Rembetiko“ steht unter diesem Link.

Weiter Artikel unseres Autors Waldemar Kesler stehen unter diesem Link.

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