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Gezeichnetes Roadmovie. Ein Ausschnitt aus „Die Reise mit Bill“.

© Illustration: Schultheiss/Splitter

Graphic Novel: Aus der Zeit gefallen

Einst war er der Star der deutschen Comicszene, dann wurde es stiller um ihn. Nun meldet sich Matthias Schultheiss mit der epischen Erzählung „Die Reise mit Bill“ zurück - ein Balanceakt.

Vor gut 25 Jahren war Matthias Schultheiss der Comic-Export aus Deutschland. Damals wurde noch nicht von Graphic Novels gesprochen, und so orientierte sich Schultheiss an französischen Comic-Romanen und veröffentlichte Albenzyklen über Menschenversuche („Die Wahrheit über Shelby“) oder moderne Piraterie („Die Haie von Lagos“), die vor allem international äußerst erfolgreich waren. 1992 gab es mit Matthias Schultheiss als Zugpferd eine große Ausstellung in Angoulême, die den neuen deutschen Comic porträtierte. Es war der Höhepunkt einer Generation deutscher Zeichner, die den Comic-Roman entdeckt hatte und ernsthafte Geschichten in Albenform erzählen wollte.

Zu jenem Zeitpunkt war Schultheiss schon weiter gezogen und veröffentlichte in Amerika seine Arbeiten. Danach wurde es zunehmend ruhiger um den Zeichner, der für den Film zu arbeiten begann.

Nun liegt nach langer Abstinenz sein neues Werk im Splitter-Verlag vor. „Die Reise mit Bill“ erzählt auf knapp 300 Seiten die Geschichte eines Vaters und seiner Tochter, die ziellos durch Amerika reisen und auf den Kriegsveteranen Bill treffen. Der Beinamputierte sucht einen Schamanen, der ihm seine Beine wiedergeben kann.

Comeback. Vor kurzem präsentierte Schultheiss sein neues Werk auf dem Comicsalon Erlangen.
Comeback. Vor kurzem präsentierte Schultheiss sein neues Werk auf dem Comicsalon Erlangen.

© Lars von Törne

So geht die Reise durch die Sümpfe der Südstaaten, durch magische Hotels bis nach Labrador, zu einem mystisch aufgeladenen Finale, wo Bill die Hilfe eines Inuit in Anspruch nimmt. Es geht um flüchtige Begegnungen, um Selbstfindung, um Schuld und Sühne, an den Glauben an das Übernatürliche und um viel Emotion.

Die Bilder von Schultheiss sind nach wie vor atmosphärisch und kraftvoll. Er fängt auf ihnen die flimmernde Ödnis entlang der amerikanischen Highways ein, die schwüle Atmosphäre der Südstaaten oder die Stille des Meeres. Souverän spielt der Zeichner mit dem Seitenlayout, welches er ganz in den Dienst der Erzählung stellt.

Inhaltlich schwankt der Band jedoch zwischen launigem Road-Movie und empathischer Selbstfindung, wobei Schultheiss den Balanceakt zwischen Wirklichkeit und Traum wagt. Auch die in Textpassagen eingeschobene Prosa atmet den Befindlichkeits-Gestus der 1980er-Jahre.

Flüchtige Begegnungen, Selbstfindung, Schuld und Sühne. Das Covermotiv des Buches.
Flüchtige Begegnungen, Selbstfindung, Schuld und Sühne. Das Covermotiv des Buches.

© Splitter

Was Wunder, sprach Schultheiss schon 1986 in einem Interview von diesem Projekt, welches zum damaligen Zeitpunkt schon „halb fertig“ war und für den Zeichner zur Herzensangelegenheit wurde. Es sei eine Geschichte „mit ziemlich autobiografischen Bezügen“.

Würde man es nicht besser wissen, könnte man „Die Reise mit Bill“ daher tatsächlich für eine Neuauflage eines Bandes halten, der vor vielen Jahren erschienen ist. Denn Schultheiss’ Ballade wirkt wie aus der Zeit gefallen und mitten zwischen den modernen Graphic Novels gelandet zu sein – anachronistisch, entrückt und vertraut wie ein faszinierender erratischer Fremdkörper.

Matthias Schultheiss: Die Reise mit Bill, 284 Seiten, 29,80 Euro, Splitter-Verlag. Mehr unter diesem Link.

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