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Mit der Faust in der Tasche: Szene aus „Malgré Nous – Gegen unseren Willen“.

© Schott/Salleck

Geschichte im Comic: Die Liebe in Zeiten des Krieges

Weltkriegsthemen haben derzeit im frankobelgischen Comic Konjunktur - ein Genre zwischen Inflation und Facettenreichtum.

Nicht nur das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg sind immer wieder ein beliebtes Sujet im frankobelgischen Comic wie die laufende Serie „Unter dem Hakenkreuz“ (Schreiber & Leser) beweist. Auch der Erste Weltkrieg dient immer häufiger als Szenario. So hat sich der französische Comickünstler Jaques Tardi in „Elender Krieg“ (Edition Moderne) mit dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt. Im Eckart-Schott-Verlag erschienen im vergangenen Jahr alleine drei weitere Geschichtscomicserien, die sich jeweils mit einem der beiden Weltkriege beschäftigen.

Es stellt sich allmählich die Frage, ob man sich nicht langsam „satt“ erinnert hat? Reicht der vorhandene Bildervorrat nicht längst über alle Maßen aus? Oder vermitteln diese Alben tatsächlich noch interessante Details? Wenn man nun auf „Airborne 44“, „Malgré Nous – Gegen unseren Willen“ und „Mattéo“ blickt, dann gilt wohl Letzteres. Durch anschauliche Einzelschicksale und ausgewählte Aspekte aus den beiden großen Weltkriegen greifen diese Serien auf unbehandelte oder spezielle Elemente des Themas zurück.

Normalität inmitten der Kriegswirren

Der Auftaktband von „Airborne 44“ („Da, wo die Männer fallen…“) von Philippe Jarbinet spielt in den Ardennen 1944 und zeigt, wie sich inmitten der Kriegswirren so etwas wie Normalität einstellt: Der deutschstämmige GI Luther C. Jepsen wird verwundet und trifft, allein mit seinem Kameraden Landesadel, auf zwei jüdische Kinder. Sie alle finden Zuflucht auf dem Bauernhof von Gabrielle Osterlin. Das akribisch recherchierte Album verbindet zwar auch Elemente der Romanze mit Geschichtscomicgenre, behandelt darüber hinaus aber auch einen bisher vernachlässigten Aspekt des Zweiten Weltkrieges: den Ablauf von gewöhnlichen Tagen inmitten des Krieges.

Der Autor schrieb seine Geschichte mithilfe der fachmännischen Beratung von Philippe Gillain, dem Direktor des Musée Décembre 44, La Geize. Jedes Abzeichen, jede Uniform und jedes Fahrzeug wurde von Gillain kritisch beäugt. Jarbinets realistischer Strich mag in Punkto Mimik vielleicht manchmal ein bisschen hölzern wirken, aber ansonsten wirken die nuanciert kolorierten Zeichnungen nicht nur authentisch, sondern auch stimmungsvoll.

Identitätswahrung und enttäuschte Liebe

Im ersten Band von „Malgré Nous – Gegen unseren Willen“ („Elsass“) wird ebenfalls ein spezieller Aspekt des Zweiten Weltkriegs aufgegriffen. Der Autor Thierry Gloris und die Comic-Debütantin Marie Terray spielen bereits mit ihrem Serientitel auf die Elsässer und Lothringer an, die während der deutschen Besatzung des ehemals französischen Elsass und Lothringen gezwungenermaßen in die Deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS eingezogen wurden.

Hier wird das exemplarisch am zwanzigjährigen Idealisten Louis Fischer in impressionistischen Farben veranschaulicht, der zwischen Identitätswahrung und enttäuschter Liebe auch noch von der Realität des Krieges eingeholt wird. Oft scheinen die Farben direkt koloriert zu sein, Terrays realistischer Strich wirkt wie hauchdünn aufgetragen. Obwohl noch nicht alle Panels in gleicher Qualität überzeugen können, hat die Debütantin doch eine gelungene Atmosphäre schaffen können.

Fronteinsatz als Imponiergehabe

Jean-Pierre Gibrat widmet sich im ersten „Mattéo“-Band den Jahren 1914-1915. Der gleichnamige spanische Titelheld lebt mit seiner Mutter in Südfrankreich und meldet sich nur deshalb freiwillig für die Front, um seiner Herzensdame zu imponieren. Schnell wird er von der Kriegsrealität eingeholt. Die mit spitzer Feder geschriebene Erzählung steht im Gegensatz zu den anderen beiden Titeln ganz in der Tradition Tardis.

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Auf in den Kampf! In Gibrats Mattéo meldet sich der Protagonist freiwillig zum Kriegsdienst.

© Illustration: Gibrat/Salleck Publications/Eckart Schott Verlag

Zwischen schonungslosen Bildern und satirischem Erzähltext legt er die Atmosphäre im kriegsbegeisterten und ahnungslosen Volk bloß und veranschaulicht exemplarisch die Schrecken des Krieges. Gibrats kunstvoller Strich weist einen leicht karikierenden Einschlag auf, der herrlich zu satirischen Zwischentönen seiner Erzählung passt. Die detaillierten und realistischen Illustrationen begeistern zudem durch nuancenreiche Aquarellfarben.

Allen drei Alben ist auffällig gemein, dass sie wie „Unter dem Hakenkreuz“ Elemente der Romanze in ihr historisches Szenario aufnehmen. Lässt sich der Weltkrieg nur darstellen (oder verkaufen), wenn man auch romantische Aspekte berücksichtigt? Trotzdem geben alle drei Titel auf ihre Weise interessante Details zu den jeweiligen Weltkriegen auf unterhaltsame Weise preis.

Dabei unterscheiden sich Qualität der Zeichnungen und Grad der Recherche von Comic zu Comic. Den besten Spagat zwischen Unterhaltung und Erinnerung gelingt wohl Gibrat mit „Mattéo“, aber die anderen beiden Alben fallen da nicht weit ab. Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ja. Es ergibt also durchaus noch Sinn, weitere Weltkriegscomics zu lesen.

Philippe Jarbinet (Text & Zeichnungen): „Airborne 44“ Bd. 1: „Da, wo die Männer fallen…“, Salleck Publications/Eckart Schott Verlag, 48 Seiten, 12,90 Euro.
Thierry Gloris (Text) und Marie Terray (Zeichnungen): „Malgré Nous – Gegen unseren Willen“ Bd. 1: „Elsass“, Salleck Publications/Eckart Schott Verlag, 48 Seiten, 12,90 Euro.
Jean-Pierre Gibrat (Text und Zeichnungen): „Mattéo“ „Erster Teil (1914-1915)“, Salleck Publications/Eckart Schott Verlag, 64 Seiten,15 Euro. „Zweiter Teil (1917-1918)“, Salleck Publications/Eckart Schott Verlag, 80 Seiten,59 Euro.

Veranstaltungshinweis: Das Thema Krieg im Comic ist auch das Thema eines Festivals, das bis zum 26. März im Berliner Maxim-Gorki-Theater stattfindet - mehr dazu hier.

Und hier geht es zum Blog unseres Autors.

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