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Von Grosz, Schiele und Zille inspiriert: Eine Szene aus Andreas Eikenroths „Woyzeck“.

© Editin 52

Georg Büchners „Woyzeck“ als Comic: Vormoderner Verlierer

Andreas Eikenroth hat Georg Büchners „Woyzeck“ als Comic adaptiert. Das Ergebnis kann nur teilweise überzeugen.

Der Woyzeck, das ist schon eine ziemlich arme Sau. Der Stadtsoldat wird von seinem Hauptmann verspottet und mit kümmerlichem Sold entlohnt. Weil er Frau und (uneheliches) Kind ernähren muss, sucht er sich ein Zubrot mit medizinischen Experimenten – und wird auch vom Arzt schikaniert. Ohne dass er es verhindern kann, betrügt ihn sogar seine geliebte Marie.

Man könnte Mitleid mit diesem vormodernen Loser haben, wenn er nicht schlussendlich zum Messer greifen würde. Georg Büchners „Woyzeck“, obwohl Fragment geblieben, gehört zu den Klassikern der deutschen Literatur. Der Comickünstler und Illustrator Andreas Eikenroth („Die Schönheit des Scheiterns“) hat nun die erste Graphic-Novel aus einem Büchner-Stoff gemacht (Edition 52, 64 S., 15 €).

Um den Bühnencharakter zu wahren, entwickelte er die tragische Geschichte in großformatigen Panoramabildern. Die mit Lokalkolorit unterlegte Dialektsprache bereinigte der Zeichner nur um einige schwer verständliche Bemerkungen und wahrte so Büchners präzise Schau auf die Mäuler des Lumpenproletariats.

Interpretationshilfe für den Deutschgrundkurs

Einen künstlerischen Kniff erlaubte sich Eikenroth aber doch: Er versetzte die Handlung vom Anfang des 19. Jahrhunderts in eine „diffuse Weimarer Republik“. So kann der Zeichner sich an Vorbildern wie Grosz, Schiele und Zille abarbeiten. Nicht unklug auch aus einem anderen Grund. Denn diese von subtiler Unterdrückung des kleinen Mannes und komplizierten Machtverhältnissen geschüttelte Zeit ist uns seit der TV-Serie „Babylon Berlin“ wieder näher gerückt.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Edition 52

Glamourös oder von der Lust auf Welterfahrung geleitet wirkt in dieser Graphic Novel allerdings nichts. Eher sorgt der Umzug in Richtung Moderne dafür, dass der sozialkritische Sprengstoff, den Büchner in sein Arme-Leute-Drama einwebte, fast zu offensichtlich ist.

Die expressionistischen Settings, die von Leidenschaft, Gemeinheit und Argwohn geschüttelten Gesichter konturiert Eikenroth mit der manchmal gar sardonischen Lust eines Illustrators.

Schade ist, dass der Zeichner den Melancholie-Diskurs, der Büchners Werk durchzieht, stillschweigend wegdenkt und auch die satirischen Spitzen der Vorlage eher weniger einfließen lässt. So bleibt die Ikonographisierung einer den Zuständen ausgelieferten Opferfigur übrig. Eine schöne Interpretationshilfe für den Deutschgrundkurs. Aber leider auch nicht mehr.

Marc Vetter

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