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Fünf Jahre hat der Comiczeichner Mathieu Sapin immer wieder die Kinolegende Gérard Depardieu getroffen. Aus den Begegnungen ist eine lustig-berührende Graphic Novel entstanden, die von kreativem Trotz, Lebensfreude und Ruhm erzählt.

© Mathieu Sapin, Reprodukt Verlag Berlin

"Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“: „Der einzige Ort, wo ich gerne bin: Anderswo!“

Mathieu Sapin hat den Schauspieler Gérard Depardieu jahrelang auf Reisen und Terminen, privat und bei der Arbeit begleitet. Die entstandene anstrengend-berührende Biographic Novel berichtet von Lebensfreude und kreativem Trotz.

Von Carsten Werner

Eine Homestory mit dem wohl populärsten Franzosen, Kurzzeitmuslim und Wahlrussen, Steuerhinterzieher und Gourmet Gérard Depardieu erfordert einigen Aufwand – und vielleicht kann man sie auch nicht wirklich planen. Einkaufen lässt der Star sich jedenfalls nicht – so bereitwillig er auch immer und überall mit Fans und Touristen für Selfies posiert, so wutschnaubend reagiert er auf Journalisten, die ihn beobachten. Auch das ist zu erfahren aus dem Opus „Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“ von Mathieu Sapin, das einer Arte-Dokumentation auf den Spuren des Schriftstellers Alexandre Dumas durch den Kaukasus zu verdanken ist.

Dorthin begleitete der Comicautor Sapin den Schauspieler, der Dumas ebenso schon verkörpert hat wie dessen Grafen von Monte Christo. In Aserbaidschan haben die beiden Vertrauen zueinander gefunden und schließlich eine Langzeit-Comic-Road-Reportage verabredet, die jetzt zur Leipziger Buchmesse auch in Deutschland erscheint.
Der Comic zeigt über fünf Jahre einen Protagonisten, der ständig in Bewegung ist – redend, reisend , essend, am Planen und Verhandeln, immer auch auf seine Wirkung bedacht, hyperaktiv und hypersensibel. Depardieus Augen nennt Sapin in einem Bild „Scanner“.

Seine Wahl. Zur Wahl von Russlands Präsident Wladimir Putin ging Gérard Depardieu, seit 2012 russischer Staatsbürger, in die russische Botschaft in Frankreich.
Seine Wahl. Zur Wahl von Russlands Präsident Wladimir Putin ging Gérard Depardieu, seit 2012 russischer Staatsbürger, in die russische Botschaft in Frankreich.

© Dominique Boutin/imago/ITAR-TASS

Dieses Aufnahmevermögen adaptiert er in seinem Comic durch hunderte fußnotenartige Hinweise: Gegenstände im Hintergrund, Randpersonal, die Landschaft, gelesene Bücher, Rückblenden, Neben- und Hintergedanken, in fast allen Panels penibel beschriftet, machen Depardieus Ruhelosigkeit auch für den Leser sinnlich erfahrbar: Sie sollen en detail den dokumentarischen Charakter des Projektes belegen – aber man wird zuweilen auch selbst wuschig und genervt von diesen massenhaften Nebensächlichkeiten. Alles scheint gleich wichtig, ablenkend und aufmerksamkeitsheischend zugleich; überall bimmeln und piepen Telefone, quatschen Assistenten und Galeristinnen und Redakteure, dauernd will jemand ein Selfie und bekommt es.

Das alles dokumentiert Sapin bienenfleißig; immer wieder weist der Zeichner wortreich darauf hin, welche Stimmung der Himmel, das Umfeld, die Gerätschaften und Zumutungen des modernen Alltags gerade vermitteln oder verursachen – als dürfe nichts vergessen oder unterschlagen werden.

„Wie Du aller Welt auf die Nerven gehst, das liiiiebe ich!!“

Das schafft eine Hektik und auch Oberflächlichkeit, der man auch als Leser ausgeliefert ist. Aber wie sagt Depardieu auf kritische Anmerkungen zu seiner Autobiografie: „Längen? Eben hab ich ,Leben und Schicksal’ von Wassili Grossmann ausgelesen ... da gibt’s auch ein paar Längen, aber trotzdem ist es ein großartiges Buch!“ Solche Links in die Literatur, in die Weltpolitik, in die Filmgeschichte und in die Landschaften Europas bietet die Comic-Reportage in großer Zahl.

Depardieu schmatzt, rülpst und philosophiert, schimpft und reißt Zoten, zeigt sich hellsichtig und immer hellwach. Er gibt sich furchtlos: „Ich hab keine Angst. (...) Ich werd’ nur überrascht.“ Und er gibt sich demütig: „Glaube heißt lebendig sein, Sehnsüchte haben.“ Immer kommt es dabei auch auf die Betonung an: Sapin geizt nicht mit Auslassungen und Ausrufezeichen, Unterstreichungen und Fußnoten.

Depardieu kokettiert mit seiner Freundschaft zu Putin („Wie Du aller Welt auf die Nerven gehst, das liiiiebe ich!!“) und macht dem Autor, der parallel an einer Arbeit über François Hollande sitzt, mit seiner Wut auf den damaligen französischen Präsidenten zwischendurch Angst, durch seine Zeugenschaft und seine offenen Notizen einen Krieg zwischen Russland und Frankreich auszulösen.

Aus dem Comic «Gérard. Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu» von Mathieu Sapin.
Aus dem Comic «Gérard. Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu» von Mathieu Sapin.

© Verlag Reprodukt, Berlin/dpa

In einem „Epilog“ nimmt Depardieu seinem Begleiter Sapin den fertigen Comic ab – nicht, ohne noch korrigierend Hand anzulegen: Image ist ihm scheißegal, aber die Details sollen schon stimmen. Schließlich geben (leider nur) sieben Seiten mit Faksimiles Einblick in Sapins Skizzenheft. Davon hätte man sich mehr gewünscht, vielleicht auch innerhalb der ohnehin assoziativen und sprunghaften Dramaturgie des Buches - denn sie zeigen eine zeichnerische Feinheit, Freiheit und Dichte, deren Privatheit dem karikaturhaften Stil des Comics doch etwas fehlt.

Dennoch ist Sapin fast kongenial eine dem großen Künstler Depardieu angemessene Homestory gelungen: „Weil das der einzige Ort ist, wo ich gerne bin: Anderswo!“

Mathieu Sapin: „Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“, Reprodukt Verlag, 160 Seiten, 24 Euro

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