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Als Cartoonist ist Olaf Schwarzbach alias OL ein genauer Beobachter des sozialen Wandels in der Stadt. Jetzt ist bei Lappan ein neuer Sammelband seiner Serie „Cosmoprolet“ erschienen (96 S., 9,95 €).

© Illustration: OL/Lappan

„Forelle Grau – Die Geschichte von OL“: Da verstand die Stasi keinen Spaß

Viele kennen den Cartoonisten OL als humorvollen Beobachter menschlicher Macken und des sozialen Wandels. Jetzt hat er ein Buch über seine Jugend in der DDR geschrieben – und über seine Erlebnisse mit der Staatssicherheit.

Die Stasi kannte seine Schwachstelle. „Vorrang wird einer Frau eingeräumt, die in gewissem Maße die der Zielperson fehlende leibliche Mutter ‚ersetzt‘“. In sauberer Handschrift stehen diese Worte auf einem Zettel, den Olaf Schwarzbach, 49, an diesem Februarmorgen in seiner Altbauwohnung in Prenzlauer Berg aus einem zerfledderten Pappkarton fischt. Auf dem Kopf der kopierten Seite steht: „Anforderungsbild für einen IMS-Einsatz in der OPK ‚Forelle‘“. Das Papier stammt aus dem Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. OPK waren im Jargon des DDR-Geheimdienstes „Operative Personenkontrollen“, also das Ausspionieren von Bürgern, die man für staatsfeindlich hielt. Und „Forelle“ war der Deckname, den die Stasi Olaf Schwarzbach gegeben hatte; seine Freunde in der staatskritischen Künstlerszene von Prenzlauer Berg kannten ihn nur als OL, gesprochen: Ol.

Am 17. Januar 1986 beschloss die Stasi also, auf den zu der Zeit 21-jährigen OL einen IMS anzusetzen, einen „Inoffiziellen Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches (MfS)“. Und der, oder noch besser: die sollte da ansetzen, wo es wehtat: OLs alleinerziehende Mutter hatte sich das Leben genommen, als er drei war, OL wuchs bei seiner Tante in Potsdam auf.

„Ein Wühlen im Modder“

Nach dem Ende der DDR vor 25 Jahren wurde OL zu einem der herausragenden deutschen Cartoonisten, den man vor allem als Zeichner der oft ungeheuer witzigen und mehrfach als Buch veröffentlichten Reihen „Die Mütter vom Kollwitzplatz“ und „Cosmoprolet“ kennt. Dass er jetzt seine alte Stasi-Akte aus dem Regal kramt, liegt an dem Buch, das diese Woche in den Handel kommt. Es heißt „Forelle Grau – Die Geschichte von OL“ und erzählt von der Odyssee eines Freigeists durch eine unfreie Welt. Es ist erschütternd, anrührend, erhellend und oft auch sehr komisch.

Berlin im Blick. OL in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg.
Berlin im Blick. OL in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg.

© Doris Spiekermann-Klaas

Denn OL, dieser große, gut aussehende Mann mit den kräftigen Händen des gelernten Druckers und dem sensiblen Blick eines Künstlers, hat einen trockenen Humor, mit dem er auch tragische Episoden zu einem unterhaltsamen Leseerlebnis macht. Das Buch zeigt auf gut 300 Seiten, dass Humor und Witz bei OL „keine Gabe, sondern Notwehr“ sind, wie die Schriftstellerin Katja Lange-Müller ihm attestiert, die der Zeichner als Lektorin seiner Jugenderinnerungen gewinnen konnte.

Die Erzählung beginnt im Herbst 1989, die Mauer ist offen – und OL sitzt in München auf der Couch einer weiteren Tante, die ihn im Frühjahr nach der Flucht über Ungarn und Österreich aufgenommen hat. Soeben ist ihm ein Weisheitszahn gezogen worden. „In dem Moment weiß ich nicht, ist der Wundschmerz schlimmer oder der Anblick von Menschen mit Pudelfrisuren und Stonewashed Jeans, die ,Freie Fahrt für freie Bürger‘ in die Kameras rufen“, schreibt er. In lakonischem, gelegentlich ironischem Ton führt er anschließend durch die ersten 20 Jahre seines Lebens – eine harte Zeit. Das Eintauchen in die eigene Geschichte war auch für den Autor nicht einfach, wie OL bei einem Kaffee erzählt: „Vor allem die Kapitel über meine frühe Kindheit waren ein Wühlen im Modder.“

In seiner Jugend ist OL oft traurig und weiß nicht, wieso. Keiner erklärt ihm, was mit der Mutter passiert ist. „Vor allem muss er noch lernen, bewusst die Verhaltensnormen des Klassenkollektivs zu beachten“, steht in einer Beurteilung seiner Schule, als er acht ist. „Olaf ist ein temperamentvoller und selbstbewusst auftretender Schüler, dem es sehr schwerfällt, gesetzte Nomen anzuerkennen und einzuhalten“, lautet das Urteil, als er 15 ist. Die Stasi nimmt ihn ins Visier, als er 16 ist. Anlass ist der Streit um die „Schwerter zu Pflugscharen“-Aufnäher an den Jacken von OL und einigen Klassekameraden, Erkennungszeichen der illegalen DDR-Friedensbewegung. „Am aufrührerischsten trat der Schwarzbach auf“, notiert die Stasi im April 1982. So habe er nach der Bestrafung eines Schülers die Lehrerin gefragt, was sie machen würde, wenn jetzt ein Schüler Selbstmord beginge. „Die Klassenleiterin schätzte ein, dass der S. dieses durchaus begehen könnte.“ Später versucht OL tatsächlich, sich das Leben mit Tabletten zu nehmen, was aber misslingt.

Inspiriert von Seyfried, Crumb und Uderzo

Er trägt die Haare lang in jener Zeit und einen Parka, fühlt sich der alternativen Blueser-Szene zugehörig und trinkt oft und viel. Nach der Schule wird er Drucker, das haben die Pflegeeltern für ihn so beschlossen. Aber der eintönige Alltag bei der „Märkischen Volksstimme“ in Potsdam ist nichts für ihn, er kündigt bei seinem Betrieb und bei der DDR-Jugendorganisation FDJ gleich auch noch. Natürlich gibt es Repressionen, aber vorübergehend schafft er es, sich ein Aussteigerleben einzurichten, findet Freunde, die ebenfalls ihre Ausbildungen abgebrochen haben und heimlich in leer stehende Wohnungen ziehen. Lebenskünstler im toten Winkel des SED-Regimes.

Zu DDR-Zeiten gehörte OL zur unabhängigen Künstlerszene von Prenzlauer Berg – wilde Partys und Performances als Superheld inklusive.
Zu DDR-Zeiten gehörte OL zur unabhängigen Künstlerszene von Prenzlauer Berg – wilde Partys und Performances als Superheld inklusive.

© Robert Conrad (Promo)

Immer wieder gibt es Schikanen von Polizei und Stasi, auch wegen seiner „dekadenten Erscheinung“, wie es in einem Aktenvermerk von 1985 heißt. Als er 20 wird, findet er einen Job, der ihm etwas Halt gibt und ihn vorübergehend vor der Staatsmacht schützt, als Kunst-Tiefdrucker in Prenzlauer Berg. Sein Leben aber findet nach Feierabend statt, sein Revier ist die Gegend zwischen Schönhauser Allee und Helmholtzplatz, wo Maler und Autoren, renitente Lebenskünstler und Punks sich in den wenigen Kneipen, improvisierten Galerien oder bei experimentellen Theaterperformances in den Räumen der Kirche drängeln. Im Sommer feiern sie auf den Dächern und trinken sich den grauen Alltag schön.

Gegen Ende der DDR zieht es immer mehr von ihnen in den Westen, OL nicht. Er bewegt sich im Umfeld der DDR-Oppositionsbewegung, aber mit Distanz zu ihr. Inspiriert von den Comic-Autoren Gerhard Seyfried, Robert Crumb und Asterix-Zeichner Albert Uderzo beginnt er, seinen Alltag und die Absurditäten des SED-Systems in kleinen Comic-Episoden zu verarbeiten, die er heimlich kopiert und unter Freunden verteilt. Sie handeln „von Ostfrust und jungen Leuten ohne Zukunft“, wie er schreibt. Seine erste Comic-Vernissage, die er zusammen mit einem Freund veranstaltet, wird ein großes, witziges Happening, hat aber fatale Folgen. Die Stasi beschlagnahmt seine Bilder, die offenbar ebenso systemkritisch wie ordinär sind. Staatsfeindlichkeit und Pornografie lauten die Vorwürfe.

Gysi war angewidert

Gregor Gysi zumindest ist von seinen Bildern „sichtlich angewidert“, wie OL schreibt. Der Anwalt ist damals für viele Oppositionelle in Ost-Berlin die erste Adresse, wenn sie rechtlichen Beistand brauchen. Der kann aber offenbar mit den provokanten Bildern und ihrem Schöpfer nicht viel anfangen, nach zehn Minuten ist das Gespräch zu Ende. So landet OL bei Gysis Kollege Lothar de Maizière. Der macht ihm den Ernst der Lage klar: Er müsse mit drei Jahren Gefängnis rechnen, unter anderem für „Herabwürdigung der Staatsmacht“ und die geplante Wehrdienstverweigerung. Kurz darauf flüchtet OL über Ungarn und Österreich zu seiner Tante nach München, ein paar Monate später fällt in Berlin die Mauer.

OLs Autobiografie ist die Geschichte einer Suche, die mit dem Untergang der DDR noch nicht zu Ende ist. „Ich war lange gefangen in meiner Vergangenheit, weil die nie aufgeschlüsselt wurde“, sagt er jetzt beim Gespräch in seiner Wohnung, die er mit seiner Freundin und zwei Töchtern teilt. Aus dem Fenster sieht man die Gethsemanekirche, einst eines der Zentren der DDR-Oppositionsbewegung. Als die größere Tochter drei war, vor 15 Jahren, habe er sich der eigenen Geschichte zum ersten Mal wirklich gestellt. Er hatte eine „schlechte Phase“, wie er sagt: den gerade erst erworbenen Führerschein wegen Alkohol verloren, eine Beziehungskrise. Es folgten fünf Wochen Therapie in einer bayerischen Privatklinik – „da habe ich zum ersten Mal gemerkt, was die Vergangenheit mit mir gemacht hat“, sagt OL. „Das war ein Befreiungsschlag.“

Dass er all das jetzt in einem Buch verarbeitet hat, liegt zum einen an seinem Agenten Matthias Landwehr, der erkannt hat, was für eine starke Geschichte er zu erzählen hat. Und OL will zeigen, dass es neben den hinlänglich bekannten Biografien von Angepassten oder prominenten Oppositionellen in der DDR eben noch viele andere Schicksale und Lebensmodelle gab. Seine Tochter habe in der Schule die gesamte DDR-Geschichte in wenigen Stunden abgehandelt, klagt er, das kann’s doch nicht gewesen sein. So ist seine Autobiografie jetzt eine Mischung aus Persönlichem, Geschichtsbuch und „Abrechnung mit der Scheiß-DDR“ geworden, wie er sagt. Auch wenn ein paar Fragen offenbleiben. Ob der von der Stasi gesuchte „Inoffizielle Mitarbeiter“, der sein Mutter-Trauma ausnutzen sollte, jemals wirklich zum Einsatz kam? OL weiß es nicht. Ja, es gab da eine Zeit lang diese Frau, auf die die Beschreibung zutreffen würde. Aber bestätigen ließ sich das nie, und die Frau selber stritt später natürlich alles ab.

Superheld im Sozialismus: Das Cover von OLs Buch ziert ein Foto von 1988.
Superheld im Sozialismus: Das Cover von OLs Buch ziert ein Foto von 1988.

© Berlin Verlag

Olaf Schwarzbach: Forelle Grau – Die Geschichte von OL. Berlin-Verlag, 320 Seiten, 19,99 Euro
OL: Cosmoprolet, Sammelband 2, Lappan, 96 Seiten, 9,95 Euro

Mehr Cartoons online: ol-cartoon.de. Premierenlesung von „Forelle Grau“: 4. März, 20 Uhr, Palais der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Berlin-Prenzlauer Berg. Weitere Lesung: 7. März, 14.30 Uhr, „Rudow liest“, in der Fahrschule in der Neuköllner Str. 346, Berlin-Neukölln

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