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Drama der menschlichen Existenz: Eine Seite aus „Das lange ungelernte Leben des Roland Gethers“.

© Avant

Experimentelle Erzählung: Wie ein Comic ohne Bilder das Leben auf den Punkt bringt

Shane Simmons erzählt in „Das lange ungelernte Leben des Roland Gethers“ mit drastisch reduzierten Mitteln vom Drama der menschlichen Existenz.

Die ersten Jahre heißt er nur „Das Baby“. Ein weiteres Kind unter zwölf Geschwistern, da macht sich der Vater nicht die Mühe, einen Namen zu vergeben. Als das Baby sieben wird, taufen sie es dann doch. Der Junge soll, wie alle Männer der Familie, im Kohlebergwerk arbeiten. Falls er verschüttet wird und stirbt, kommt der kleine Roland, wie er fortan heißen wird, als Getaufter wenigstens nicht in die Hölle.

So beginnt „Das lange ungelernte Leben des Roland Gethers“, einer der ungewöhnlichsten Comics der Geschichte, der vor 20 Jahren beim Internationalen Comic-Salon Erlangen mit einem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, dann lange vergriffen war und jetzt beim Berliner Avant-Verlag neu aufgelegt wurde (50 S., 20 €).

Demütigungen, Enttäuschungen und verschenkte Möglichkeiten

Was diesen Comic so besonders macht, ist weniger der Inhalt der zwischen 1860 und 1947 vor allem in Großbritannien spielenden Geschichte als ihre Form: Alle handelnden Figuren sind kleine Punkte, sie unterscheiden sich voneinander nur durch ihre Position auf dem Papier und gelegentlich durch ihre Größe.

Wer spricht, ist jeweils an einer dem Punkt zugeordneten Linie zu erkennen. Und hin und wieder ergänzen lautmalerische Worte die Erzählung: „Zack“ für jeden Schlag, den Roland in der Schule vom Lehrer erhält, „Hack“ und „Kapong“ für die Gemetzel, in die er als Soldat beim Zulukrieg 1879 und später im Ersten Weltkrieg gezwungen wird, „Ka-Boom“ für die deutsche Bombe, die ihm im Zweiten Weltkrieg seine Frau nimmt.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Avant

Viel mehr gibt es hier nicht zu sehen. Das Verrückte ist: Die Geschichte funktioniert trotz und gelegentlich gerade wegen dieser kompletten Reduktion. Das liegt vor allem an den Dialogen, die an manchen Stellen komisch wie Monty-Python-Szenen sind und an anderen Schmerz und Kummer vermitteln wie die Sozialdramen von Charles Dickens.

Das Leben von Roland Gethers, wie es der kanadische Drehbuchautor und Comiczeichner Shane Simmons in 3840 Panels ausbreitet, ist eine Reihe von Demütigungen, Enttäuschungen und verschenkten Möglichkeiten. Jedes Mal, wenn der eigentlich lebensfrohe Roland einen Versuch macht, sich weiter zu entwickeln, als es durch seine Klassenzugehörigkeit und die Ignoranz seiner Umgebung vorgezeichnet ist, endet das im Desaster.

Die reduzierte Bildsprache passt gut zur extrem beschränkten Weltsicht der meisten handelnden Figuren. Selten wurde die Tragik der menschlichen Existenz so anschaulich auf den, nun ja, Punkt gebracht.

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