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Der kleine Nick, auf Französisch le Petit Nicolas, ist die bekannteste Figur Sempés.

© Charles Platiau / Reuters

Update

Erfinder des „kleinen Nick“ ist tot: Frankreich trauert um Sempé

Jean-Jacques Sempé ist mit den Geschichten des „kleinen Nick“ weltbekannt geworden. Nun ist der Zeichner kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben.

Wer in Paris wohnt, hat Glück. Etwa das Glück, in die Galerie Martine Gossieaux gleich hinter dem berühmten Musee d'Orsay huschen zu können, um dort quasi jederzeit Werke des Künstlers Jean-Jacques Sempé zu bewundern. Jetzt ist der Illustrator des „kleinen Nick“, gestorben - kurz vor seinem 90. Geburtstag am 17. August.

Der Diogenes Verlag in Zürich würdigte Sempés Arbeiten als „Meisterwerke des Humors“. In ihnen habe er auf „zärtlich-ironische Weise“ den Menschen ihre Schwächen und die der Welt vorgeführt.

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Bis zuletzt hatte sich Sempé dankbar für die öffentliche Anerkennung gezeigt: „Ich hätte nie geglaubt, dass eines Tages jemand meine Sachen kaufen wird, um sie bei sich zu Hause zu haben“, bekannte er einmal im Gespräch mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“; „das haut mich um, auch nach all den Jahren noch.“

Es ist diese fast kindliche Freude über die Zufälle des Lebens, die auch in Sempés Zeichnungen steckt; gepaart mit einem Hauch Melancholie und einer feinen Prise Humor.

Dieser Dreiklang wurde ihm wohl in die Wiege gelegt. 1932 in Bordeaux zur Welt gekommen, habe seine Mutter sogleich einen Preis eingeheimst: den für das „schönste Baby“ der Stadt, erinnerte sich der Künstler in seinem 2012 erschienenen Band „Kindheiten“. „Ein schönes Baby, das war damals etwas Abscheuliches: ein dickes Kind, vollgepumpt mit überfetter Milch. Je scheußlicher und unförmiger so ein Baby war, desto schöner fand man es.“

„Meine Kindheit war alles andere als lustig“

Über die nachfolgenden Jahre hörte man von Sempé nur wenig Gutes. Von der Mutter seien ihm unter anderem die schallenden Ohrfeigen haften geblieben; vom Stiefvater, der als Lebensmittelhändler Pasteten, Fisch und „Gürkchengläser“ vertrieb, die Streitereien mit der Mutter, wenn dieser nach einem erfolgreichen Geschäftstag leicht alkoholisiert nach Hause kam.

Jean-Jacques Sempé auf einem Archivbild von 2019.
Jean-Jacques Sempé auf einem Archivbild von 2019.

© Martin Bureau/AFP/dpa

„Meine Kindheit war wirklich alles andere als lustig“, so der Zeichner. „Das ist gewiss der Grund dafür, dass ich das Heitere liebe.“ Und vielleicht auch dafür, dass in vielen seiner Zeichnungen Kinder im Mittelpunkt stehen - und die Welt der Erwachsenen oft grau und trist daherkommt.

Besonders sichtbar wird das beim „Kleinen Nick“, Sempés wohl bekanntester Figur. Die zeitlos schönen Anekdoten über einen Schuljungen und seine Clique im Frankreich der 1950er und 60er Jahre hat auch in Deutschland eine große Fangemeinde, nicht zuletzt dank der genialen Übersetzung von Hans Georg Lenzen. Zu den Bildern von Sempé gehören die Erzählungen von Asterix-Autor René Goscinny. Wie es zu alledem kam, ist wieder einer jener glücklichen Zufälle, der dem Zeichner in die Hände spielte.

Erstmals ersann Sempé die anfangs noch namenlose Figur für eine Zeitschrift in Belgien, damals das Mekka aller Cartoonisten und Comic-Künstler. Der Chefredakteur des Blattes wollte dem Kind einen Namen geben. Kurz vor der nächsten Verabredung mit dem Mann, so Sempé, „fuhr ein Bus an mir vorbei, auf dem Werbung für einen Wein namens Nicolas zu sehen war - und, zack!, hatte ich einen Namen für den Kleinen“.

Wenig später stieß Goscinny hinzu, der aus den geplanten Comic-Strips mit dem „Kleinen Nick“ ganze Geschichten entstehen ließ.

„Ruhe in Frieden und schick uns den Regen von da oben...“

Die Erzählungen spiegeln Sempé zufolge eine Art Ideal wider. „Im 'Kleinen Nick' balgen sich die Kinder, aber sie tun sich nicht weh.“ Stattdessen haben sie jede Menge Spaß im Urlaub, auf dem Sportplatz oder bei Streichen in der Schule. Natürlich sind seit 1950, als er seine ersten Zeichnungen veröffentlichte, eine Fülle an weiteren Werken entstanden. Titelbilder für das US-Magazin „New Yorker“ sind darunter, Zeichnungen für zahlreiche französische Printmedien oder ein Bildband über Musiker.

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Vor zwei Jahren brachte Sempé den Bildband „Garder le cap“ (deutscher Titel: „Hin und weg“) heraus, eine Art Werkschau seiner Karikaturen für „Paris Match“. In einem dazu erschienenen Interview mit der Illustrierten berichtete der Zeichner von einem Gespräch mit einer Therapeutin, die ihm dringend dazu geraten habe, nun endlich in den Ruhestand zu treten. „Sie sagte, ich solle mich ausruhen und nur noch arbeiten, wenn ich Lust habe. Und es stellte sich heraus, dass ich nie Lust hatte zu arbeiten.“

Sempé starb nach Diogenes-Angaben in seinem Ferienort. Seine Figuren und seine scharfe Beobachtungsgabe, verbunden mit einem „phantastischen Sinn für Komik“, hätten den Illustrator seit über 70 Jahren zu einem der größten französischen Zeichner der Gegenwart gemacht.

Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne erklärte: „Sempé, das war die Zeichnung, das war der Text. Es war das Lächeln und die Poesie. Manchmal hatte er Tränen in den Augen vor Lachen, heute Abend sind es Tränen der Rührung“, schrieb Borne auf Twitter. Auch zahlreiche weitere Politiker reagierten emotional auf den Tod von Sempé.

Der Verband der französischen Feuerwehr, die derzeit an verschiedenen Stellen des Landes gegen verheerende Waldbrände kämpft, verband dies mit einer konkreten Bitte an Sempé. „Ruhe in Frieden und schick uns den Regen von da oben...“, twitterte der Feuerwehrverband am Donnerstagabend. (KNA, mit dpa)

Joachim Heinz

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