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Autobiografisch inspiriert: Eine Szene aus „Identikid“.

© avant

Die Angst vor der Angst: Das Tagebuch als Comic

Die Schwedin Moa Romanova schildert in ihrer Comicerzählung „Identikid“ wie es ist, mit Panikattacken zu leben.

Millenials haben viele Gründe, Angst zu haben: Angst vor dem Klimawandel, Angst vor der nächsten Finanzkrise, Angst vor Terror, Angst vor Überwachung und natürlich „fear of missing out“ – die Angst, etwas zu verpassen.

All diese Gründe spielen jedoch gar keine Rolle in der Comicerzählung „Identikid“ (avant, aus dem Schwedischen von Katharina Erben, 184 S., 25 €), in der die 27-jährige Schwedin Moa Romanova über ihr Leben mit Panikattacken berichtet – einer Angst, die sich verselbstständigt hat. „Wenn man Angst hat, dass man an etwas bestimmtes denkt, muss man die ganze Zeit daran denken“, schreibt sie an einer Stelle. „Und ich habe echt panische Angst davor, Angst zu bekommen, und das macht mir total die Panik. Das schlimmste Perpetuum Mobile der Welt.“

Avantgardistischer Stil. Eine Seite aus „Identikid“.
Avantgardistischer Stil. Eine Seite aus „Identikid“.

© avant

Mit ihrem autobiografischen Comicdebüt schildert Romanova ebenso ungeschminkt wie berührend ihren täglichen Kampf mit der Krankheit, Antriebslosigkeit, schlechten Partys und seltsamen Dates: Nach Drogenabstürzen und einer Psychose versucht sie sich von ihren inneren Dämonen abzulenken und streift durchs triste Göteborg, den Kapuzenpulli stets tief ins Gesicht gezogen. Müde und frustriert tingelt Moa zwischen Treffen mit Freundinnen, Aushilfsjobs und unbefriedigenden Therapiesitzungen hin und her.

Ein unglückliches Tinderdate wird zum Lichtblick

An ihr Smartphone geklammert, sucht sie im Internet Antworten auf ihre Fragen, und tatsächlich gibt eine Tinder-Bekanntschaft ihrem Leben einen neuen Impuls: Moa lernt einen Fernsehpromi kennen, der sie und ihre Kunst fördern will, natürlich nicht ohne Hintergedanken.

Eine Seite aus „Identikid“.
Eine Seite aus „Identikid“.

© avant

Das erste und einzige Date verläuft unglücklich und reiht sich damit in die vielen schlechten Erfahrungen ein, die Moa schon mit Männern gemacht hat. Trotzdem hält sie den Kontakt sporadisch aufrecht und zieht aus dieser recht eigenartigen Online-Beziehung Kraft für sich selber.

All dies schildert Romanova in einem kühlen, avantgardistischen Stil, der Moas innere Verfassung widergibt: Leer, unbehaust, mit gelegentlichen Anflügen von lakonischem Humor. Auffällig sind die merkwürdig groß proportionierten Körper der Figuren, vor allem bei Moa selbst, deren Kopf fast zwischen den riesigen Schultern zu verschwinden scheint – ein Versuch, das Gefühl des Betäubtseins und der inneren Abschottung darzustellen, das ihren Alltag bestimmt.

Auch Romanovas Darstellungen von Panikattacken beeindrucken (ähnlich wie bei Manu Larcenet in „Der alltägliche Kampf“), und helfen damit nicht nur Betroffenen sondern auch Außenstehenden, die Krankheit besser zu verstehen.

Offenheit als Selbsttherapie

„Als es mir psychisch am schlechtesten ging, hätte ich mir gewünscht, ein Buch wie meines zu lesen“, sagte Romanova in einem Interview mit dem Online-Magazin „Jetzt“. „Das Schlimmste war nämlich, dass ich mich alleine mit meinen Problemen gefühlt habe.“

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© avant

Also nahm sie die Sache selbst in die Hand und zeigt sich in dem entstandenen Comic dabei so ehrlich und verletzlich, dass man das Gefühl hat, ihr Tagebuch zu lesen – das tatsächlich in kleinen Ausschnitten abgedruckt ist. „In Schweden habe ich jahrelang einen Blog geschrieben, auf dem ich meine persönlichen Gedanken geteilt habe“, sagte Romanova in dem Interview. „Ich finde es eher erleichternd. Denn niemand kann dich entblößen, wenn du es vorher schon getan hast.“

Romanovas sehr persönliche Art zu erzählen und zu zeichnen kommt an: „Identikid“ wurde bereits in sieben Sprachen übersetzt und auch Liv Strömquist („Der Ursprung der Welt“) ist ein erklärter Fan ihrer Comics. Auch hierzulande kann man „Identikid“ nun entdecken: Romanovas Millenial-Selbstporträt ist ein sperriges aber lohnenswertes Debüt, auf das man sich einlassen muss.

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