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Comics: M wie Mörder

Eine Stadt sucht wieder einen Mörder: Fritz Langs Filmklassiker kehrt zurück – als Comic des US-Künstlers Jon Muth.

Manche Filmbilder vergisst man nie. Unmittelbar brennen sie sich in der Erinnerung fest, der individuellen wie der kollektiven, erreichen bald, wieder und wieder reproduziert, ikonografischen Rang. Die Schlüsselszene von Fritz Langs „M – eine Stadt sucht einen Mörder“, die dem Film seinen Namen gab, enthält solch ein Bild: Der von Peter Lorre gespielte Mädchenmörder, gehetzt von der Polizei und den „Ringvereinen“ der Unterwelt, erkennt plötzlich, dass er in der Falle sitzt.

Der gejagte Blick über die Schulter auf sein Spiegelbild, das jähe Verstehen, was das Kreide-M auf dem Rücken bedeutet – das hat filmhistorisch den gleichen Rang wie die mit gekreuzten Beinen dasitzende Marlene Dietrich in „Der blaue Engel“ oder Marilyn Monroe mit hochwehendem Kleid in „Das verflixte 7. Jahr“.

Jetzt ist die berühmte Szene wieder aufgetaucht, doch überraschend in Comicläden und Buchhandlungen, als Titelbild einer Graphic Novel des Amerikaners Jon J. Muth. Nicht das Original, sondern gewissermaßen ein Remake, der Mörder mit jungem Allerweltsgesicht, eher verschüchtert als gehetzt, depressiv womöglich, nicht von Peter Lorres manischer Expressivität. Zudem ist es kein fotografisch scharfes Bild, stattdessen wie verwischt, unscharf, das Gesicht in Grau modelliert.

Sechs Wochen dauerten die Dreharbeiten - zwei Jahre der Comic

Langs Film entstand in einem Zeppelin-Hangar in Staaken, hatte am 11. Mai 1931 im Ufa-Palast am Zoo Premiere und spielte auch im damaligen Berlin, das nicht genannt wird, aber leicht identifizierbar ist.

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Warte warte nur ein Weilchen. Eine Szene wie aus einem Berliner Hinterhof - in Cincinnati.

© Illustration: Muth

Nur sechs Wochen dauerten die Dreharbeiten, während Muth zwei Jahre benötigte, bis die Filmvorlage in seinen Comic-Roman umgegossen war. Der Künstler orientiert sich in den Bildern stark am Original, soweit es eben in Cincinnati, das für Muth einer deutschen Stadt immerhin ähnelt und wo er die Geschichte für Standfotos nachstellte, möglich war. Auf deren Grundlage entstanden Skizzen, mit Silberstift erst, dann ergänzt mit Grafit, Holzkohlenstaub, zuletzt Pastellfarben sogar zur sparsamen Akzentuierung.

Knapp 20 Jahre ist das her, damals beschäftigte sich der 1960 in den USA geborene Künstler noch überwiegend mit dem Comic-Genre, wechselte erst später zum Schreiben und Illustrieren von Kinderbüchern. Darin ist er heute ebenso erfolgreich wie anerkannt, preisgekrönt gar. Ein von ihm illustrierter Gedichtband für Kinder, eine von der Kennedy-Tochter Caroline zusammengestellte Sammlung der Lieblingsgedichte ihrer Familie, wurde in den USA eines der meistverkauften Kinderbücher 2008.

In dem im Vorjahr in den USA und nun übersetzt auch in Deutschland veröffentlichten Buch schimmert das Berliner Original immer wieder durch. Nicht immer in der Architektur: Die stählerne Hochbahntrasse, in deren Schatten der entdeckte Mörder über Waggondächer zu fliehen versucht – ein im Film fehlendes Handlungsdetail –, steht erkennbar nicht in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, sondern erinnert an die Szenerie amerikanischer Gangsterfilme.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen

Aber die Stimmung des Films, sein Grau in Grau, in dem sich die verschwimmenden Grenzen zwischen den Gesellschaftsschichten, zwischen Polizei und Verbrechern, zwischen gut und böse widerspiegeln, hat Muth doch gekonnt auch im neuen Medium umgesetzt.

Und es ist keineswegs unglaubwürdig, wenn in der deutschen Version nun wieder die oft in Berlinerisch gehaltenen Filmdialoge auftauchen. Selbst die „Peer Gynt“-Melodie, die Langs Mörder immer dann zu pfeifen beginnt, wenn er wieder auf die Mädchenjagd geht, findet sich bei Muth wieder – grafisch umgesetzt in Noten.

Die gesellschaftsanalytisch-demaskierende Dimension des Films fehlt dem Buch natürlich, das in einem ganz anderen Umfeld entstand. Der von Gustaf Gründgens gespielte Schränker, für den der psychisch kranke Mörder nur auszurottendes Unkraut ist, erscheint nachträglich wie eine prophetische Vorwegnahme von Nazi-Größen wie Joseph Goebbels, der den Film allerdings lobte.

Muths Schränker dagegen erweckt eher Mafioso-Assoziationen, auch wenn die Argumente, mit denen die Vernichtung des Täters gefordert werden, sich gleichen. So liegt die Frage nahe, wozu solch ein Klassiker-Remake, zumal im neuen Genre, denn gut sein soll. Moral sei „ein konstanter Prozess in uns allen“, dazu Thema aller großen Werke der Literatur und habe auch ihn dazu gebracht, „M“ als Graphic Novel umzusetzen, begründet Muth im Nachwort seine Arbeit.

In der Tat bleibt die Frage nach Schuld, Sühne, freiem Willen, innerem Zwang auch ohne den Kontext der späten Weimarer Zeit hochaktuell und die nach der Todesstrafe in Muths Heimat ohnehin. Aber auch wer sich als Leser über derartiges keine Gedanken machen, sondern nur gut und spannend unterhalten werden will, wird mit dieser Graphic Novel gut bedient – selbst wenn er den Film vorher nicht gesehen hat. Und wenn er daraufhin neugierig wird, nun unbedingt das Original sehen will – umso besser.

Jon J. Muth: M – Eine Stadt sucht einen Mörder, nach einem Film von Fritz Lang, Hardcover, vierfarbig, 192 Seiten, 25 Euro, Verlag Cross Cult - weitere Informationen und Leseprobe
hier.

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