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Schlammschlacht: Eine Szene aus Jack Davis' Kriegsgeschichte „Mud“.

© EC

Comics aus dem Schützengraben: Kriegsgeschichten aus erster Hand

Es gibt viele Comics über den Krieg, aber einige ragen besonders heraus, weil sie von Zeichnern stammen, die ihn erlebt haben. Ein historischer Überblick.

Was er denn erreichen wolle, „eine gottverdammte Meuterei?“, fragte General Patton den Zeichner Bill Mauldin, dessen Cartoons im Army-Blatt „Stars and Stripes“ erschienen. Patton war nicht irgendwer, sondern Anführer der US-Truppen im Zweiten Weltkrieg, und mit seiner draufgängerischen, direkten Art quasi die Verkörperung des amerikanischen Ideals vom Soldaten.

Mauldins Antwort, wenn man ihm trauen kann (er selbst hat diese Anekdote überliefert), war seltsam sanft, aber bestimmt: Er zeichne nur, was er sehe.

Er ließ davon nicht ab. Nach dem Krieg wurde Mauldin durch Buchveröffentlichungen seiner Cartoons auch außerhalb der Army bekannt. 1945 erhielt er den Pulitzerpreis. Seinen größten Nachruhm aber bekam Mauldin durch Charles M. Schulz, der seine Figur Snoopy in den „Peanuts“ jedes Jahr zum Veteranentag (11.11.) ein Root Beer mit Mauldin trinken ließ. Was war es, was Mauldin gesehen hat, was Patton verärgert hat, was Schulz beeindruckt hat? Mit einem Wort, Authentizität.

Mauldin wurde 1940 einberufen, da war er 18 Jahre alt. Ein Jahr später trat die USA in den Krieg ein, der ab da Zweiter Weltkrieg hieß, und Mauldin wurde an die europäische Front geschickt. Die Cartoons, die er dort unter dem Obertitel „Up Front“ zeichnete, waren vor allem ein Luftablassen über die Realitäten des Soldatenalltags.

Mauldins GIs waren dreckig, unrasiert, selten zynisch, aber immer ohne Illusionen über ihren Job, der eine Menge Schlammkriecherei, Leerlauf, Mangel an einfachsten Alltagsdingen wie Zahncreme, und eben auch viel Tod mit sich brachte.

Es sind Dinge, die heute zur selbstverständlichen Ausstattung jedes Kriegsfilms und der meisten Kriegscomics gehören. Womöglich deshalb erscheint heutigen Lesern Mauldins Arbeit so wenig aufsehenerregend.

Libellenbomber, Panzer aus alten Schuhen

Will man „Up Front“ heute verstehen, muss man sich zwei Dinge bewusst machen. Dass Mauldin mit seiner realistischen Darstellung des Krieges ein Tabu brach, jedenfalls im Rahmen des Comics. Und dass er und mit ihm eine ganze Generation von Zeichnern, vor allem in den Fünfzigerjahren eben nicht nur zeichneten, was sie sahen. Sondern dass sie gesehen hatten, was sie zeichneten.

Im Schützengraben: Ein Cartoon von Bill Mauldin aus dem Army-Blatt „Stars and Stripes“.
Im Schützengraben: Ein Cartoon von Bill Mauldin aus dem Army-Blatt „Stars and Stripes“.

© Promo

Natürlich hatte es schon vor Mauldin Kriegsdarstellungen im Comic gegeben. Ham Fisher hatte sein glückloses Glücksritterduo „Mutt & Jeff“ eine Zeit lang an den Frontlinien des Ersten Weltkriegs Slapstick anstellen lassen, noch während dieser lief - der heute und in Europa kaum bekannte Strip war der erfolgreichste Comic der Zehnerjahre. Er war inhaltlich so weit weg vom tatsächlichen Krieg wie der Zeichner selbst.

Und ausgerechnet Walt Disney verdanken wir eine erste leidlich realistische, zumindest ausnehmend düstere Darstellung des Kriegs im Comic. 1932 und 1933 schilderten der Autor Earl Duvall und der Zeichner Al Taliaferro, der später ein prägender Donald-Duck-Zeichner werden sollte, den Krieg der Käfer von Junkville mit den Fliegen von Flyburg im Rahmen des von den Disney Studios produzierten „Silly Symphonies“-Comicstrips.

Was in der kurzen Zusammenfassung durchaus komisch klingt, ist beim Blick hinter den Unfug der durchgängig gereimten Texte des Strips verblüffend bitter: Die Fliegen, eine offensichtlich monarchische Gesellschaft mit König an der Spitze, erklären den demokratischen Käfern den Krieg, weil sie Lebensraum brauchen. Es entspannt sich eine Schlacht an allen Fronten, mit Libellenbombern, Panzern aus alten Schuhen, Kanonen aus Bierflaschen mit Henkelverschluss und Scharfschützen.

Das klingt fast niedlich. Aber über 22 Wochen erstreckte sich diese Sequenz eines allumfassenden Schlachtens - „Wir haben Glück, am Leben zu sein“, sagt der im Schützengraben hockende Bucky an einer Stelle. Sogar eine Karte des Frontverlaufs fügten Duvall und Taliaferro bei, was das Realitätsgefühl eines umfassenden Krieges nochmals verstärkte. Realistisch, ja, authentisch nein: Duvall war während des Ersten Weltkriegs in den USA stationiert, Taliaferro noch zu jung gewesen.

Auf einer Höhe mit Remarque und Kisch

Mauldins Erfolg, der ihn sogar vor dem Zorn des allmächtigen Patton beschützte, war in der simplen Logik begründet, dass es immer mehr GIs als Generäle in der Armee gibt, und dass diese GIs sich in der ungeschönten Darstellung wiedererkennen.

Soldatenalltag: Ein weiterer Cartoon von Bill Mauldin.
Soldatenalltag: Ein weiterer Cartoon von Bill Mauldin.

© Promo

Mauldins Vorbild begründete nach dem Krieg eine ganze Schule von Comiczeichnern, die sich, wenn sie vom Krieg zeichneten, immer auch auf ihn beriefen, obwohl und weil sie selbst wie Mauldin dabei gewesen waren. Die beeindruckendsten Kriegscomics dieser Zeichner - darunter Wallace Wood, Harvey Kurtzmann, Jack Davis und John Severin - erschienen zwischen 1950 und 1955 im Rahmen der Heftserien „Two-Fisted Tales“ und „Frontline Combat“ des EC-Verlags.

Was in diesen Heften veröffentlicht wurde, sind die bis heute authentischsten und ungeschöntesten Kriegserzählungen, die je produziert wurden, auf einer Höhe mit Remarques „Im Westen nichts Neues“ und Kischs Kriegstagebüchern. Nicht nur, aber auch, weil sie wie Remarque, wie Mauldin, den Blick konsequent auf den einfachen Soldaten richten. Nicht nur, aber auch wegen der grafischen Meisterschaft ihrer Zeichner, denen, ungewöhnlich für damalige Verhältnisse, vom Verlag völlig freie Hand gelassen wurde.

Wer Jack Davis' Darstellung von sich durch Regen und Dreck kämpfenden GIs gesehen hat, will sich am liebsten sofort duschen. „Mud“, Schlamm, heißt passenderweise eine dieser Geschichten.

Und nicht nur, aber aber auch wegen dem, was Wood, Davis und die anderen erlebt haben. Die Geschichten dieser Hefte sind nicht autobiografisch. In einer beeindruckenden Sequenz mehrerer Geschichten schildern die Zeichner den Kampf um die japanischen Inseln, in einer anderen den Verlauf des US-Bürgerkriegs von 1861 bis 1864. Nein, vor allem destillieren die Zeichner in ihren Comics, was es heißt, Soldat an der Front zu sein, weil sie wissen, was das heißt.

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Um das zu erkennen, lohnt es, in die Gesichter dieser Soldaten zu schauen (wenn man sie denn unter dem Bart und Dreck sehen kann). Es sind grimmige, es sind glückliche, es sind angstverzerrte Gesichter. Vor allem aber sind es individuelle Gesichter. In diesen Erzählungen, die fast nie von Generälen handeln, hat jeder einzelne Soldat eine Individualität, trotz der großen Gleichmacherei von Uniform und Rang.

Rekonstruktion statt Erfahrung

Es gibt, vielsagend genug, keine einzige deutschsprachige Ausgabe dieser Comics, in einem Land, das einerseits von Kriegsdokus so sehr nicht genug bekommen kann, dass gleich zwei Fernsehsender quasi ihr gesamtes Programm damit bestücken, das aber andererseits genau mit dieser Individualisierung des Soldaten schon immer ein Problem hatte.

Die Comics dieser Zeichner und einiger anderer (Will Eisner wäre hier noch zu nennen, der seine Kriegserfahrungen allerdings erst ab den Neunzigerjahren aufarbeitete, also gut vierzig Jahre nach den hier geschilderten Comics) unterscheiden sich in ihrem erlebten Wissen von späteren Zeichnern. Die, so meisterhaft sie auch sein mögen, wie etwa Tardis großartige Comics über den Ersten Weltkrieg, immer auf Rekonstruktion beruhen, nicht auf Erfahrung.

Es ist das große Glück dieser Zeichner, und für uns als Leser, dass sie den Krieg so fernab seiner selbst rekonstruieren konnten. Man sollte sie lesen. Aber wer sich für das ungeschminkte Gefühl von Krieg und Soldatsein interessiert, der kommt um die Comics des EC-Verlags so wenig herum wie um Remarque.

Das ist, man sollte es betonen, keine rein westliche Erfahrung. Als sich der japanische Mangazeichner Keiji Nakazawa, Überlebender der Atombombe von Hiroshima, daran machte, seine Erinnerungen an den Krieg aufzuzeichnen, gab er einer der frühen Fassungen (die im Gegensatz zu seinen in den folgenden Jahren veröffentlichten Erinnerungen „Barfuß durch Hiroshima“ übrigens ebenfalls nicht auf Deutsch vorliegt) den einfachen Titel „Ore wa mita“, auf Deutsch: Ich habe es gesehen. Und wir, die Leser, auch.

Die EC-Kriegscomics erscheinen in einer großartigen amerikanischen Edition bei Fantagraphics. Tardi erscheint auf Deutsch bei der Edition Moderne. Bill Mauldins Bücher sind nur noch antiquarisch erhältlich. Stefan Pannor ist freier Autor und arbeitet an einem Buch über die gesellschaftlichen Dimensionen des Mickey-Mouse-Comicstrips der Dreißiger- und Vierzigerjahre.

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