zum Hauptinhalt
Überlebenskampf: Superman auf einem Cover des Black Labels von DC.

© promo

Comicmarkt im Umbruch: Kahlschlag im Superman-Verlag

Mehr als ein Drittel der Belegschaft entlassen, darunter fast das gesamte Spitzenmanagement: Die neuen Eigentümer von DC Comics räumen auf. Warum? Eine Analyse.

Die Nachricht kam unangekündigt, wie immer: Der amerikanische Medienriese TimeWarner entlässt 600, nach einigen Quellen sogar 800 Mitarbeiter, nahezu alle aus den oberen Rängen des Managements. Zu Time Warner gehört neben dem Filmstudio Warner Bros. und dem Bezahlkanal HBO der Comicverlag DC - ein Drittel der Verlagsmitarbeiter müssen dort innerhalb der nächsten 90 Tage ihren Arbeitsplatz räumen.

Betroffen bei DC ist unter anderem der Chefredakteur Bob Harras, der sich seit 2001 im Verlag hochgearbeitet hat. Weiteres prominentes Opfer ist der Redakteur Mark Doyle, der den Erwachsenen-Bereich Black Label bei DC leitete und vorher letzter Chefredakteur des DC-Labels Vertigo war.

Erste Warnzeichen seit 2019

Letzteres wurde bereits im Dezember 2019 eingestellt, nachdem die Schließung im Juni 2019 verkündet worden war. Bei Vertigo waren DC-Klassiker wie Neil Gaimans "Sandman" und Garth Ennis' "Preacher" erschienen.

Die Vertigo-Schließung war das erste Signal einer umfassenden Neustrukturierung des Verlags, offenbar von oben durchgedrückt. 2018 war WarnerBros mit dem Telefoniekonzern AT&T verschmolzen. Die Fusion kostete 85 Milliarden Dollar. Seither wird in allen Abteilungen des Mediengiganten gespart, um das Milliarden-Loch zu stopfen.

Zombieheft: Das MAD-Magazin wurde radikal umstrukturiert.
Zombieheft: Das MAD-Magazin wurde radikal umstrukturiert.

© promo

Weiteres Zeichen der Sparwut war die Umwandlung des Humormagazins "MAD" in eine Art Zombieheft im Juli 2019, das ab da ausschließlich Nachdrucke älterer Beiträge enthielt und fast nur noch an die noch verbliebenen immerhin 100.000 Abonnenten geliefert wurde. Der Kioskvertrieb wurde eingestellt. Anders als viele deutsche Medien, auch der Tagesspiegel, berichteten, wurde jedoch nicht das Magazin selbst eingestellt.
Und schließlich wurde im Februar 2020 der bisherige Co-Verleger Dan Didio entlassen. Didio war federführend gewesen beim Neustart des gesamten DC Universums unter dem Titel New52, der sich als kommerziell überaus einträglich erwies. Zuletzt waren seine Pläne allerdings eher gefährlich für den Verlag: Didio wollte sämtliche Helden des Verlags durch neue Figuren ersetzen. Batman sollte nicht mehr Bruce Wayne sein, Clark Kent nicht mehr Superman ...

Unter dem kryptischen Kürzel 5G wurde bereits seit 2019 an dem Plan gearbeitet, der im Sommer 2020 hätte in Kraft treten sollen. Durch die Kündigung Didios wurde 5G in letzter Minute abgeblasen. Die gesamte Auflage eines bereits gedruckten Prolog-Heftes wurde vernichtet.

Ein gefährliches Vorhaben

Gefährlich war Didios Vorhaben vor allem für die Inhaber von DC, die damit zugleich Besitzer der Figuren sind. Denn der amerikanische Comicmarkt ist längst zum Zwerg geschrumpft. 2018 machte der gesamte nordamerikanische Comicmarkt einen Umsatz von einer Milliarden Dollar, eine Zahl, die seit 2015 relativ stabil war. Das entspricht derselben Summe, die "Avengers: Endgame" allein in den US-Kinos umgesetzt hat. Ein einzelner Film war also so erfolgreich wie eine gesamte Branche.

Und "Avengers: Endgame" steht nicht allein da. Von den 41 Filmen, die 2008 bis 2019 die Milliardengrenze im Kino überschritten, waren 13 Comicverfilmungen von Marvel und DC.

Milliardengeschäft: "Avengers: Endgame" is einer der kommerziell erfolgreichsten Filme der Geschichte.
Milliardengeschäft: "Avengers: Endgame" is einer der kommerziell erfolgreichsten Filme der Geschichte.

© promo

Das wahre Geld - und damit der wahre Wert für die Inhaber - steckt also in den Figuren, die man im Kino, in Nachverwertungen und im Merchandising melken kann. Erst recht seit Corona.

Die Pandemie hat nicht zuletzt der US-Comicindustrie einen schweren Schlag versetzt, mit monatelang geschlossenen Comicshops und ausgesetzten Neuerscheinungen. Verlage wie DC, die stark auf das System der Comicshops für ihre Einnahmen setzen, weisen seit Monaten kaum Einnahmen auf.

Wohl auch deswegen wurden zuallererst die teuersten Mitarbeiter gefeuert, die mit den höchsten Gehältern und den höchsten Pensionsansprüchen. Ebenso wurden Aufgaben zusammengelegt. Gab es bisher getrennte Redaktionen für die Heftpublikation und für die Zweitverwertung in Buchform, müssen nun die Heftredakteure auch die Buchveröffentlichung betreuen.

Dennoch ist klar, dass die abrupt verdünnte Personaldecke ein Programm wie das jetzige nicht mehr möglich macht. DC veröffentlichte vor Corona bis zu 100 Titel monatlich. Während einige dieser Titel, vor allem aus dem "Batman"-Umfeld, mit Verkäufen von 50.000 bis 100.000 Stück pro Heft profitabel waren, galt das für eine Vielzahl Hefte kaum noch. Die Entlassungen deuten also darauf hin, das DC sein Programm sichtbar zusammenstreichen wird.

Das führt zu zwei mühelos sichtbaren Konsequenzen der Entlassungen. Beide stehen sinnbildlich für den radikalen Umbau des US-Entertainment-Komplexes, der durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurde, aber bereits seit Jahren läuft.

1. Das Ende der Comicshops?

Obwohl relativ gesehen ein Zwerg, steckt hinter dem Comicmarkt immer noch eine gewaltige Industrie. Rund 2000 Comicshops gibt es in den USA, sie leben fast ausschließlich vom Verkauf der Hefte von Marvel und DC, die zusammen einen Marktanteil von 75% in den Comicshops aufweisen. Das heißt, von vier verkauften Comicheften stammen drei von einem der beiden Verlage. DC für sich hatte zuletzt einen Marktanteil von 30 Prozent in den Comicshops.

Ganz anders sieht es im Buchhandel aus. 2018 wurde in den USA erstmals geringfügig mehr Umsatz mit dem Verkauf von Comics in Buchhandlungen gemacht als mit dem Verkauf von Comics in Comicshops: jeweils knapp 500 Millionen Dollar.

Konkurrenz im Buchhandel: Dav Pilkeys Bücher verkaufen sich besser als die Titel von DC und Marvel.
Konkurrenz im Buchhandel: Dav Pilkeys Bücher verkaufen sich besser als die Titel von DC und Marvel.

© promo

Allerdings spielen DC und Marvel im Buchhandel eine extrem kleine Geige, mit einem Marktanteil von acht Prozent (DC) bzw. sieben Prozent (Marvel). Tatsächlich erfolgreich sind Comics für junge Leser und Teenager, erfolgreichster Comicverlag im US-Buchhandel ist Scholastic. Deren Bestseller-Autor Dav Pilkey setzt regelmäßig mit zwei Handvoll seiner Bücher im Buchhandel größere Stückzahlen um als DC und Marvel mit ihrer gesamten Backlist tausender Titel dort.

Zudem ist der Buchhandel, der mehrheitlich von großen Ketten betrieben wird, stabiler aufgestellt als die oft kleinen, privat betriebenen Comicshops. Versandhändler wie Amazon, die keine Hefte führen, verschärfen das Bild. Von den knapp 10.000 Buchhandlungen der USA werden wohl insgesamt wie relativ mehr die Pandemie überleben als von den knapp 2000 Comicshops.

Erst recht, wenn DC sein Heftprogramm zusammenstreicht. Bereits die Halbierung des Heftprogramms würde einen Umsatzverlust von 15 Prozent, in einigen Fällen auch mehr, für die Comicshops bedeuten. In der sowieso angespannten Situation für viele der sichere Weg in die Pleite. Überleben würden dann nur einige größere Comicshops.

Dass DC sein Augenmerk vermehrt auf den Buchhandel und junge Leser richtet, ist klar, seit der Verlag die Gründung eines Young-Adult-Labels verkündet hat - 2019, nur wenige Wochen nach der Verkündung der Einstellung des Erwachsenen-Labels Vertigo.

2. Vom Kino zum Streamingriesen

Schon vor dem vergangenen Wochenende verließen zwei Topmanager von WarnerMedia den Konzern. In einem danach verbreiteten Schreiben des einzigen verbliebenen Topmanagers Jason Kilar wurde betont, dass die Zukunft von Warner beim Streamingportal HBOMax liege.

Das Portal war relativ spät erst diesen Sommer in den USA gestartet. Trotz des irreführenden Namens greift es nicht nur auf die Bibliotheken von HBO ("Game of Thrones") zurück, sondern auf den gesamten Warner-Backkatalog, von "Vom Winde verweht" bis zum letztjährigen Oscar-Gewinner "Joker". In Zeiten des beinahe kompletten Todes der Kinobranche erwies sich der Start als Ausweg in letzter Sekunde.

Erfolgreicher Klassiker: Alan Moores "Watchmen" bringt dem Verlag immer noch viel Geld ein.
Erfolgreicher Klassiker: Alan Moores "Watchmen" bringt dem Verlag immer noch viel Geld ein.

© promo

Die DC-Figuren spielen in den Plänen eine zentrale Rolle. Während Marvel derzeit noch stark auf Kinofilme setzt, hat Warner in den vergangenen Jahren eine gewaltige Zahl TV-Serien aus dem DC-Umfeld produziert. Weitere sind angekündigt, ebenso wie ein Streaming-exklusiver Director's Cut von Zack Snyders "Justice League"-Film.

Der Comicbereich wird damit noch mehr als jetzt bereits zur Begleitmusik dieser digitalen Anstrengungen degradiert. In einigen Fällen wird DC zur Veröffentlichung gezwungen: der Verlag würde sowohl die Rechte an "Wonder Woman" wie an Alan Moores "Watchmen" verlieren, sobald er sie, und sei es für einen kurzen Zeitraum, nicht mehr publiziert. Beide Titel wurden zuletzt überaus erfolgreich für Kino und TV adaptiert, "Watchmen" spielte zudem zuletzt eine tragende Rolle bei der Weiterentwicklung des DC-Comicuniversums.

Zudem spielen "Watchmen", ja überhaupt alle Comics von Alan Moore bei DC, eine tragende Rolle bei einer möglichen stärkeren Ausrichtung des Verlags hin zum Buchhandel. "Watchmen" ist seit Jahren der bestverkaufte DC-Titel im Buchhandel. 2019 waren allein drei verschiedene Editionen desselben Comics in den Top-10 der bestverkauften DC-Bücher im Buchhandel. Zwei weitere Editionen fanden sich etwas tiefer in den Charts. Zusätzlich mit "V for Vendetta" und "The Killing Joke" besetzte Moore fünf der zehn Top-10-Ränge der bestverkauften DC-Comics im Buchhandel.

Es ist naheliegend, dass der Verlag hier noch stärker auf Synergie-Effekte und weitere medienübergreifende Auswertung setzen wird, statt sich von Geldkühen wie "Watchmen" zu verabschieden, indem man sie nicht mehr publiziert.

Zynisch betrachtet: WarnerMedia verlässt zwei sinkende Schiffe, den Comicfachhandel und das Kino, die von medialen Umwälzungen und der in den USA wütenden Pandemie stark angeschlagen wurden. Und rettet sich auf zwei Kanäle mit starkem bzw. umfassendem digitalen Anteil - den Buchhandel inklusive Online-Buchhandel und die Streamingportale. Ein vollständiges Ende des DC-Verlages wäre kommerziell unsinnig - aber der Verlag wird neu ausgerichtet, auf neue Vertriebswege ausgerichtet und zum Zulieferer degradiert.

Und die Comics?

Selbstverständlich kann man hier nur spekulieren. Es wird vermutlich Monate dauern, bis sich die jetzigen Entscheidungen in konkreten Veröffentlichungen niederschlagen. Ein Ausweg immerhin könnte das Disney-Modell sein. Disney veröffentlicht bereits seit Jahrzehnten keine Comics mehr selber, auch nicht in den USA, sondern hat sie an Kleinverlage lizenziert, die sie in geringer Stückzahl und mit hoher Auflage für Sammler veröffentlichen. Ebenso veröffentlichen Verlage wie Fantagraphics und IDW seit Jahren Material, vor allem klassische Comicstrips, in Lizenz von Disney, Marvel oder DC.

Denkbar also, dass auch DC einige weniger profitable Figuren an andere Verlage lizenziert. Ein anderes, nicht minder wahrscheinliches Modell ist allerdings, dass man unprofitable Figuren, an denen man die Rechte hält, in einen Tiefschlaf versetzt, bis sie im Zuge einer Retrowelle oder Redefinition wieder kommerziell interessant werden.

Eine ausführliche Analyse des US-Comicmarktes vom selben Autor findet sich im "ICOM Comic-Jahrbuch 2020".

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false