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© Illustration: Hergé Moulinsart

Comicforschung: Das Geheimnis der schwarzen Löcher

In der akademischen Auseinandersetzung mit dem Comic wachsen die Disziplinen zusammen, wenngleich es noch Defizite gibt – wie die Tagung der Gesellschaft für Comicforschung zeigte

Wenn es eines Beweises der Lebendigkeit innerhalb der deutschen Comicforschung bedurft hätte, so wurde er bei der Analyse des Werkes Didi und Stulle von Fil geliefert. Lauthals befreiendes Gelächter begleitete den Vortrag über die "Figuration des Komischen" in den Comics über die Berliner Edelproleten. Wüsste Fil, dass sein Werk in akademischen Kreisen seziert würde, er würde sich vermutlich, ähnlich dem Kölner Publikum vom vergangenen Wochenende, königlich amüsieren. Mit seinem Vortrag untermauerte der Berliner Literaturwissenschaftler Jens Hobus, dass man aus jedem Comic einen Mehrwert für die Forschung gewinnen kann – wenn man sich ihm nur kenntnisreich und gewissenhaft nähert. Das befreiende Gelächter war aber auch bei all der Ernsthaftigkeit der Vorträge bitter nötig, denn das umfassende Programm der 4. Wissenschaftstagung der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) machte deutlich, dass das Geheimnis des Comics mitnichten gelöst ist, sondern vielmehr unbequeme und unbeantwortete Fragen hinterlässt.

Einzelkämpfer knüpfen Netze

Insgesamt waren etwa 80 Studierende und gestandene Professoren anwesend und bei den streckenweise wortreich vorgetragenen Lesungen muss so manchem Zuhörer Erika Fuchs eingefallen sein: "Mir käst das Hirn."

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So weit so jut. Auch Didi & Stulle aus der Feder des Berliner Autors und Zeichners Fil erfreut sich großer Beliebtheit in der Fachwelt.

© Illustration: Fil/Reprodukt

Die wohlorganisierte Tagung mit einem hervorragend strukturierten Programm stand unter dem Motto Erzählen im Comic, und schon das von Mawil gestaltete Plakat in Anlehnung an die Häschenschule machte deutlich, dass man mit dieser Tagung den Schritt von den verstaubten Studierzimmern in die Öffentlichkeit, oder um im Bildlichen zu bleiben, in Wald und Wiese wagte.

Ob dieser Schritt der Forscher letzten Endes geglückt ist, wird sich wohl erst in Zukunft zeigen können. Jedoch wurde auch klar, dass die deutschen Forscher, obwohl noch größtenteils Einzelkämpfer, weniger um Legitimierung des Forschungsgegenstandes kämpfen denn um Zusammenführung der einzelnen Forschungsergebnisse.

Die Tagung wurde in diesem Jahr von der Arbeitstelle für Leseforschung und Kinder- und Jugendmedien (Aleki) an der Universität zu Köln ausgetragen, und die Vortragenden kamen bisweilen zu faszinierenden Ergebnissen und stellten auch geglückte interdisziplinäre Verbindungen her.

Der Begriff Comic wurde dabei erfreulich offen gefasst und die Wissenschaftler näherten sich ihm historisch, ästhetisch oder deskriptiv. So gab es einen elegant vorgetragenen Beitrag, der von den antiken Buchrollen über die lautmalerischen Spruchbänder in der bildenden Kunst einen weiten Bogen schlug und damit erneut die Frage nach den Vorläufern der Sprechblase aufwarf. Darüber hinaus wurde auch das Interdiskursive, die Zeit- und Raumlinguistik oder die Clusterstruktur des Comics betrachtet.

Tim und Struppi als Forschungsgegenstand

Aber nicht nur die Erzählweise des Comics als solches stand im Vordergrund, auch Einzelwerke wurden analysiert. Dabei reichten die Werke von den dankbaren zu untersuchenden selbstreflexiven Comics von Mathieu, den architektonisch erstaunlich komponierten Layouts von Chris Ware oder es wurde in den Comics von David B. dem Symbolismus auf den Grund gegangen. Salopp wurde von den Vortragenden Kant und Augustinus gestreift und auf "traumgebundene Realität" aufmerksam gemacht.

Allerdings wurde auch phasenweise die Einsamkeit des Forschenden deutlich, der zwar versiert, dennoch das Werk im luftleeren Raum betrachtete, meist ohne eine historische Einordnung in die Comic-Geschichte oder Verweise auf weitere Forschungsergebnisse zum selben Thema.

An solchen Punkten wäre eine (noch) stärkere internationale Vernetzung der nationalen Forschung wünschenswert, denn über die Grenzen hinaus erhält man einen Blick auf eine Vielzahl von vitalen Forschungen zu den unterschiedlichsten Richtungen.

Aber das konnte den Eindruck der Tagung nicht schmälern, die ihre stärksten Momente in den lebendigen Plädoyers hatte, etwa vom Jugendbuchforscher Bernd Dolle-Weinkauff, der zu einer Auflösung der strikten Grenzen von Comic und Bilderbuch respektive Bildgeschichten aufrief.

Ein weiteres leidenschaftliches Plädoyer kam vom Berliner Kunsthistoriker (und Tagesspiegel-Autor) Jens Meinrenken, der sich für eine vielschichtigere Betrachtung der (Comic-)Bilder einsetzte, ganz nebenbei die filmischen Einflüsse im Werk Hergés betrachtete und auf den geschickten Gebrauch der schwarzen Löcher im Album "Tim in Amerika" aufmerksam machte. Einer der vielen Ansätze, die zu lebhaften Diskussionen führten.

Insgesamt war es eine vielstimmige Tagung, die nicht an Lebendigkeit missen ließ. Die Aufgabe der Forschung muss es nun sein, die Einzelergebnisse nach und nach zusammenzuführen, und weiter Grundlagen zu schaffen, auf denen aufgebaut werden kann. Köln hat zumindest als Austragungsort erst einmal Maßstäbe gesetzt und darf auf die Auswahl der Vorträge zu Recht stolz sein.

Der Comic wissenschaftliches Thema hat Konjunktur

Für die deutsche Forschung (und für einige der angetretenen Wissenschaftler) ist auch keine Verschnaufpause mehr möglich, denn schon Ende November geht es nach Berlin, wo ein weiteres wissenschaftliches Symposium stattfinden wird. Bereits am 27. und 28. November lädt der Sonderforschungsbereich 826 der Freien Universität Berlin (Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste) zur öffentlichen Tagung zum Thema: “Comics: Zum Stand der kulturellen Legitimität eines intermedialen Mediums”.

Wer das ganze dann doch lieber als Lektüre mag, auch dem stehen frohe Zeiten entgegen, denn für dieses Jahr sind noch zwei Bände mit Forschungsergebnissen angekündigt. So wird Eckart Sackmann bereits zum fünften Mal zu einer deutschen Geschichtsstunde einladen, wobei die Deutsche Comicforschung mittlerweile zu einem unverzichtbaren Standardwerk geworden ist. Auch diesmal sind wieder sehr interessante Beiträgen dabei, etwa über die Bilderromane von Otto Nückel, frühe Vorläufer der Graphic Novel. Im Bachmann-Verlag wird die gelbe Reihe (vermutlich ebenfalls im Dezember) mit den Ergebnissen zu den ersten ComFor-Wissenschaftstagungen unter dem Titel Struktur und Geschichte der Comics fortgesetzt werden.

Bei der Vielzahl der Veröffentlichungen in diesen Tagen kann man durchaus eine leichte, vorsichtige Euphorie empfinden, die darauf schließen lässt, dass sich der Comic als Forschungsobjekt immer größerer Beliebtheit erfreut. Erste Forschungsrichtungen und Fragestellungen über den Comic kristallisieren sich dabei immer mehr heraus und der Diskurs hat längst begonnen. Dazu ist jeder herzlich eingeladen.

Hier gibt es weiterführende Links über Comicforschung an der FU Berlin sowie zur Deutschen Comicforschung.

Unser Gastautor, der in Köln lebende Comic-Publizist Klaus Schikowski, hat in diversen Literatur- und Comic-Magazinen sowie Anthologien veröffentlicht und ist Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift "Comixene". Aktuell ist von ihm der reichhaltig illustrierte Band "Die großen Künstler des Comic" im Edel-Verlag erschienen, mehr dazu
unter diesem Link.

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