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Die alten Lieder: Robert Crumb (mit Banjo) bei einer Musikeinlage.

© Lars von Törne

Comicfestival München: Herrenabend mit Robert Crumb und Gerhard Seyfried

Beim Comicfestival in der bayrischen Hauptstadt präsentieren sich alte Stars und neue Künstler. Die Verzahnung von Innovation und Historie will jedoch kaum gelingen - was ein grandios gescheiterter Abend mit Robert Crumb, Gilbert Shelton und Gerhard Seyfried drastisch vor Augen führt.

Der Unterschied zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis im Alter besteht darin, dass man sich detailliert an Ereignisse aus der Jugend erinnern kann, jedoch mitunter nicht weiß, wo der Hausschlüssel abgeblieben ist. So kennt Robert Crumb, einer der Stargäste des Münchner Comicfestivals, noch genau die Straßenecke in Haight-Ashbury, an der er seine ersten Zap Comix verkauft hat, mit der Gegenwart, zum Beispiel zeitgenössischen Comickünstlern, scheint es dagegen etwas zu hapern. Vielleicht fehlte aber auch nur jemand, der das erinnungsselige Anekdotenaustauschen befreundeter Künstler am Donnerstagabend im Amerika-Haus zielgerecht moderierte.

Der eigentlich dafür vorgesehene Künstlerkollege Gerhard Seyfried entzog sich der ihm zugedachten Rolle jedenfalls, und so entwarfen er, Crumb und der ebenfalls auf dem Podium sitzende Freak-Brothers-Erfinder Gilbert Shelton gemäß ihrer Profession ein Bild, und zwar eines dreier lustloser, alter Männer, die an gegenwärtigen Dingen nicht allzu viel Interesse zu haben scheinen – geschweige denn am Publikum.

Für Zehn Euro Eintritt bekam man also die Möglichkeit, Comic-Geschichte ergeben anzustarren, der Lieblingsmusik Robert Crumbs, dargeboten durch eine hiesige Formation, zu lauschen und, soweit noch Lust vorhanden war, nach einer extrem uninformativen Stunde, Herrn Crumb beim Banjo spielen zuzusehen, und als Publikumskulisse für die sich direkt an der selben Örtlichkeit anschließende und überraschungsarme PENG!-Preisverleihung zu dienen.

Dabei wäre es, anstatt in Erinnerungen an die schlechte, alte Zeit zu schwelgen, interessant gewesen, Querverbindungen zum zeitgenössischen Independent-Comic der USA herzustellen, der sich auf Inhalte bezieht, die denen der Underground-Comix nicht unverwandt sind. Was hält Robert Crumb beispielsweise von Jonny Negrons überproportionierten Damen, die förmlich aus ihrer Kleidung zu platzen drohen? Wo verortet Gerhard Seyfried sein Schaffen im Verhältnis zum subtil bis brachialen Anarchismusverständnis eines Künstlers wie Fil? Was hält Gilbert Shelton von Brandon Grahams tetrahydrocannabinolgeschwängerten Comics, die obendrein von Katzen bevölkert werden?

Die Verzahnung von neuen Strömungen und Comic-Historie will der aktuellen Ausgabe des Münchner Comicfestivals diesmal einfach nicht so recht gelingen. Dieser Eindruck wurde bereits bei den ersten Ankündigungen erweckt und durch ein stark retrospektiv ausgerichtetes Programm bestätigt. Zeigen doch bereits auf dem Plakat im weitesten Sinne dem Themenkreis „Mittelalterfest“ zuzuordnende durchweg männliche Protagonisten wie Prinz Eisenherz, Hägar oder Thor, wo der Mjolnir hängt. Before Watchmen, 75 Jahre Superman sowie Wickie und die starken Männer hätten vielleicht 1985 begeistert, doch wir schreiben gegenwärtig das Jahr 2013. Da sind eine niedrige Frauenquote, gut abgehangene Themen, wenig Manga und mangelnder Gegenwartsbezug eher unangemessen. Die lebenswichtige Quelle und das Innovationen hervorbringende Herz der Comicszene, die unabhängigen Kleinverlage, werden zudem an einen anderen Festivalort abgeschoben, dessen Auffindbarkeit nicht besonders herausgestrichen und zudem durch freien Eintritt (im Gegensatz zum Hauptveranstaltungsort) einer wenig schmeichelhaften Bewertung unterzogen wird. Bescheidene Anregung: Ein Plakatschildträger, welcher sich im näheren Einzugsbereich des Alten Rathauses aufhält, könnte die öffentliche Präsenz erhöhen und einen verstärkten Besucherzustrom befördern.

Dabei hat das Comicfestival bei den beiden Vorgängerausgaben bewiesen, dass es durchaus fähig ist, eine Mixtur von aktuellen und wichtigen Themen nebst dazugehörigen Künstlern zu erstellen - beispielsweise 2011 mit den jüdischen Künstlern Sarah Glidden, James Sturm und Howard Chaykin, die sehr unterschiedliche Wirkungsfelder bestellen und Anhänger haben, die zusammen eine vielfältigere Schnittmenge Comic ergeben, als die diesjährige. Schade, eine verpasste Chance und ein Rückschritt für ein eigentlich viel versprechendes Festival.

Das Festival läuft noch bis Sonntag - zur offiziellen Website mit allen Veranstaltungen geht es hier. Und mehr Tagesspiegel-Artikel zu der Veranstaltung finden Sie hier.

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