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Spider-Man ist Ditkos bekannteste Schöpfung, aber bei weitem nicht seine einzige.

© Marvel

Comic-Pionier: Wer ist Steve Ditko?

Er erfand Spider-Man und Doctor Strange, galt schon in den 1960ern als Visionär und veröffentlicht noch immer Comics. Jetzt wird Steve Ditko 90.

Steve Ditko hätte seinen Bleistift schon vor über 50 Jahren ruhen lassen können, ohne seinen Platz in den Geschichtsbüchern zu gefährden. Es war Anfang 1966, als der Autor und Zeichner das Büro des Marvel-Verlags in der New Yorker Madison Avenue betrat, fertige Seiten für ein Comic-Heft ablieferte, seinen Job kündigte und ging, angeblich noch ehe jemand den Versuch unternehmen konnte, ihn umzustimmen.

Den kommerziellen Erfolg seiner Marvel-Helden Spider-Man und Doctor Strange erreichte Ditko danach nie wieder, seiner Leidenschaft als Autor und Zeichner tat das aber keinen Abbruch. Bis heute veröffentlicht Ditko regelmäßig neue Comics. Doch spätestens seit seinem Abgang bei Marvel wird er gerne als eine Art Thomas Pynchon der Comicwelt dargestellt, als verschrobener Sonderling, der sich abschottet und dessen berufliche und künstlerische Entscheidungen für Normalsterbliche unergründlich sind.

 Der Mythos vom schweigenden Einsiedler

Dabei ist Steve Ditko leicht zu finden.

Das Internet ist voll mit Berichten von Kollegen und Journalisten, die ihn anrufen, Briefe mit ihm austauschen oder ihn besuchen. Die BBC sendete 2007 sogar einen Dokumentarfilm dazu. Nur Interviews gibt Ditko keine, seit 50 Jahren nicht. Und die letzten bekannten Fotos von ihm stammen von 1959, was ihm offenbar recht ist.

Aus dem Archiv: Von Ditko gibt es außer ein paar historischen Bildern keine Aufnahmen.
Aus dem Archiv: Von Ditko gibt es außer ein paar historischen Bildern keine Aufnahmen.

© Marvel/Promo

Auch Ditkos Beweggründe für seine Kündigung bei Marvel sind kein Geheimnis. Es ging, wie so oft in der Comicbranche, um nicht gezahlte Tantiemen, unzumutbare Eingriffe in die künstlerische Autonomie und die mangelnde Anerkennung seiner Auftraggeber. In den vergangenen Jahren hat Ditko seine Haltung zur Kunst, zu Superhelden und insbesondere zu seinem Marvel-Koautoren, dem Spider-Man-Miterfinder Stan Lee, unmissverständlich in einer Reihe von Essays dargelegt. Bloß liest die kaum jemand, wohl auch deshalb, weil sie nur über Ditkos langjährigen Verleger und Vertrauten Robin Snyder zu bestellen sind. Und so scheint der Mythos des schweigenden Einsiedlers vielen wohl attraktiver als die Auseinandersetzung mit dessen Werk.

Stephen J. Ditko wurde am 2. November 1927 in Johnstown, Pennsylvania, geboren, einer Arbeiter- und Einwandererstadt mit damals 70.000 Einwohnern. Ditkos Vater arbeitete in einer Eisenhütte, seine Mutter nähte. Der junge Steve und seine drei Geschwister mussten sich mit wenig zufrieden geben. Sein Interesse an Comics hatte Ditko von seinem Vater, einem begeisterten „Prinz Eisenherz“-Leser. Ditko selbst bewunderte vor allem die „Batman“-Comics Jerry Robinsons und „The Spirit“ von Will Eisner. Er schloss 1945 die Highschool ab und diente danach mehrere Jahre im besetzten Deutschland.

Im Jahr 1950 zog Ditko nach New York, wo sein Idol Robinson an einer Kunsthochschule lehrte. Für Marvel arbeitete Ditko erstmals 1955, mit Spider-Man und Doctor Strange setzte er sich ab 1962 ein Denkmal. Anders als viele seiner Kollegen fertigte Ditko nicht nur die Bleistiftzeichnungen an, sondern tuschte sie auch selbst, was ein ungewöhnliches Maß an Kontrolle über sein Werk bedeutete. Bald setzte er sogar durch, als Autor seiner Geschichten genannt zu werden.

 A ist A

Während die Popularität seiner Helden wuchs, wurde Ditko zum glühenden Anhänger der Ideologin Ayn Rand. Mit Romanen wie „Atlas Shrugged“ propagierte Rand ihre Theorie des Objektivismus, eines radikal libertären, auf einem sogenannten „rationalen Egoismus“ basierenden Kapitalismus. „A ist A“, so Rands grundlegende Erkenntnis: Es gibt immer eine objektive Wahrheit, und die ist weiß oder schwarz, gut oder böse, richtig oder falsch. Wer Graustufen akzeptiert, ist korrupt und böse.

Bereits 1967 erfand Ditko einen Helden, der Rands Philosophie personifiziert: einen in weiß gekleideten maskierten Rächer namens Mr. A, der auch 2017 noch in Ditkos Comics auftritt. Wegen bisweilen halbherziger Auftragsarbeiten und der politischen und didaktischen Sperrigkeit seiner Geschichten hat Ditkos Ruf als großer Comic-Visionär seit den 1960er Jahren gelitten. Zu Unrecht: Seine jüngsten Werke sind Zeugnisse eines Meisters, der seit über 70 Jahren kontinuierlich seine erzählerischen Instinkte schärft.

Wenn wir wirklich wissen wollen, wer Steve Ditko ist und warum er tut, was er tut, dann macht er es uns so einfach wie kaum ein anderer Künstler: Wir müssen ihn nur lesen.

Offenlegung: Der Autor arbeitet als freier Übersetzer für den Panini-Verlag, wo viele von Steve Ditkos Comics auf Deutsch erscheinen. Auch an den Kickstarter-Projekten, mit denen Steve Ditko seine Comics finanziert, hat er sich beteiligt und wird es womöglich wieder tun.

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