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Um den halben Erdball: Eine Szene aus dem ersten Sammelband.

© Ehapa

Comic-Klassiker: Das große Staunen

Rätselhaft, versponnen, lyrisch: Mit der Reihe „Theodor Pussel“ von Frank Le Gall wird jetzt ein moderner Klassiker des frankobelgischen Abenteuercomics wieder zugänglich.

Es sind die Möwen. Vielleicht ist es auch das Meer. Der Himmel? Oder ist es der ratlos blickende Kugelkopf des Protagonisten, der all das sieht, sehen darf, es möglicherweise nie so ganz begreift, seltener noch genießt, der diese Serie zu einem so atemberaubenden Kompendium des Staunens macht?

„Theodor Pussel“ ist eine Ausnahmeerscheinung im frankobelgischen Abenteuercomic. Natürlich, formal geht erstmal alles nach dem vertrauten Muster. Ein junger Mann bricht auf, um die Welt zu sehen. Wir schreiben die Jahre zwischen den Weltkriegen, und dieser Theodor Pussel begegnet im Nahen Osten, in Asien, in der Karibik Piraten, hebt Schätze, übersteht Femmes fatales.

Aber das ist nicht, worum es geht. Le Gall, ein Schüler der Ligne claire, dem Stil von Hergés „Tim & Struppi“, entwirft seine Welt nicht, um den Leser aufzuregen. Alles ist ganz still, ganz elegisch. Weil Theodor Pussel ein Mann ohne besondere Eigenschaften ist, rückt er in den Hintergrund seiner eigenen Erzählung. Er macht Platz für die Welt, und die ist, das wissen wir, bekommen es aber von Frank Le Gall nochmal mit Würde gezeigt, ein Ort zum Staunen.

Parallelen zu „Corto Maltese“

Das erinnert an den anderen großen Fernweh-Apologeten des Comic, Hugo Pratt. Wie dessen „Corto Maltese“ führt uns „Theodor Pussel“ um die Welt, nur um zu sehen. Wie dieser hat auch jener immer mal wieder eine Zeile von Rimbaud parat, um das Geschehen zu erleuchten.

Rätsel in Menschengestalt: Theodor Pussel und seine Nemesis, Herr November.
Rätsel in Menschengestalt: Theodor Pussel und seine Nemesis, Herr November.

© Ehapa

Wie dieser hat auch jener eine Nemesis. Aber anders als Corto Malteses mörderisch zynischer Erzfreund Rasputin ist der Herr November eher ein Rätsel in Menschengestalt, das aufzulösen sich Theodor Pussel nie ganz traut, weil es dann vorbei sein könnte mit dem Staunen.

Sechs Alben lang hetzte Le Gall seinen Pussel um den halben Erdball, zusammen, vor, nach oder gegen jenen Herrn November, ganz wie es die staunenswerte Handlung nötig machte. Und es war erstaunlich, wie gut er seinen umfangreichen, komplexen Plot dabei im Griff hielt. Kein Handlungsfaden blieb liegen.

Möwen, Meer, der Himmel

Es folgten einige kürzere, eher verstreut wirkende Abenteuer von Pussel. Alle noch sehr gut, aber keines so aus dem Bauch heraus wunderbar wie der erste und einzige Großzyklus. Nach insgesamt zwölf Alben, zwischen denen der zeitliche Abstand sich immer mehr vergrößerte, war dann Schluss.

In den drei Wälzern der Gesamtausgabe werden diese, inzwischen zum Teil äußerst raren, Alben nun nachgedruckt. Angereichert mit exzessivem Erklär- und Bonusmaterial durch den französischen Verlag. Über die Unsitte der Ehapa Comic Collection, ausgerechnet die Bonus-Comicseiten, die unverwendeten und Alternativversionen einzelner Seiten und Panels, nicht zu übersetzen, muss mit einem weinenden Auge hinweggesehen werden.

Wichtig ist, dass Frank Le Galls Traum von der Ferne, den Möwen, dem Meer und dem Himmel wieder da ist. Ein moderner Klassiker.

Frank Le Gall: Theodor Pussel, Gesamtausgabe in drei Bänden, Ehapa Comic Collection, bislang sind zwei Bände erschienen, je 240 Seiten, je 35 Euro. Mehr auf der Website des Verlages.

Den Blog unseres Autors Stefan Pannor findet man hier.

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