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Gallischer Siegfried: Eine Szene aus „Alix“.

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Comic-Klassiker „Alix“: Der Sohn des Astorix

Gallischer Siegfried: Der Historiencomic „Alix“ verknüpft Kolportage und historische Fakten. Jetzt gibt es die Gesamtausgabe des Klassikers auf Deutsch.

Nein, bei der Überschrift dieses Artikels handelt es sich um keinen Schreibfehler! Der kleine, schnauzbärtige „Asterix“ der Franzosen René Goscinny und Albert Uderzo, 1959 erstmals aufgetaucht, war nämlich nicht der erste gallische Comicheld. Schon 1948 erfand der Franzose Jacques Martin (1921-2010) für das belgische Comicmagazin „Tintin“ den ebenfalls um 50 v. Chr. lebenden gallischen Sklaven Alix, der der Sohn eines gallischen Häuptlings ist.

In der jetzt in der Ehapa Comic Collection erscheinenden Gesamtausgabe von dessen Abenteuern, die Martin fast ein halbes Jahrhundert lang zeichnete, taucht Alix im Debütabenteuer „Alix der Kühne“ im Jahre 53 v. Chr. als römischer Sklave in Khorsabad auf, einer von den Parthern bevölkerten ehemals assyrischen Stadt (im heutigen Irak), die gerade von den Römern erobert wird. Schnell mausert sich der blonde Jüngling zum mutigen Helden, der sich von einer gefährlichen Situation zur nächsten durchschlägt.

Durch seine Tapferkeit erlangt er Anerkennung und schließt viele Freundschaften, darunter auch mit römischen Offizieren. In Rom wird er von einem reichen Patrizier adoptiert, der seinen verschollenen Vater kannte. Und er macht die Bekanntschaft von Cäsar, wird zu dessen Günstling, und übersteht Intrigen, die mit dem Bürgerkrieg zwischen Cäsar und Pompejus zusammenhängen...

Von Cliffhanger zu Cliffhanger

Schon dieses erste, realistisch gezeichnete Abenteuer ist ein wilder Mix aus Kolportageelementen und historischen Fakten. Der noch jugendliche Alix mit dem blonden Lockenschopf hangelt sich wie Indiana Jones von Cliffhanger zu Cliffhanger und durchreist mehrere Länder, um am Ende als gereifter, unabhängiger Selfmade-Krieger dazustehen, eine Art gallischer Siegfried, bereit für weitere Abenteuer.

Der zuvor als Grafiker tätige Jacques Martin hatte sich zwar schon im Zeichnen von Comics u.a. für das belgische Comicmagazin „Bravo!“ versucht (u.a. mit „Lamar, l´homme invisible“ - “Lamar, der unsichtbare Mann“, beeinflusst von Alex Raymonds „Flash Gordon“), aber noch keine derart lange Geschichte gemeistert wie diese, die am Ende knapp der Länge eines Tim-und-Struppi-Albums von 62 Seiten entsprach.

Klare Linie. Alix und sein Begleiter Enak.
Klare Linie. Alix und sein Begleiter Enak.

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Sein Zeichenstil war zunächst noch unausgereift und wurde vom künstlerischen Leiter des „Tintin“-Magazins, Hergé („Tim und Struppi“), wenig geschätzt. Doch Herausgeber Raymond Leblanc erkannte das Talent des jungen Franzosen und gab ihm bald die Chance, seine Serie zu entwickeln und veröffentlichte - nach einigen zeichnerischen Überarbeitungen - das erste Alix-Abenteuer als Fortsetzungsgeschichte.

Beeinflusst von Romanen wie Gustave Flauberts „Salammbô“, das im antiken Karthago angesiedelt war und Filmen wie „Ben Hur“ (die erste Stummfilmadaption des Romans von Lew Wallace kam 1925 heraus), packte Jacques Martin schon in diese erste Geschichte alles hinein, was ihn an der Antike faszinierte und las eifrig historische Sachbücher, die auf dem neuesten Stand der Forschung waren.

Die historische Sorgfalt schlägt sich in der akribischen Darstellung von Kulissen und Kostümen in „Alix der Kühne“ nieder, und auch an historischen Figuren bietet Martin ein stattliches Who-is-who der damaligen Zeit auf. Ansonsten seht Action im Vordergrund: Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe, Intrigen, Verfolgungsjagden und sogar ein Todesurteil muss der etwa sechzehnjährige Held über sich ergehen lassen.

Im zweiten Abenteuer „Die goldene Sphinx“ reist er nach Gallien, um sein eigenes Volk kennenzulernen (und für kurze Zeit als deren Anführer in die Fußstapfen seines Vaters zu treten), Cäsars Belagerung von Alesia und Vercingetorix´ Niederlage mitzuerleben. Von Cäsar „in geheimer Mission“ nach Ägypten geschickt, lernt Alix den etwa vierzehnjährigen Ägypter Enak kennen, der in allen kommenden Abenteuern sein treuer Freund und Begleiter sein wird.

Auch an „Tim und Struppi“ war Martin beteiligt

Dem heutigen Leser erscheinen die Alix-Abenteuer schon auf den ersten Blick „antik“, wenn nicht altbacken, was am noch etwas hölzernen Zeichenstil Martins liegt. Auf Bitten der Redaktion orientierte sich Martin dann – sichtbar ab den Geschichten „Die verfluchte Insel“ (in Band 1) und „Die Tiara des Oribal“ (Band 2) - am Stil von Edgar Pierre Jacobs, der seit 1946 großen Erfolg mit seiner Serie „Blake und Mortimer“ hatte.

Anfangs führte das zum Konflikt mit Jacobs, der aber bald beigelegt wurde. Jacques Martin wurde so zu einem typischen Vertreter von Hergés „Ligne Claire“, jenem klaren Zeichen- und Erzählstil, der vor allem von Hergé selbst und Edgar Pierre Jacobs geprägt wurde. Martin tilgte alle Unklarheiten (und damit die meisten Schatten) aus seinen Zeichnungen, und legte seine stets selbst verfassten Szenarios ebenfalls klarer und stringenter an.

Wie alles anfing: Das Cover von Band 1 der Gesamtausgabe.
Wie alles anfing: Das Cover von Band 1 der Gesamtausgabe.

© Egmont

Nach kurzer Zeit zählte ihn auch der anfangs so kritische Hergé zu seinen geschätzten Mitarbeitern. 1953 wurde er ins „Studio Hergé“ aufgenommen, wo er bis 1972 arbeitete. Martin gehörte zu den Zeichnern, die ältere Tim-und-Struppi-Abenteuer überarbeiteten oder Hintergründe und andere Detailarbeiten der neuen Tim-Bände ausgestalteten. Insbesondere für die Bände „Der Fall Bienlein“ und „Die Juwelen der Sängerin“ war Jacques Martin verantwortlich.

„Alix“ ist als klassisches Heldenepos angelegt, das Raum für unendlich viele Einzelabenteuer bietet. Wer einmal in die spannenden und abwechslungsreichen Geschichten eintaucht, wird bemerken, dass Martin besonders viel Wert auf stark konstruierte Plots mit spannenden Wendungen und außergewöhnlichen Schauwerten legte.

Nicht nur die historisch genaue Arbeitsweise Martins imponiert: auf durchaus moderne Weise werden auch die Schattenseiten der Antike offengelegt. Die alten Römer sind nicht - wie bei „Asterix“ - böse bzw. lächerlich, vielmehr gibt es alle Arten von Charakteren unter ihnen. Und die Gallier, die in der zweiten Episode auftreten, werden (um beim Vergleich mit „Asterix“ zu bleiben) weniger idealisiert, werden vielmehr als Barbaren gezeichnet (die sie aus heutiger Sicht auch waren), die archaische Rituale pflegten und wie die Römer nicht vor hausgemachten Intrigen gefeit waren.

Seit 2012 gibt es ein modernes Spin-Off

Im Gegensatz zu den üblichen für ein Kinderpublikum konzipierten Serien wird in den Kämpfen bei „Alix“ auch häufig gestorben (was angesichts des historischen Rahmens nur realistisch ist), und auch Sexualität wird nicht ausgespart: die Prostitution in den Armenvierteln und in Subure, dem „Rotlichtbezirk“ Roms wird in späteren Abenteuern drastisch dargestellt, auch werden Harems von Jungen und Mädchen gezeigt, die adelige Römer unterhielten. Solche Bezüge im Rahmen eines Comicmagazins für Jugendliche wie „Tintin“ sind bemerkenswert und Belege für die zeitlose Modernität der Serie.

Trotzdem bleibt Martins Realismus geschmackvoll, badet nicht, wie in heutigen Comicserien oft üblich, in naturalistisch-spektakulärer Ausmalung von Gewaltexzessen in der Antike. Das Abenteuer steht im Vordergrund, das nebenbei - ähnlich wie bei „Asterix“ - dem Leser einiges über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Antike erzählt.

Band 2 der Gesamtausgabe.
Band 2 der Gesamtausgabe.

© Egmont

Alix´ Missionen führen ihn in alle Ecken der damals von Rom dominierten Welt, aber auch weit darüber hinaus, nach Mesopotamien, Afrika oder gar nach China. Als Stellvertreter des Lesers entdeckt der naive und dem Neuen aufgeschlossene Held verborgen lebende Völker, wird konfrontiert mit politischen Gruppierungen, Religionen oder archaischen Ideologien.

In manchen Momenten scheint Jacques Martins Sympathie für die rationalistische griechische Philosophie durch. Deshalb haben irrationale Momente (wie Zauber und Magie) der Heroic Fantasy, die heute eine so bedeutende Rolle in Comics spielt, keinen Platz in „Alix“. Martin interessiert sich vielmehr für die dunklen Aspekte der menschlichen Natur, so das Streben nach Macht, was er unter anderem in „Die Tiara des Oribal“ thematisiert. Neben Alix ist „L. Frank“ (im Original „Lefranc“) eine weitere bekannte Abenteuerserie von Jacques Martin, die in der Gegenwart angesiedelt ist.

Bis 1986 schuf er 18 lange „Alix“-Abenteuer, danach entstanden bislang noch 16 weitere Alben, die von wechselnden Zeichnern gestaltet und zuletzt auch von anderen Szenaristen geschrieben wurden. 2012 startete zudem das in modernerer Optik gehaltene Spin-Off „Alix Senator“ (verlegt auf deutsch bei Splitter), das bislang 5 Bände umfasst und im Jahr 12 v. Chr. spielt, in dem Alix Senator von Rom ist.

So ist es verdienstvoll, dass nun auch diese Serie der „Brüsseler Schule“ (wie die Künstlergruppe um Hergé und das „Tintin“-Magazin heute genannt wird) in einer gut edierten Gesamtausgabe mit umfassendem Hintergrundmaterial erscheint. Da der schon 1937 erstmals erschienene „Prinz Eisenherz“ von Hal Foster eher dem Fantasy-Genre zuzuordnen ist, kann „Alix“ als erster Historiencomic bezeichnet werden.

Jacques Martin: Alix Gesamtausgabe, Ehapa Comic Collection, Band 1 und 2 je 208 Seiten, 35 Euro

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