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Krieg der Bilder: Eine Szene aus „Der Mann, der Chris Kyle erschoss“.

© Carlsen

Comic-Dokumentation „Der Mann, der Chris Kyle erschoss“: Ein Killer wird getötet

Nach der Noir-Trilogie „Tyler Cross“ legt das Duo Nury/Brüno einen Comic-Essay zum Mord am „American Sniper“ Chris Kyle vor.

Bittere Ironie: ein Mann, der im Irak als Scharfschütze mindestens 160 Menschen getötet hat, wird später selbst erschossen. Noch dazu im Schießstand und von einem anderen Kriegs-Veteran. Scharfschütze Chris Kyle brachte es als „American Sniper“ mit dem gleichnamigen Buch und dessen Verfilmung zu einiger Berühmtheit. Eine zwiespältige Figur, im Leben wie im Film.

Einerseits prahlte er mit mehr als den 160 bezeugten irakischen Opfern – nach seinen Aussagen waren es um die 250 - und bezeichnete sie als „Wilde“, die es verdient hätten zu sterben. Andererseits hatte er nach dem Ausscheiden aus der Armee mit Sucht und Depressionen zu kämpfen und engagierte sich für traumatisierte Veteranen.

Einer von ihnen brachte ihn um: Eddie Ray Routh, gerade mal 25 Jahre alt zum Zeitpunkt der Tat. Auch er litt unter Posttraumatischer Belastungsstörung, entkam anders als Chris Kyle aber nicht dem Teufelskreis von Drogen, Wahnvorstellungen und Scheitern.

Über den Mord an Kyle konnte man 2013 in den Zeitungen lesen. Rouths Motiv blieb unklar.

Dass dem jetzt das französische Duo Fabien Nury (Szenario) und Bruno Thielleux alias Brüno (Zeichnungen) nachspürt, überrascht. Ihr Schwerpunkt liegt eigentlich bei der Fiktion. Nury verantwortet als Autor zum Beispiel „Der Tod von Stalin“, Brüno zeichnet bevorzugt Genre-Stoffe.

Die Folgen entfesselter Macht

Aber wie Gewalt Menschen und Gesellschaft versehrt, haben sie in ihren Kollaborationen schon ausgelotet. Ihre erste, die Roman-Adaption „Atar Gull“, zeigt die Brutalität des Kolonialismus und Sklavenhandels. Selbst in ihrer Trilogie „Tyler Cross“ blitzt bei aller Treue zu den Genre-Regeln des Crime Noir Hellsicht auf die Folgen entfesselter Macht auf: am Ende werden alle gleichermaßen zu Opfern und Täter:innen.

Auf dem Schießstand: Eine Szene aus „Der Mann, der Chris Kyle erschoss“.
Auf dem Schießstand: Eine Szene aus „Der Mann, der Chris Kyle erschoss“.

© Carlsen

Das macht auch den Reiz ihres Sach-Comics „Der Mann, der Chris Kyle erschoss“ (aus dem Französischen von Thomas Schöner, Farben von Laurence Croix, Carlsen, 176 S., 24 €) aus. Wie Nury und Brüno die Chronik des Mordtages rekonstruieren, liest sich spannend wie ein Krimi.

Doch darüber hinaus blättern sie die Lebensgeschichten von Täter und Opfern auf (Kyles Freund Chad Littlefield wurde ebenfalls von Routh erschossen) und schaffen damit einen klugen Essay über Selbstbild und Abgründe der USA. Und das, obwohl der Comic als Medium für Essays wenig taugt, weil sich abstrakte Thesen schwer in Bildsequenzen umsetzen lassen.

Nury und Brüno haben es im Fall Kyle aber leicht. Das Internet liefert ihnen als Vorlage eine Fülle an Bildmaterial – Youtube & Co. lassen grüßen. Nur ein Bruchteil ihrer Bilder ist ‚erfunden‘, nämlich die des Mordtages bis zum Notruf durch die Schwester des Täters. Daneben zitieren sie private Fotografien, Ausschnitte aus Interviews mit und zu Chris Kyle und seinem Tod, die Verfilmung von „American Sniper“ mit Bradley Cooper und Werbeclips.

Eindimensionales Männerbild, Nationalismus und Waffenfetischismus

Brünos Zeichnungen übernehmen von den Originalbildern nur die Umrisse von Schauplätzen und Figuren. Mit immer gleichen Körperhaltungen, symmetrischen Gesichter und nur grob angedeuteten Schauplätzen in flächigen Farben gibt er den Panels eine fast sterile Atmosphäre.

Fahrt in den Tod: Eine Szene aus „Der Mann, der Chris Kyle erschoss“.
Fahrt in den Tod: Eine Szene aus „Der Mann, der Chris Kyle erschoss“.

© Carlsen

Das erleichtert die Konzentration aufs Wesentliche: die toxische Mischung aus eindimensionalem Männerbild, Nationalismus und Waffenfetischismus, die zu Kyles Tod führte.

Gleichzeitig arbeitet das Duo heraus, wie sein Leben von den Filmbildern aus „American Sniper“ überlagert und zur Legende wurde. Diese Legende speist sich aus Kyles Werdegang, den Nury und Brüno so faktenreich wie einfühlsam aufblättern.

Als Cowboy und Rodeo-Reiter wie auch als Navy Seal war Chris Kyle der Inbegriff des weißen Amerikas. Die Loyalität zu seinem Land war bedingungslos. Viermal war er im Irak im Einsatz. Undenkbar, dass er den Krieg oder seine Rolle als Scharfschütze jemals hinterfragt hätte.

Im Laufe der Seiten schält sich heraus, wie er sich selbst und wie ihn später die Öffentlichkeit sah: als Symbol der USA in den Jahren nach 9/11, strauchelnd wegen seiner Probleme, doch nie die Kraft und Wehrhaftigkeit verlierend.

Der Mord als Akt der Selbstermächtigung

Dass die auf dem problemlosen Zugang zu Waffen beruht und psychische Probleme mit Süchten zugedeckt werden, ist die verdrängte Kehrseite dieses Selbstbildes. Sie verdichtet sich in der Figur seines Mörders Eddie Routh, ebenfalls Veteran, jedoch einer ohne Kampferfahrung, labil, Drogen zugeneigt, zunehmend gewalttätig, ohne dass seine Umgebung darauf angemessen reagieren würde.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Carlsen

Routh verehrte Kyle. Und doch erscheint es nach Nurys und Brünos Deutung unausweichlich, dass er beim Treffen mit seinem Idol im Schießstand zur Waffe griff und zum zweifachen Mörder wurde. Konfrontiert mit dem, was er gern gewesen wäre, war die Tat für Routh - so vermitteln es zumindest Nury und Brüno - ein Akt der Selbstermächtigung.

Keinen dieser Widersprüche greift der Film „American Sniper“ auf. Am Bild des tragischen Helden Kyle verdienten alle Beteiligten prächtig: Regisseur Clint Eastwood, Kyle-Darsteller Bradley Cooper und nicht zuletzt Kyles Witwe Taya, die mit dem „Sniper“-Image Bücher und ein neuartiges Maschinengewehr bewarb.

„Wenn die Legende Wirklichkeit wird, drucken wir die Legende“, zitieren Nury und Brüno zu Anfang einen Satz aus „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“. Es ist kein geringes Verdienst, dass die beiden Franzosen sich für Faktentreue entschieden haben. Was hinter der Legende an unbequemen Wahrheiten steckt, dürfte ihrer Analyse ziemlich nahe kommen.

Silke Merten

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