zum Hauptinhalt
Gold. Mit dieser Auszeichnung können sich in diesem Jahr die Favoriten der Tagesspiegel-Jury schmücken.

© Tsp

Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2019 – Lars von Törnes Favoriten

Welches sind die besten Comics des Jahres? Das fragen wir unsere Leser und eine Fachjury. Heute: Die Top-5 von Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne.

Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren - hier eine Auswahl der Ergebnisse. Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die besteht in diesem Jahr aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Birte Förster, Christian Endres, Ute Friederich, Moritz Honert, Sabine Scholz, Ralph Trommer, Lars von Törne..

Die Mitglieder der Jury küren in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt. Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landen. Diese Shortlist wird abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 19. Dezember im Tagesspiegel veröffentlicht wird.

Lars von Törne.
Lars von Törne.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Favoriten von Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne

Platz 5: Adventure Huhn
Wenn ich an die Frankfurter Buchmesse im Oktober zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an einen der heitersten Abende, die ich seit langem bei Veranstaltungen dieser Art erlebt habe. Und das ist einer Mainzer Comicautorin zu verdanken, die in diesem Jahr erstmals mit einer Buchveröffentlichung auf sich aufmerksam gemacht hat: Franziska Ruflair. Ihr „Adventure Huhn“ ist die Hauptfigur einer kurzen, schnellen Comicerzählung, die es in sich hat. Am witzigsten ist diese Geschichte im Rahmen einer bebilderten Lesung, wie sie Ruflair in Frankfurt präsentiert hat. Aber auch die stille Lektüre danach war höchst unterhaltsam. Die Geschichte kommt als klassisch anmutende Fantasy-Queste daher, in der sich Videospiel-Anleihen ebenso finden lassen wie Bezüge zu Kunsthochschul-Diskursen und Bildungsroman-Versatzstücke. Die Hauptfiguren: Ein angstloses, aber ansonsten ziemlich beschränktes Huhn und ein von Selbstzweifeln geplagtes Würmchen, die auf eine wilde Abenteuerreise durch eine märchenhafte Mittelalter-Welt geschickt werden. Wortwitz, ironisch gebrochene Dialoge, cartoonig reduzierte Bilder und knallige Farben sind einige der Zutaten, aus denen Ruflair eine kurzweilige Erzählung gebastelt hat, die halb Hommage und halb Persiflage ist. Und eine, die für eine Fantasy-Story angenehm wenig Testosteron enthält: Nahezu alle zentralen Figuren sind weiblich.

Platz 4: Luz: Wir waren Charlie
Der langjährige „Charlie Hebdo“-Zeichner Luz erzählt in seinem Buch so lebendig vom Alltag der französischen Satirezeitschrift in den Jahren vor dem Anschlag 2015, dass man beim Lesen das Gefühl bekommt, bei den Redaktionssitzungen in den von Zigarettenrauch gefüllten Räumen dabeizusitzen. Er reiht ein gutes Dutzend Episoden aneinander, dramaturgisch zusammengehalten durch das Gerüst einer schlaflosen Nacht, in der er seinen Erinnerungen freien Lauf lässt. Schlaglichtartig wird so erhellt, was das Besondere an „Charlie Hebdo“ und seinen Machern war, wenngleich Luz auch weniger glorreiche Aspekte wie den omnipräsenten Chauvinismus der fast komplett männlichen Zeichnergruppe nicht ausspart. Und „Wir waren Charlie“ ist auch visuell faszinierend, denn Luz findet für jede der unterschiedlichen Erzählebenen einen eigenen Strich, von schemenhaften Skizzen über Aquarellbilder bis hin zu leicht karikiert überzeichneten, halb realistischen Bildern, die den Alltag und seine Recherchetouren dokumentieren. Dabei gelingen ihm immer wieder auch grafische originelle Kompositionen. Für deutsche Leser bietet dieses Buch zudem einige Nachhilfestunden in Sachen französischer Politik und Kulturgeschichte.

Platz 3: Shooting Ramirez
In „Shooting Ramirez“ verknüpft der studierte Kommunikationsdesigner Nicolas Petrimaux klassische Krimi- und Actionkino-Elemente mit viel schwarzem Humor und beiläufiger Brutalität in bester Tarantino-Manier zu einer enorm unterhaltsamen Mischung. Und einer sehr ansehnlichen dazu. Die Liebe zum visuellen Detail ist jeder Seite dieses Albums anzusehen. Die Handlung um den mysteriösen Hochleistungsstaubsauger-Fachmann Jack Ramirez ist im Jahr 1987 angesiedelt. Mit präzisem Strich leicht karikiert gezeichneten Figuren agieren in einem perfekt durchkomponierten Setting - bis hin zu Retro-Werbeanzeigen für die in der Story auftauchenden Autos, Kleidungsstücke und Staubsauger zwischen den einzelnen Kapiteln. Die ausgefeilte Kolorierung und das dynamische Spiel mit Panels runden das Werk ab. Zudem hat mich der in Arizona spielende Plot angefixt. Ist er ein stiller Held? Ein Auftragskiller? Oder entpuppt er sich am Ende dieser irrwitzigen Geschichte als etwas völlig anderes? Selten habe ich der Fortsetzung einer Comicreihe so entgegengefiebert wie hier.

Platz 2: Nachts im Paradies
Der Münchener Zeichner Frank Schmolke hat seinen sozialrealistisch angehauchten Noir-Krimi „Nachts im Paradies“ in einer Welt angesiedelt, in der es fast nur dunkle Schatten und gelegentlich grelles Licht gibt. Grautöne sucht man in seinem Genre-Drama, in dessen Mittelpunkt ein desillusionierter Münchener Taxifahrer steht, vergeblich. Die schwarze Tinte ist breit aufgetragen, der Strich wirkt kratzig und unruhig. Der kantige Zeichenstil gibt dem Ganzen eine roh wirkende Anmutung, auch wenn der 1967 geborene Zeichner bemerkenswert feine Nuancen in die Gesichter seiner Protagonisten zu bringen vermag. Gelegentlich kippt die realistische Optik ins Surrealistische. Das ist erzählerisch wie visuell enorm dicht geraten. Derartig expressive Bilder und einen so stringenten Genreplot würde ich im deutschen Comic gerne öfter sehen.

Platz 1: Negalyod
Dieser abendfüllende Science-Fiction-Western ist nicht nur einer der visuell berauschendsten Comics seit Moebius (dem gerade in Brühl eine sehr sehenswerte Ausstellung gewidmet ist). Er hat auch eine packende Story zu bieten, die eingängige Genre-Unterhaltung und komplexe Diskurse bemerkenswert unangestrengt verbindet. Der Saurierhirte Jarré, der eigentlich in den Weiten der Prärie zu Hause ist, wird in einer postapokalyptischen Welt in die Auseinandersetzung zwischen Rebellen und einer autoritären Regierung verwickelt. Bei dem Machtkampf geht es vor fantastischen Wüstenkulissen, ausgefeilten Stadtarchitekturen und Naturdarstellungen von majestätischer Schönheit ziemlich schnell nicht nur ums Überleben der gut konturierten Hauptfiguren, sondern um einige der großen Fragen, die auch die Bewohner unserer Realität beschäftigen: Ökologische Katastrophen, das Ringen um politische Teilhabe, die Aufteilung der Welt in Habende und Dienende, die Balance zwischen Mensch und Natur, Fragen von Religion und Glauben, oder die zunehmende digitale Kontrolle der analogen Welt. Davon erzählt der 35-jährige Franzose Vincent Perriot in auch farblich perfekt arrangierten Bildern, die oft so detailreich sind, dass man sich für Minuten mit einem einzigen Panel befassen kann. Ein Alptraum, von dem ich mir beim Lesen gewünscht habe, er möge nicht allzu schnell enden.

Zur Startseite