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Gold. Mit dieser Auszeichnung können sich in diesem Jahr die Favoriten der Tagesspiegel-Jury schmücken.

© Tsp

Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2018 – Oliver Ristaus Favoriten

Welches sind die besten Comics des Jahres? Das haben wir unsere Leser und eine Fachjury gefragt. Heute: Die Top-5 von Tagesspiegel-Autor Oliver Ristau.

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Leserinnen und Leser wieder gefragt, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren - hier eine Auswahl der Ergebnisse. Parallel dazu war wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die bestand in diesem Jahr aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Ute Friederich, Moritz Honert, Oliver Ristau, Sabine Scholz, Marie Schröer, Ralph Trommer und Lars von Törne.

Die Mitglieder der Jury haben in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres gekürt, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Die Ergebnisse finden sich unter den obigen Namens-Links. Jeder individuelle Favorit wurde von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt. Daraus ergab sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landeten. Diese Shortlist wurde abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die sich unter diesem Link findet.

Oliver Ristau, gezeichnet von
Oliver Ristau, gezeichnet von

© Christopher Tauber

Hier dokumentieren wir die Favoriten von Tagesspiegel-Autor Oliver Ristau.

Platz 5: „Das Schwarze Phantom: Darkenblot“ von Casty & Lorenzo Pastrovicchio
Die Maus ohne Eigenschaften wird in die Zukunft überführt. Genaugenommen in ein von Robotern mit-bevölkertes Utopia namens Avantgarde City. Neben Anspielungen auf die Geschichte der Science-Fiction – wie eine nach Isaac Asimov, dem Erfinder der Robotergesetze, benannte Halle – und der Nutzung von Elementen des in Manga und Anime populären Mecha-Subgenres wird zudem der Einfluss US-amerikanischer Superhelden-Comics wie „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ in den Seitenkompositionen ansichtig.

So weit, so gut, das gleicht in etwa dem, was italienische Disney-Kreative in „Paperinik New Adventures“, einer futuristischen Version von Donald Ducks Superhelden-Alter-Ego Phantomias, bereits in ähnlicher Form durchgezogen haben – wenn auch nicht ganz so konsequent, hier durch den vor der Tezuka-Halle ausgetragene Generationszwist zwischen dem altmodischen Micky und einem mit Charakteristika von im Mainstream-Manga beheimateten Figuren stilistisch definierten Protagonisten veranschaulicht.

Wirklich ganz neue Wege gehen die Autoren jedoch im zweiten Kapitel des Comics, betitelt „Darkenblot 2.0 – Regeneration“, welches nicht nur dank starker Frauenfiguren punktet. Die Anspielungen auf Separatisten wie die Lega Nord, die derzeit den italienischen Innenminister stellen, verpassen der Utopie eine dystopische Schlagseite, die ausgerechnet in einem Micky-Maus-Comic gerade nicht zu erwarten gewesen wäre. Sätze wie „Wenn wir erst ein eigener Staat sind, rechnen wir mit Schnüffelnasen wie Ihnen ab!“ kommen einem leider nur zu bekannt vor und beweisen die zeitgenössische Relevanz dieses Comics.

 Platz 4: „WHOA! Comics“ Jahrgang 2018, herausgegeben von Thorsten Brochhaus
„Whoa! Comics“ trauen sich was. Herausgeber Thorsten Brochhaus versucht, viele verschiedene Dinge unter einen Hut zu bringen, trägt allerdings gar keine dieser kleidsamen Kopfbedeckungen. Exemplarisch für diese Quadratur des Kreises seien hier aus den drei Ausgaben des Jahres 2018 einige Höhepunkte hervorgehoben, die zudem den eigenen Vorgaben, mehr Comics von Frauen zu veröffentlichen, gerecht werden.

Von Genre über autobiografisch gefärbte Resümees wie „Die Beerdigung“ von Johannes Lott bis hin zu durchaus avantgardistischen Dingen wie Anna Helena Szymborskas „Bla“, beide in der dreizehnten Ausgabe, gibt es sich jeder Klassifizierung entziehende Beiträge. Exemplarisch und kontinuierlich vertreten wird diese Tendenz durch das absolute Highlight der Reihe, den psychedelischen Western „Der Typ ohne Hose“ von Andreas Butzbach, welcher das Erzählen mit Bildern verinnerlicht hat und sich in der gerade veröffentlichten fünfzehnten Ausgabe zu nicht mehr erwarteten weiteren Steigerungen aufschwingt, dabei jegliche Peinlichkeit wie die des gemeinhin mit diesem Genre assoziierten Alejandro Jodorowsky vermeidend. Ansonsten ist auch in der vierzehnten Nummer von schmackhaft vergiftetem Backwerk, überreicht durch Lara Keilbart und E*phi sowie elegischem Breitwand-Stillleben seitens Yana Adamovics alles vertreten – einfach Comics also. Ein Begriff, der nach unzähligen Debatten über diesen Namen mittlerweile für alles und nichts stehen kann, was als Fortschritt begriffen werden sollte. Er wird eh nicht mehr weggehen.

 Platz 3: „Maertens“ von Maximilian Hillerzeder

Anlässlich des dritten Platzes zitiere ich aus der Rezension von Maximilian Hillerzeders „Als ich einmal in der Wüste gewesen bin“, in der ich mich nebenher dessen Rätselkrimi „Maertens“ widmete: „Dass auch spritzigere Formen der Inszenierung möglich sind, egal ob nun in Fiktion oder Dokumentation, demonstriert Hillerzeder beispielsweise durch die Einbindung subjektiv wahrgenommenen TV-Konsums auf den einleitenden Seiten von „Maertens“. Ebenso naheliegend: erst zaghaft anmutende und dann, der Intensität und Aussagekraft entsprechend, raumgreifender werdende Sprechblasenkonfigurationen. Zudem wird später durch die grafische Abstraktion der Massen vor dem Bedienungstresen des Fastfood-Restaurants, in dem Maertens sein Tagewerk vollbringt, zugleich ein sozio-ökonomischer Kommentar auf eine von der Umgebung abgeschliffenen Wahrnehmung abgegeben.“

Da kennt sich jemand nicht nur formal gut aus, und die Freude am Ausprobieren ist deutlich spürbar – eine im deutschen Comic viel zu oft vernachlässigte Tugend. Ein weiteres Zitat dazu: „ ... das Kunststück, das „Maertens“ vollbrachte, ist eben die Einbindung des Experiments bei gleichzeitig hohem Unterhaltungswert.“ Für den Willen zum Experiment unter Berücksichtigung des Vergnügens und einer Story, die sich nicht an irgendeiner wie auch immer gearteten Vorlage entlanghangelt, gibt's für „Maertens“ den dritten Platz.

 Das hier sind die beiden Top-Titel von Oliver Ristau

Platz 2: „Endzeit“ von Olivia Vieweg

Das Zombie-Thema, nebst breitgetretener Botschaft „Die wahren Ungeheuer sind wir selbst“, ist so tot, dass es eigentlich schon längst nicht mehr laufen dürfte – aber erzählen Sie das mal Sternenkriegern oder anderen untote Franchises bevölkernden Figuren. Und sage keiner, man könne einem alten Hund keine neuen Tricks mehr beibringen: Die Landschaften im Osten Deutschlands sind blühender als einst von Helmut Kohl prophezeit und muten vor allem glühender an – es ist Sommer, und die Koloration von Ines Korth und Adrian vom Baur leistet wirklich Außerordentliches, die Panels sind bis hin zu den blank gewienerten Fluren mit schützender Unterbringung befasster Institutionen regelrecht lichtdurchflutet. Jedoch, der ganze einst durch George A. Romero etablierte Topos der Untoten als soziologische Abziehfolie, nachgekaut von unzähligen Epigonen, stößt hier auf kühles und erfrischendes Desinteresse.

Der Niveauhuberei im deutschen Comic wird mit eleganter Ironie und der Platzierung eines mit „Bitte nicht hamstern“ beschrifteten Schildes unter dem Denkmal von Schiller und Goethe gedacht, und die jungen Leute im Comic erfahren auch nicht das Heranwachsen, sondern wachsen an ihren Taten – oder an dem, was sie unterlassen.

 Platz 1: „Brautkleid ungetragen“ von Hanna Gressnich
Das in Kontaktanzeigen populäre Adjektiv „tageslichttauglich“ als Selbstzuschreibung kommt, wie das in Hanna Gressnichs Mini-Comic thematisierte Brautkleid, zwar nicht wörtlich zum Tragen, aber sinnstiftend bei der Rezeption der Geschichte durch die Leser*innen zum Einsatz. Das liegt an der eigenwilligen Farbgebung, die manchen zur Lektüre am helllichten Tag zwingen mag. Ein leuchtstiftartiges Gelb lässt bei Kunstlicht alles zu Fragmenten verschwimmen, welche im Auge der Betrachter*innen neue Assoziationen provozieren und so im besten Sinne doppelt induktiv operieren.

Wem dazu David Maruseks exzellente Science-Fiction-Kurzgeschichte „Das Hochzeitsalbum“ einfällt, der ist auf der richtigen Fährte: Das Durchkämmen des Gedächtnisses eines nur zur Erinnerung an den Tag der Vermählung geschaffenen Homunkulus, der das eigentliche Erlebnis der Vereinigung nie erleben wird, trägt dieselbe Trauer eines implementierten Verlustes in sich wie Gressnichs namenlose Protagonistin, der eben nur durch die eigene Leseleistung Odem eingehaucht und durch den gewählten Lichteinfall variierende Gestalt verliehen wird.

So geht das, und dann können auch wieder die elendigen Klischee-Etikettierungen wie „berührend“ und „ergreifend“ hervorgekramt werden, weil hier endlich mal nicht mit den üblichen Mitteln Herzeleid erzeugt und konfektioniert den Massen zum Fraß vorgeworfen wird.

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