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Was würden Sie empfehlen? Das fragen wir unsere Leser und eine Fachjury derzeit unter www.tagesspiegel.de/comics.

© Foto (Internationaler Comic-Salon): Lars von Törne

Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2017 – Barbara Buchholz' Favoriten

Welches sind die besten Comics des Jahres? Das fragen wir unsere Leser und eine Fachjury. Heute: Die Top-5 von Kulturjournalistin Barbara Buchholz.

Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren. Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Der gehören an:
Barbara Buchholz, Kulturjournalistin (www.bbuchholz.de)
Gesine Claus, Comic-Fachhändlerin (Strips & Stories, Hamburg)
Andrea Heinze, Kulturjournalistin (kulturradio vom rbb, BR, SWR Deutschlandfunk, MDR)
Micha Wießler, Comic-Fachhändler (Modern Graphics, Berlin)
Frank Wochatz, Comic-Fachhändler (Comics & Graphics, Berlin)
Lars von Törne, Tagesspiegel-Redakteur (www.tagesspiegel.de/comics)

Die Mitglieder der Jury küren derzeit ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Diese Favoritenlisten veröffentlichen wir sukzessive in den kommenden Tagen auf den Tagesspiegel-Comicseiten. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt. Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten landeten. Diese Shortlist wird abschließend von allen neun Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergibt sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 21. Dezember bekannt gegeben wird.

Barbara Buchholz.
Barbara Buchholz.

© privat

Hier dokumentieren wir die Favoriten von Kulturjournalistin Barbara Buchholz (www.bbuchholz.de)

Platz 5: Ulli Lust: Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein (Suhrkamp)
Acht Jahre nach ihrem autobiografischen Comic „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ erzählt die 1967 in Wien geborene Zeichnerin Ulli Lust ihre bewegte Geschichte weiter. Sie schildert ihre obsessive Beziehung zu dem Afrikaner Kimata in expliziten Bildern, dabei aber verspielt und kunstvoll arrangiert; da ranken sich die verschlungenen Körper wie Ornamente über eine ganze Seite, umringt von Wolken oder zwitschernden Vögeln. Am meisten aber beeindruckt, wie gut Ulli Lust im Comic erzählen kann, wie sie mit dem Bleistift alltägliche Szenen schildert und wie sie ihre Leser mitnimmt: Ihre Ich-Erzählerin kommentiert, wo nötig, ansonsten spielt sich die Handlung in Bildern und Dialogen ab, akzentuiert von Soundwörtern, Schriftformen und -größen und unterschiedlich gestalteten Sprechblasen.

Platz 4: Dominique Goblet: So tun als ob heißt lügen (Avant)
Wirkt auf den ersten Blick sperrig, so liest es sich aber nicht: Dominique Goblet schildert die komplizierte Beziehung der Hauptfigur Dominique zu ihrem Vater und zu einem Liebhaber, der sich nicht von seiner Ex-Freundin loseisen kann; sie erzählt mit Zeitsprüngen in die Kindheit und Perspektivwechseln zwischen ihr und ihrem Liebhaber. Auch grafisch setzt Goblet auf Abwechslung: verwaschene rote Linien zeichnen eine Episode aus der Kindheit, braun-beige-hellblaue Farbfelder in Öl malen den Hintergrund für einen versöhnlichen Dialog; es dominiert aber weicher Bleistift, mal in gedeckten Farben koloriert, mal pur schraffiert. Und die Schriftformen sind mindestens so aussagekräftig wie die Zeichnungen: bedrohlich große oder spiegelverkehrt gelallte Lettern, verschwurbelte Kringel oder luftig-leichte Buchstaben, die über Brüssels Dächer im Abendrot fliegen.

Platz 3: Hervé Tanquerelle: Grönland Vertigo (Avant)
Dieses Comicabenteuer im arktischen Meer besticht nicht zuletzt durch den Kontrast zwischen an Hergés klarer Linie orientierten Figuren und naturalistischen Hintergründen in Aquarell: Eisschollen und braun-grau verwaschene Landmassen, petrolfarbenes Wasser, darüber hellblauer Himmel. Der Comiczeichner Georges Benoît-Jean steckt in einer Schaffenskrise und erhofft sich Inspiration von der Teilnahme an einer Grönland-Expedition an Bord der „Aurora“. Georges mit seinem rot-schwarzen Ringelpullover und seinem Bärtchen ist nur bedingt seetüchtig, schlägt sich aber tapfer durch jede Menge skurriler Ereignisse, bei denen die Bergung von hundertjährigem Whisky und die Errichtung eines falschen Ölturms eine Rolle spielen. Unterhaltsam und sehr schön anzusehen.

Das hier sind die beiden Top-Titel von Barbara Buchholz

Platz 2: Anna Haifisch: The Artist. Der Schnabelprinz (Reprodukt)
Dieses dürre Vogelwesen mit den langen Gliedmaßen, den dünnen Haarsträhnen und den großen leeren Augen ist etwas ganz Besonderes: Voll melancholischer Anmut driftet „The Artist“ durch sein Dasein im zeitgenössischen Hipster-Kunstbetrieb, zwischen Bohèmebude und Origamikranichen, Galeriengecken und arty Parties. Die Zeichnungen sind sparsam, die Farben – Gelb, Orange, Rosa, Blau und Flieder – flächig und hell bis auf ein wenig Schwarz. Künstlerin Anna Haifisch hat den seltsamen Vogel mit gelegentlichem Hang zu Haikus für einen Webcomic entwickelt (der auf der amerikanischen Seite vice.com erschien). „Der Schnabelprinz“ ist der zweite gedruckte Band mit Episoden um den Künstler aus der Feder der Leipzigerin. Skurril-poetisch, so komisch und so schön!

Platz 1: Manu Larcenet: Brodecks Bericht (Reprodukt)
Eine finstere Geschichte, erzählt in starken Bildern: Aus tiefschwarzer, hier und da mit Bürsten zerkratzter Tusche im krassen Kontrast mit weißen Flächen und Flocken erschafft Manu Larcenet den Schauplatz, ein abgelegenes Bergdorf, mutmaßlich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Dessen Bewohner mit ihren zerfurchten Gesichtern, die den Außenseiter Brodeck beauftragen, einen rechtfertigenden Bericht über einen Mord zu schreiben, den sie gemeinschaftlich an einem Fremden verübt haben, sie wirken so unheimlich und bedrohlich wie die Winterlandschaft. Larcenet bannt all dies in streng neben- und untereinander angeordnete Panels, fast wie einzelne Gemälde und Naturstudien, die aber auf den Seiten doch zusammenspielen. „Brodecks Bericht“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Philippe Claudel. Larcenet hat sich die Geschichte zu eigen gemacht und sich die nötigen Freiheiten genommen, er hat gestrafft, geändert und zugunsten der Bilder auf viel Text verzichtet – so klappt es mit Literaturadaptionen.

Barbara Buchholz

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