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 31 wabenförmigen Bildplatten: Feuchtenbergers Werk Werk „Tracht und Bleiche“.

© Christoph Steinweg / LWL

Comic-Altar „Tracht und Bleiche“ in Münster: Feuchtenbergers Passionsgeschichte

Mit einem modernen Altar greift Anke Feuchtenberger Motive aus dem 15. Jahrhundert auf. An diesem Wochenende wird „Tracht und Bleiche“ öffentlich präsentiert.

Ein an Comics erinnernder Altar der Künstlerin Anke Feuchtenberger erzählt die Passionsgeschichte neu. Das Werk „Tracht und Bleiche“ wird an diesem Sonnabend (1.9.) im Auditorium des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster präsentiert, wie dieser mitteilte. Im Mittelalter hätten Kirchenfenster und Altäre den nicht lesekundigen Menschen Geschichten aus der Bibel anhand aufeinanderfolgender Bilder erzählt, hieß es. Der Altar von Feuchtenberger funktioniere nach einem ähnlichen Muster.

Vergewaltigung als Mittel der Kriegsführung

Der Bildzyklus besteht aus vier Ebenen mit 31 wabenförmigen Bildplatten. Feuchtenbergers Erzählstränge gingen assoziativ auf die mittelalterliche Bildwelt ein. Der Künstlerin sei dabei vor allem der Blick auf die Frau wichtig. „Ich bin mir darüber klar, dass ich die Kreuzigung nicht erzählen kann“, so Feuchtenberger. „Hingegen kann ich aus familiärer Erfahrung vom Leiden der Frauen im Krieg erzählen und die Auswirkungen, die er auf mehrere Generationen von Frauen hat.“ Als Beispiel nannte sie Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung.

„Bei Interviews mit Ärztinnen von ,Ärzte ohne Grenzen' in Genf ist mir klar geworden, dass auch heute - wie damals - Vergewaltigung ein Mittel der Kriegsführung ist, das bei aller Allgemeingültigkeit und Massenhaftigkeit dieser Kriegsführung gegen den Leib der Frauen immer eine ganz konkrete Biografie, ein einzigartiger Lebensmut zerstört wird“, sagt Feuchtenberger.

Der Flügelaltar in der Kirche St. Brictius in Schöppingen aus dem 15. Jahrhundert.
Der Flügelaltar in der Kirche St. Brictius in Schöppingen aus dem 15. Jahrhundert.

© Günter Seggebäing, Wikipedia, CC BY-SA 3.0.jpg

Ihre Erzählstränge gehen assoziativ auf die mittelalterliche Bilderwelt ein. Manchmal übersetzt die Künstlerin einzelne Elemente direkt in ihre persönliche Erzählsprache: Das Balsamgefäß ist zugleich ein Zuckerrübensirupglas, die Tür zur Verwahrung der Jungfräulichkeit wird wie ein Kreuz geschleppt, die lebendige Weide (in der Antike ein Mondbaum, ein ewig lebender Baum, im Mittelalter deswegen zum Hexenbaum verdammt) steht an Stelle des Holzkreuzes. „Ich habe unzählige Transformationen vorgenommen, wie auch die christliche Ikonografie aus Transformationen viel älterer Religionen besteht.“

Dialog mit dem Flügelaltar des „Schöppinger Meisters“

Im Februar 2017 hatte das Kunstmuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe Feuchtenberger eingeladen, auf eines der Hauptwerke der Mittelalter-Sammlung, den Flügelaltar des „Schöppinger Meisters“ (entstanden um 1470), mit modernen künstlerischen Mitteln zu reagieren. Ausgangspunkt hierbei war die Darstellung der Leidensgeschichte Christi in einzelnen, aufeinanderfolgenden Bildtafeln, die sehr auffällig an die Formensprache und Erzählweise moderner Comics erinnere. „Es war ein großes Glück, mit Anke Feuchtenberger eine Künstlerin zu gewinnen, der es trotz der Präsenz des Altars gelingt, eine eigene Bilderzählung zu erschaffen. Viele Themen der Passionsgeschichte wie Folter, Leid, Tod, Heimat und Wunder kommen auch in ihrem Werk vor - ein wunderbarer Dialog zwischen Mittelalter und Gegenwart“, erklärt Direktor Hermann Arnhold.

Ein Detail aus Feuchtenbergers Werk „Tracht und Bleiche“.
Ein Detail aus Feuchtenbergers Werk „Tracht und Bleiche“.

© Promo

Entstanden sei ein künstlerischer Dialog auf Augenhöhe, in dem der Comic-Altar „Tracht und Bleiche“ die Passionsgeschichte aus dem 15. Jahrhundert vielfältig neu deutet und fortschreibt. Darüber hinaus führe er vor Augen, welche nahe Verwandtschaft zwischen der Erzählweise des Mittelalters und dem Comic der Gegenwart besteht. „Inspiriert haben Feuchtenberger dabei die christliche Ikonografie, aber auch außerchristliche Symbole, deutsche Märchen und Mythen, Archetypen, Naturerscheinungen, die Motivik der Alchemie und nicht zuletzt auch Ereignisse der Zeitgeschichte“, erklären die Kuratoren des Auftragswerkes, Ingrid Fisch und Daniel Müller Hofstede.

Vier Ebenen durchziehen den Bildzyklus, der aus 31 wabenförmigen Bildplatten besteht: Es gibt die Ebene der Bienen, sie stehe für einen übergeordneten Organismus, für das Perfekte und Heilige. Daneben gibt es die Ebene der Mutter, die auf Vergangenheit, Angepasst-Sein, Leid und Verletzlichkeit anspiele. Die Ebene der Tochter dagegen verbinde das Volkstümliche und Slapstickhafte mit der Zukunft, der Hoffnung und der Fähigkeit zum Wundern. Die Ebene des Witzes schließlich, repräsentiert durch alberne Zuckerrüben und -tüten, diene als komische Entlastung der aufgebauten Spannung.

Die Eröffnung des Comic-Altars ist während der Langen Nacht der Museen an diesem Wochenende in Münster geplant. Dabei findet ein Konzert statt. Die Künstlerin wird anwesend sein. KNA/Tsp

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