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Eine Szene aus Ulli Lusts „Lulu und die Scham“.

© Illustration: Ulli Lust

Ausstellung „Vorbilder*innen. Feminismus in Comic und Illustration“: 30 Frauen, die den Comic verändert haben

Die Wanderausstellung „Vorbilder*innen“ zeigt die gewachsene Bedeutung von Comiczeichnerinnen. Jetzt ist sie beim Comic-Salon Erlangen zu sehen.

In einem fiktiven arabischen Staat regiert das Matriarchat. Die Staatschefin herrscht mit harter Hand, Männer werden auf der Straße von Frauen zum Sexobjekt degradiert, übel angemacht und sind auch andernorts der Willkür ihrer Mitbürgerinnen ausgesetzt. Es sei denn, sie haben eine starke Beschützerin.

Eine Szene aus „Tu ne sais pas qui est ma mère?“ der Beiruter Zeichnerin Tracy Chahwan.
Eine Szene aus „Tu ne sais pas qui est ma mère?“ der Beiruter Zeichnerin Tracy Chahwan.

© Illustration: Tracy Chahwan

Szenen aus der politischen Comic-Satire „Tu ne sais pas qui est ma mère?“ der Beiruter Zeichnerin Tracy Chahwan. Die bislang nicht auf Deutsch veröffentlichte Arbeit der 1992 geborenen Künstlerin ist eine der Entdeckungen, die auch gestandene Comic-Leserinnen und -Leser in der Wanderausstellung „Vorbilder*innen. Feminismus in Comic und Illustration“ machen können.

Die war ursprünglich für den 19. Internationalen Comic-Salon 2020 geplant, der wegen der Pandemie aber nur digital stattfand. Nach drei Stationen in München, Berlin und Schwarzenbach ist die Schau mit dem wortspielerischen Titel jetzt dort zu sehen, wo sie ihren Anfang nahm: Beim diesjährigen Comic-Salon, der vom 16. bis 19. Juni stattfindet.

Die Ausstellung versammelt Arbeiten von 30 Comiczeichnerinnen, die sich im weitesten Sinne als feministisch bezeichnen lassen und reflektiert, wieweit sie anderen Künstlerinnen als Vorbild dienten oder was wiederum ihre wichtigsten Einflüsse waren.

Dazu gehören Wegbereiterinnen der Kunstform wie Julie Doucet aus Kanada, deren schonungslos autobiografische Arbeiten viele andere Zeichnerinnen geprägt haben, oder Anke Feuchtenberger aus Deutschland, die mit einer Porträtgalerie ihrer weiblichen Vorbilder vertreten ist. Auch ein Großteil der anderen hier gezeigten Arbeiten beschäftigt sich explizit oder implizit mit dem Thema Vorbild.

Zwei Seiten von Julie Doucet.
Zwei Seiten von Julie Doucet.

© Illustration: Julie Doucet

Die Ausstellung will hinterfragen, wie Vorbilder installiert werden und welche Folgen das hat, wie die Kuratorinnen – die Journalistin Lilian Pithan und die Übersetzerin Katharina Erben – in der Zusammenfassung einiger ihrer Leitfragen schreiben: „Wie kommt es, dass Comic-Künstler der 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre zu Ehren gelangt sind, während Frauen in dieser Ahnengalerie selten auftauchen? Welche Auswirkungen hat es, wenn Vorbilder größtenteils männlich sind?“

Zwar seien Zeichnerinnen in der Comicszene der Gegenwart stärker vertreten als je zuvor. „Fragt man aber nach einflussreichen Zeichnerinnen, werden meist Zeitgenossinnen genannt. Der prägende Einfluss, den Comic-Zeichnerinnen von Beginn an auf die Entwicklung des Mediums hatten, scheint nicht immer bewusst.“

Es finden sich internationale Bestseller-Autorinnen wie Alison Bechdel („Fun Home“) und die in diesem Jahr beim Comic-Salon als Gast anwesende Liv Strömquist („Der Ursprung der Welt“), die sich in ihren Arbeiten mit Geschlechterrollen beschäftigen. Dazu kommen erfolgreiche heimische Zeichnerinnen wie Ulli Lust, Barbara Yelin oder Katja Klengel.

Starke Prinzessinnen

Daneben lässt sich so manche Zeichnerin entdecken, die hierzulande bislang kaum bekannt ist. Neben Tracy Chahwan ist das zum Beispiel die von Klassikern wie „Sailor Moon“ inspirierte schwedische Manga-Zeichnerin Natalia Batista. Sie hinterfragt in ihrer Fantasyreihe „Sword Princess Amaltea“ eingeführte Rollenbilder, unter anderem indem bei ihr die Prinzessinnen stark sind und die Prinzen aus Notlagen retten.

Eine Szene aus Natalia Batistas Manga „Sword Princess Amaltea“.
Eine Szene aus Natalia Batistas Manga „Sword Princess Amaltea“.

© Illustration: Natalia Batista

Oder die Kroatin Helena Janecic, die Ulli Lust als ihr Vorbild nennt und deren Protagonistinnen sich bei Sex-Shop-Besuchen und in anderen Alltagsszenen über weibliche Lust austauschen.

Die zentralen Schmuckstücke der Ausstellung sind die vielen Originalzeichnungen. So unmittelbar wie hier lässt sich der individuelle Strich von Comicschaffenden sonst selten betrachten. Zwei große handgetuschte Seite aus Alison Bechdels international erfolgreicher Autobiografie „Fun Home“ zeigen ihre enorme handwerkliche Souveränität und beeindrucken durch einen filigranen Stil, der in den Buchausgaben ihrer Werke so deutlich nicht zu erkennen ist.

Eine Originalseite aus Alison Bechdels „Fun Home“.
Eine Originalseite aus Alison Bechdels „Fun Home“.

© Illustration: Alison Bechdel

Julie Doucets fast bis zum letzten Millimeter gefüllte Panels vermitteln einen intensiven Arbeitsprozess, der gut zu ihren von mancher Obsession erzählenden autobiografischen Arbeiten passt.

Und eine Seite von Pia Guerra aus ihrem zusammen mit dem Szenaristen Brian K. Vaughan geschaffenen Science-Fiction-Comic „Y – The Last Man“ sieht im gepinselten Schwarz-Weiß-Original lebendiger aus und hat feiner akzentuierte Linien, als es bei den später für die Veröffentlichung am Computer kolorierten Seiten der Fall ist.

Berührungsverbot für die Vulva

Faszinierend auch die Einblicke in den künstlerischen Schaffensprozess, den zum Beispiel die Skizzen zu Aminder Dhaliwals erfolgreichem Satire-Strip „Woman World“ vermitteln, die von einer Welt ohne Männer erzählt.

Tuschezeichnungen von Judith Vanistendael.
Tuschezeichnungen von Judith Vanistendael.

© Illustration: Judith Vanistendael

Und Judith Vanistendaels Tuscheskizzen für ihre Graphic Novel „Penelopes zwei Leben“, deren Protagonistin sich zwischen ihrer Familie und ihrer Arbeit entscheiden muss, geben eine Ahnung von den handwerklichen Herausforderungen und Möglichkeiten der Aquarelltechnik für den Comic.

Einen großen Fokus haben die Kuratorinnen auf Zeichnerinnen gelegt, die in der deutschen Szene seit einigen Jahren eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Darunter Aisha Franz, die sich in der Science-Fiction-Erzählung „Shit is real“ unter anderem mit weiblicher Selbstermächtigung beschäftigt.

Szene aus einem Comic von Birgit Weyhe.
Szene aus einem Comic von Birgit Weyhe.

© Illustration: Birgit Weyhe

Oder Ulli Lust, deren Erinnerungen an ihre Punk-Jugend mit dem Titel „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ international gefeiert wurden. Lust ist hier mit der wenig bekannten Kurzgeschichte „Lulu und die Scham“ vertreten, die davon handelt, wie wie sie als Kind lernte, die Vulva nicht zu benennen oder zu berühren.

Auch Tagesspiegel-Zeichnerinnen sind dabei

Mit Barbara Yelin, Birgit Weyhe, und Lisa Frühbeis sind zudem drei Zeichnerinnen vertreten, die mehrere Jahre lang auch für den Tagesspiegel gearbeitet haben und in der Sonntagsbeilage von starken Frauen und weiblichen Perspektiven erzählt oder in humorvoller Weise feministische Diskurse auf ihren Alltag heruntergebrochen haben. Frühbeis’ unter dem Titel „Busengewunder“ gesammelte Tagesspiegel-Strips wurden im vergangenen Jahr mehrfach mit Kunst- und Comicpreisen bedacht.

Strukturiert wird die Ausstellung durch acht gut gewählte Themengruppen, die verschiedene Facetten des Ausstellungsthemas beleuchten. Texttafeln geben dem Publikum neben Informationen über die gezeigten Künstlerinnen ihre Werke auch ein paar Kategorien an die Hand, anhand derer sich die Arbeiten in feministische Diskurse einordnen lassen.

Zwei der in der Ausstellung zu sehenden Originalseiten von Liv Strömquist.
Zwei der in der Ausstellung zu sehenden Originalseiten von Liv Strömquist.

© Illustration: Liv Strömquist

Das reicht von der Dekonstruktion klassischer Rollenbilder im Kapitel „Gender Reverse“ über die Bedeutung von Netzwerken unter dem Titel „Girls’ Clubs“ bis zur Beschäftigung mit weiblichen Körperbildern unter dem Titel „Body & Sex Positive“. Video-Interviews und eine gut sortierte Leseecke laden zur vertieften Beschäftigung mit den hier präsentierten Arbeiten ein.

Naturgemäß kann so eine Ausstellung, die 30 ausgewählte Zeichnerinnen zusammenbringt, nur einen Ausschnitt des Themengebietes vermitteln. Manche Pionierin der Kunstform fehlt, für den Comic international besonders wichtige Regionen wie Japan werden nur gestreift.

Aber Vollständigkeit ist hier gar nicht das Ziel. Die Schau soll vielmehr exemplarisch vermitteln, wie wichtig Zeichnerinnen in der lange Zeit männlich dominierten Kunstform inzwischen geworden sind und wie sie den Comic mit oft spezifisch weiblichen und feministischen Inhalten und Darstellungsformen bereichert haben. Das gelingt der Ausstellung auf ganzer Linie.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel wurde im August 2021 zum ersten Mal veröffentlicht und jetzt aus aktuellem Anlass leicht aktualisiert.

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