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Verliebt in Beton: Eine Szene aus „Marode Substanz, Genosse“.

© Edition Moderne

Architektur im Comic: Auf Papier gebaut

Architektur und Comic haben einiges gemeinsam. Zwei neue Bücher huldigen Pionieren der Zunft.

„SeitenArchitekturen – Architektur und Raum im Comic“: So lautet der Titel einer Tagung, die die Universität Düsseldorf im kommenden Frühjahr ausrichtet; immer häufiger ist von Architektur-Comics als Sammelbegriff die Rede. Allein in den vergangenen zwei Jahren erschienen diverse Werke, in denen die Architektur eine prominente Rolle spielt.

Zu nennen wären etwa die zwei bauhausrelevanten Publikationen „Mies – Mies van der Rohe, ein visionärer Architekt“ von Agustín Ferrer Casas und „Der Pavillon – Mord an der Promenade Le Corbusier“ von Andreas Müller-Weiss, der Thriller „Der Magnet“ von Lucas Harari (der in einer von Star-Architekt Peter Zumthor entworfenen Therme spielt) oder auch Sebastian Strombachs Hommage an die wilden Zwanziger „Wolkenbügel – Berlin im Rausch“.

Comicfans können wohl Dutzende weiterer Beispiele vergangener Jahre nennen: Richard McGuires „Hier“, Chris Wares „Building Stories“, David Mazzucchellis „Asterios Polyp“, die Reihe „Geheimnisvolle Städte“ von François Schuiten und Benoît Peeters sowie die avantgardistischen Arbeiten Marc-Antoine Mathieus gehören mittlerweile zu den unumstrittenen Must-Reads des Comickanons.

Traumreisen durch New Yorks Hochhausschluchten

Dass die Beziehung zwischen Comic, Architektur und Design eine besonders fruchtbare ist, liegt auf der Hand. Erstens: Das Medium basiert zu großen Teilen auf räumlicher Gestaltung; Panels müssen eingerichtet und arrangiert werden – nicht zufällig spricht man in diesem Fall von der Seiten-Architektur.

Von Le Corbusier emanzipiert: Eine Szene aus „Charlotte Perriand. Eine französische Architektin in Japan“.
Von Le Corbusier emanzipiert: Eine Szene aus „Charlotte Perriand. Eine französische Architektin in Japan“.

© Reprodukt

Zweitens: Da der Comic ein visuelles Medium ist, wird Atmosphäre (wie im Kino) nicht zuletzt über Kulisse generiert: Einer der ersten Zeitungscomic-Helden, Winsor McCays Little Nemo, unternahm schon vor über hundert Jahren jugendstilverzierte Traumreisen durch New Yorks Hochhausschluchten.

Die Beziehung, die Architektur-Comics zur Architektur pflegen, erinnern in ihrem Stilpluralismus an die Jahrhundertwende-Bauten: Mal ist der Einsatz ornamental, mal funktional. Mal steht die Stimmung im Vordergrund, mal das formale Experiment mit dem Comic, mal die Geschichte einer illustren Persönlichkeit.

Hier Bambus, dort Beton

Jüngst sind zwei neue Architektur-Comics erschienen: „Marode Substanz, Genosse“ von Viken Berberian & Yann Kebbi (Edition Moderne, 336 S., 39 €) und „Charlotte Perriand. Eine französische Architektin in Japan“ von Charles Berbérian (Reprodukt, 112 S., 20 €).

Das Titelbild von „Marode Substanz, Genosse“.
Das Titelbild von „Marode Substanz, Genosse“.

© Edition Moderne

Der erstgenannte ist so eigenartig wie sein Name, eine überdrehte, bunte, absurde Story in Skizzenbuch-Optik. Frunz, der schon als Baby nach dem goldenen Schnitt sucht, kommt als junger Mann auf den Spuren seines armenischen Vaters Mister Beton nach Jerewan.

Die beiden verbindet ihre Liebe zu Beton – das Material, mit dem sie Jerewan zur schönsten Stadt der Welt machen wollen. Großes Vorbild ist dabei Le Corbusier. Frunz gerät ins Schwärmen, wenn dessen Name fällt: „Er zeigte mir die unerträgliche Leichtigkeit der Liebe zu Beton.“

Le Corbusier hat auch im zweiten Comic immer wieder Gastauftritte, unter anderem in Gestalt eines bebrillten Vogels. Von ihm nämlich emanzipiert sich die Designerin und Architektin Charlotte Perriand, als sie 1940 für das japanische Handels- und Industrieministerium als Beraterin für Kunst- und Kunsthandwerk nach Tokio geht.

Das Titelbild von „Charlotte Perriand. Eine französische Architektin in Japan“.
Das Titelbild von „Charlotte Perriand. Eine französische Architektin in Japan“.

© Reprodukt

Zwei Jahre lang begibt sie sich auf die Spuren japanischer Gestaltungsphilosophie und findet in der Schlichtheit und Effizienz von Bambus ein Material, das ihrem Credo entspricht: „Ich finde, es gilt alles zu vermeiden, was Möbel oder Gegenstände ohne sinnvollen Nutzen verziert.“

Hier Bambus, dort Beton; hier zarte Tusche, dort dicker Buntstift; hier Biografie, da Fiktion; hier Poesie, da Punk. In beiden Werken wird alles andere als oberflächlich über Architektur nachgedacht. Und beide sind absolut lesenswert.

Marie Schröer

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