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"Esthers Tagebücher" sind als Projekt auf zehn Jahre angelegt.

© Promo: Riad Sattouf/Reprodukt

Alltagsdrama Pubertät in "Esthers Tagebüchern": Tagebücher einer Stadtgöre

Nach autobiografischen Graphic Novels hat sich Riad Sattouf vorgenommen, mit "Esthers Tagebüchern" die Verwandlung einer Zehnjährigen zur Erwachsenen zu dokumentieren - zehn Jahre lang.

Von Carsten Werner

Jungs, Schönheit, Popstars, die verwirrenden Unterschiede zwischen Arm und Reich, Alt und Jung, Männlein und Weiblein – das sind die Themen der neun- und dann auch bald zehnjährigen Esther. Ein Jahr lang hat sich der Zeichner Riad Sattouf wöchentlich von ihrem echten Vorbild, der Tochter eines Freundes, aus deren Alltag erzählen lassen und darüber einen Comicstrip produziert.

Die einseitigen, sehr textlastigen Tableaus sind fast alle in je etwa ein Dutzend fast gleich kleine Bilder aufgeteilt und nur ausnahmsweise mal durch größere Formate gebrochen. Die schwarz-weißen Zeichnungen sind in einer Woche für Woche (im Buch Seite für Seite) wechselnden Zusatzfarbe koloriert und jeweils an wenigen Stellen mit einer weiteren knalligen Farbe akzentuiert. Das schafft schöne, fast filmische Effekte.

Gute Frage von Esther (9) an die Familie.
Gute Frage von Esther (9) an die Familie.

© Promo: Riad Sattouf/Reprodukt

Bis auf ganz wenige, um so innigere Momente – etwa beim eng umschlungenen, selbstvergessenen Tanzen mit der besten Freundin unter Kopfhörern, beim Fernsehen mit der ganzen Familie oder beim Erschnuppern des heimisch vertrauten Ravioli-Dosen-Duftes – haben die Gesichter der Kids einen verstörenden Ausdruck: Der variiert konsequent nur von Staunen und Wundern über Zweifel und Verzweiflung bis zu Schrecken und Angst; oft einhergehend mit wenigen Tropfen Schweiß oder Tränen. Das wird den Verwirrungen und Verwerfungen der beginnenden Pubertät eindrücklich gerecht, zu denen ständig auch die wichtige Frage gehört: Wer hat schon ein iPhone (und wenn ja: welches)?

Sattoufs Figuren beben, riechen und tönen angemessen pubertär

Die Titelheldin und auch die Figuren um Esther herum sind weder niedliche noch witzige Kindchen: Vielfach sind sie naiv – und genau so hilflos wie die erwachsenen Lehrer und Eltern als Randerscheinung. Vor allem aber sind sie laute, verträumte, zuweilen rätselhafte und fast immer nervige Gören. Trotz der vielen Texte – neben Szenenbeschreibungen und Sprechblasen sind in den meisten Bildern noch kleine Erläuterungen und Hinweise von Esther untergebracht – beben, riechen und tönen Sattoufs Figuren intensiv.

Esther, deren Tagebücher Riad Sattouf zehn Jahre lang als Comic publizieren will.
Esther, deren Tagebücher Riad Sattouf zehn Jahre lang als Comic publizieren will.

© Promo: Riad Sattouf/Reprodukt

Die Sprache der deutschen Übersetzung wirkt dabei leider streckenweise etwas hölzern. Dass sie sich zwischen erwachsener Distanz und kindlich-jugendlicher Fantasie, Naivität und Coolness nicht entscheidet, mag zum Reiz auch des Originals gehören. Man wünscht sich beim Lesen aber öfter einen etwas alltäglicheren als schriftsprachlichen Sound – der ließe die eindrucksvolle kindliche Perspektive des Werkes noch intensiver wirken.

Sattouf, der für seine zweiteilige autobiografische Graphic Novel über eine Kindheit im Nahen Osten ("Der Araber von morgen") beim Comicfestival in Angoulême preisgekrönt wurde, will seine Protagonistin mit „Esthers Tagebüchern” (Reprodukt, 56 Seiten, 20€) zehn Jahre lang ins Erwachsenenalter begleiten. Man freut sich, so nah dabei sein zu dürfen.

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