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Plastisch: Eine Szene aus "Three Dimensional Tales from the Crypt of Terror No. 2" aus dem Frühjahr 1954 von Al Feldstein.

© TM & William M. Gaines Agent, Inc. / Taschen

75 Jahre EC Comics: American Angst

Der US-Verlag EC Comics revolutionierte das Medium - zur Begeisterung der Leser, zum Hass der Institutionen. Zwei Jubiläumseditionen versuchen, das zu würdigen.

Der Sturz war so tief wie der Aufstieg hoch: als der Comiczeichner George Evans 1956 bei DC Comics um Aufträge nachfragte, wurde er brüsk abgewiesen. "Ihr Leute habt den Markt für Comichefte zerstört und jetzt glaubt ihr, wir geben euch Arbeit? Nicht bei mir", beschied ihm DC-Redakteur Bob Kanigher.

Die "Leute", die Kanigher meinte, und zu denen Evans gehörte, waren die Zeichner des Comicverlags EC Comics, einem 1945 gegründeten Kleinverlag, der Anfang der Fünfzigerjahre beinahe die gesamte US-Comicindustrie umgekrempelt hatte, der Tabus in der Branche brach - und hart dafür bestraft wurde.

Detail einer Titelzeichnung von Wallace Wood für "Weird Science" aus dem Jahr 1952.
Detail einer Titelzeichnung von Wallace Wood für "Weird Science" aus dem Jahr 1952.

© TM & William M. Gaines Agent, Inc. / Taschen

75 Jahre nach Gründung gilt EC Comics als Meilenstein der amerikanischen Comicgeschichte, dem man nicht nur die ersten literarischen Comichefte verdankt. Sondern auch die Erfindung des Nonsens-Magazins "MAD", das Generationen von Humoristen beeinflusst hat.

Während die Comichefte von EC schon 1956 eingestellt wurden, hat es "MAD" über mehrere Verkäufe an andere Rechteinhaber immerhin bis ins Jahr 2020 geschafft. (Gerüchten zufolge plant DC, denen der Titel inzwischen gehört, nach einem radikalen Umbau im Verlag allerdings eine endgültige Einstellung.)

Doppel zum Jubiläum

Zwei voluminöse Bände versuchen anlässlich des 75. Jubiläums des Verlags Feierstimmung aufkommen zu lassen. "Choke! Gasp! - The Best of 75 Years of EC Comics" (Dark Horse, 528 S., rund 40 €) versammelt einige der besten Comics des Verlags, "The History of EC Comics" (Taschen, 592 S.; 150 €) erzählt opulent bebildert die Geschichte des Verlags. Erst zusammen ergeben beide Bände eine angemessene Würdigung - und das ist ein Problem.

Gegründet wurde EC Comics von Maxwell Gaines, der davor als Redakteur des Verlags All American Comics an der Schaffung von Figuren wie Wonder Woman oder Flash beteiligt gewesen war. 1945 veräußerte er seine Rechte an All American Comics an den Kompagnon und gleichzeitig Konkurrenten National Comics, aus dem später DC werden sollte.

Cover-Galerie: Eine Doppelseite aus "The History of EC Comics".
Cover-Galerie: Eine Doppelseite aus "The History of EC Comics".

© Taschen

Mit den 500.000 Dollar aus dem Verkauf gründete Gaines Educational Comics, oder kurz EC, ein Verlag, der sich darauf spezialisieren sollte, Comicadaptionen der Bibel und der amerikanischen Geschichte zu veröffentlichen.

Gaines' Sohn Bill, ein überzeugter Atheist, der die Firma nach dem Tod des Vaters 1947 eher widerwillig übernahm, machte aus den Bibelheften Western- und Krimicomics - letztere erfreuten sich seit Kriegsende gewaltiger Begeisterung in den USA.

Damit begann der Aufstieg des bis dahin eher vor sich hin dümpelnden Verlags. Wenig später kamen Kriegs-, Horror- und Science-Fiction-Comics dazu. Auch wenn Gaines später wiederholt geäußerte Behauptung falsch ist, er sei der erste in Amerika gewesen, der Horrorcomics veröffentlicht hat (erste Horror-Hefte erschienen bereits vorher bei anderen Verlagen), war er doch der erste, der sich vollständig auf sogenannte "harte" Genres kaprizierte. Während alle anderen Verlage ein wildes Misch-Masch aus Superhelden, Romantik-, Fun- und Krimititeln ausstießen, gab es bei Gaines nur Krimi, Horror, Science Fiction und Kriegshefte. (Und die Parodie darauf, aber dazu gleich mehr.)

Doch nicht das Genre machte den Unterschied, sondern die Machart. Gaines gelang es nicht nur, zwei der klügsten Comicautoren ihrer Zeit zu engagieren - Al Feldstein und Harvey Kurtzmann, beide ebenfalls Zeichner - die zusammen fast zwei Drittel aller EC-Hefte texteten. Von Beginn an wurde zudem Wert auf eine individuelle Handschrift der Zeichner gelegt. Das war damals unüblich.

Zwar legten Comicstrips in Zeitungen hohen Wert auf Individualität, immerhin waren die Strips ein Verkaufsargument für erwachsene Leser. Comichefte dagegen wurden von oft anonym bleibenden Zeichnern in Studios produziert. Als Kunden der Hefte sah man Kinder, denen man nur geringen Geschmack zuschrieb. Die gering bezahlten Zeichner sollten im Bedarfsfall schnell und unauffällig ersetzbar sein, also einen möglichst unindividuellen Stil haben, und Massenware produzieren.

Verrückt nach MAD: Eine Doppelseite aus "The History of EC Comics".
Verrückt nach MAD: Eine Doppelseite aus "The History of EC Comics".

© Taschen

Anders bei EC. Die gebotene Freiheit führte zu grafischen Ergebnissen, wie man sie im Comic außerhalb der Tageszeitungen noch nicht gesehen hatte. Beispielhaft lässt sich das ablesen an Wally Wood, der vom relativen No-Name mit wenig individuellem Strich innerhalb von nur knapp einem Jahr zu einem Meister des Details wurde und einen hyperrealistischen Stil pflegte, den er bei Bedarf scheinbar mühelos zu einem karikaturistischem Strich kippen lassen konnte.

Dass Woods Entwicklung (und nicht nur dessen!) so schnell vonstatten gehen konnte, hatte auch mit der Struktur der Hefte zu tun. Beinahe jedes EC-Heft enthielt vier Kurzgeschichten von sieben bis acht Seiten Länge. Jeder Zeichner erhielt so viele Aufträge, wie er schaffte. Wood, einer der produktivsten Zeichner des Verlages, machte davon reichlich Gebrauch, in allen Genres des Verlags.

Andere legten sich eher fest. Graham Ingels zeichnete fast ausschließlich Horror-Comics, und brachte es es mit seinem exzessiv feinen Strich zu einer Meisterschaft, die ihn zu Vorbildern für spätere Horror-Meister wie Bernie Wrightson und Kelley Jones machte.

Ironie und Sarkasmus: besonders scharfe Messer

Allen Autoren und Zeichnern, und dem Verleger Gaines, war ein ironischer bis sarkastischer Blick auf die Welt gemein. Insbesondere die Horrorcomics waren von oft übertriebener, schwarzhumoriger Art. In "Death of some Salesmen" (eine Anspielung auf den Originaltitel von Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden") etwa zeigt ein Ehepaar einem Vertreter, wie es die Dinge, die ihnen andere Haustürvertreter anboten, zunächst an denen selbst ausprobiert hätte. So wurde der Kühlschrankvertreter tiefgefroren, der Heißmangelvertreter gemangelt ... Was er denn anbiete? Ah, besonders scharfe Messer ...

Die Kurzgeschichte „Master Race“ von Al Feldstein und Bernard Krigstein gilt als ein Meilenstein der Kunstform.
Die Kurzgeschichte „Master Race“ von Al Feldstein und Bernard Krigstein gilt als ein Meilenstein der Kunstform.

© Abbildung aus "Choke! Gasp! - The Best of 75 Years of EC Comics"

Sowieso war man nicht nett zum "American Way of Life". In "The Automaton" wird ein Mann, der sich umbringen will, wieder und wieder gerettet und dabei stückweise in einen Roboter verwandelt - weil die Firma, der er gehört, seine Arbeitskraft braucht. In "Ear today ... gone tomorrow" verkaufen zwei skrupellose Geschäftsleute Dünger aus Leichenteilen.

Mit solchen Geschichten dockte man an den Zeitgeist an, jedenfalls bei einem Teil der Leser. Der hatte sich von Nachkriegseuphorie zu allgegenwärtiger Angst vor Kommunismus und Atombombe gewandelt.

Und so enthielt beinahe jedes Science-Fiction-Heft des Verlages enthielt eine Geschichte, in der die Welt durch einen Atomkrieg untergeht. Und man weiß selten, ob es sich um eine Parodie auf die Paranoia oder um eine ernstgemeinte Warnung vor dem Krieg handeln soll.

In "The Last Man" entdeckt der Überlebende, dass die einzige noch lebende Frau auf dem Planeten seine lang verschollene Schwester ist. In "Child of Tomorrow" sind die einzigen Kinder, die nach dem Krieg gezeugt werden, unansehnliche Mutanten, die über den in den Augen des Lesers normal aussehenden Vorkriegsmenschen lachen. In "Close Call" hört eine Frau nach langer Suche nach Überlebenden ein Telefon klingeln. Als sie abhebt, bescheidet ihr das Gegenüber "Falsch verbunden!" und legt auf.

Foul Play: Krieg und Zensur

Eine Ausnahme in der Machart bildeten die Kriegscomics. Auch wenn diese Comics nicht, wie später gelegentlich von Kritikern behauptet, Anti-Kriegs-Comics waren ("EC steht fest an der Seite unserer Truppen in Korea" hieß es in den Heften), erreichten sie doch einen Grad von Realismus in der Schilderung des Truppenalltags, der im Comic bis dato nie erreicht worden war und lange danach nicht mehr erreicht werden sollte. Realistisch aus Erfahrung: fast alle Zeichner des Verlags hatten im Zweiten Weltkrieg an einer der Fronten gedient.

Titelbild eines "Tales of Terror"-Sammelbandes von 1951, gezeichnet von Al Feldstein.
Titelbild eines "Tales of Terror"-Sammelbandes von 1951, gezeichnet von Al Feldstein.

© TM & William M. Gaines Agent, Inc. / Taschen

Während die Science-Fiction-Hefte mit niedrigen Auflagen zu kämpfen hatten, zählten die Horror-Hefte zu den bestverkauften Comics ihrer Zeit. Ungemein erfolgreich waren auch die Kriegscomics - freilich nur bis 1953, als der Koreakrieg zu Ende ging.

Und noch etwas war neu: Die Leser waren fast durchgängig aus der Pubertät heraus, gebildet, häufig Studenten oder Menschen mit Universitätsabschluss. Autoren wie Ray Bradbury ("Fahrenheit 451") schrieben begeisterte Leserbriefe. Erstmals sprachen Comichefte ein erwachsenes Publikum an.

Das wurde EC zum Verhängnis. Angezettelt durch den Psychologen Fredric Wertham ("Seduction of the Innocent"), der in Comics grundsätzlich eine Jugendgefährdung sah, vor allem aber in Horror-Comics, kam es zu einer Welle negativer Berichterstattung und letztlich einer Senatsanhörung. Wertham rieb sich an Geschichten wie "Foul Play", in denen Baseball mit Leichenteilen gespielt wurde, der Senat an einem Cover, auf dem der abgehackte Kopf einer Frau zu sehen war. Sowas würde Kinder (die die Hefte kaum lasen) verstören.

Es kam zur Gründung der Comics Code Authority, die ab 1954 sämtliche Comichefte der USA kontrollieren sollte. Dazu wurde ein umfangreicher Regelkatalog aufgestellt, der u.a. die Verwendung des Begriffs "Horror" verbot. Ebenso hatte stets das Gute zu siegen. Wegen dieses einengende Katalogs warfen Aktive wie Kannigher den EC-Leuten vor, den Markt zerstört zu haben.

Der Geist der Gegenkultur

In Folge, und nach einem längeren Kampf gegen diese Zensureinrichtung stellte Gaines 1956 das Comicprogramm ein - mit Ausnahme des Satireheftes "MAD", das schwarzweiß und im Magazinformat erschien und damit, seltsame Regelung der Bürokratie, nicht der CCA unterlag.

Eine Doppelseite aus "The History of EC Comics".
Eine Doppelseite aus "The History of EC Comics".

© Taschen

"MAD" war bereits 1952 von Harvey Kurtzmann gegründet worden und bot den Zeichnern von EC die Gelegenheit, sich selbst zu parodieren. Bereits die erste Ausgabe öffnete mit einer Satire auf EC-übliche Horrorgeschichten, gezeichnet von Jack Davis, der fleißig die Horrorhefte des Verlags bestückte, gefolgt von einer Science-Fiction-Parodie, gezeichnet von Wood, der sich in den ernsten EC zusehends auf dieses Genre kaprizierte.

Die Geschichte von EC ist eine aufsehenerregende Geschichte junger Revolutionäre, die das Medium Comicheft modernisieren wollten und an den Institutionen scheiterten. Viele von ihnen verließen das Medium danach ganz, wie Graham Ingels oder Bernard Krigstein.

Ebenso ist es die Geschichte einer verpassten Chance: EC hätte das Medium Comicheft bereits in den Fünfzigerjahren modernisieren und Erwachsenen zugänglich machen können. Das Comics noch auf Jahrzehnte als Kinderkram galten, lag auch an den strikten Regeln der CCA, die als Gegenpol zu den EC-Heften aufgestellt wurden. Die Geschichten freilich konnten sie nicht töten. Fernsehserien wie "Alfred Hitchcock presents" (ab 1955) oder "The Twilight Zone" (ab 1959) atmeten sichtlich den Geist der EC-Hefte.

Leider erzählt der Dark-Horse-Band nichts davon. Er erzählt ebensowenig, wie sich die Zeichner der Gegenkultur wie Robert Crumb und Gilbert Shelton auf EC als prägendes Element beriefen. Oder Jerry Garcia, Mitgründer der prägenden Gegenkultur-Band Grateful Dead: "Für mich waren die Fünfzigerjahre Rock'n'Roll und EC." Und er vermittelt auch nicht, dass George Lucas, Steven Spielberg, Tim Burton und andere in Hollywood von EC beeinflusst waren.

Nicht chronologisch sortiert, sondern nach den Nachnamen der Zeichner, enthält der Band von jedem einige der besten Episoden, unkommentiert und ohne zeitliche Einordnung. Noch eine Sünde: trotz des Umfangs von über 500 Seiten ist keines der aufsehenerregenden Cover der Hefte enthalten.

Alien-Alarm: Das Titelbild von "The History of EC Comics".
Alien-Alarm: Das Titelbild von "The History of EC Comics".

© Taschen

Am schlimmsten freilich ist die neue Farbgebung. Völlig unpassend zum gewählten Papier ausgeführt, überdeckt sie viele Details und jeden Unterschied in den Zeichnerstilen. Hier bietet sich der Vergleich zu vor einiger Zeit bei DC USA erschienenen Nachdrucke der frühen "MAD"-Comics ("MADs Original Idiots", 3 Bände im Schuber), ebenfalls neu koloriert - aber passend zum Papier, so dass selbst im dezent verkleinerten Format keine Details verloren gehen und die Unterschiede zwischen den Zeichnern offenbar werden.

Wie das alles im Original aussah, kann man in dem bei Taschen erschienen Bildband nachschauen. Mit einem Begleittext des EC-Historikers Grant Geissman versehen, enthält der Band nicht nur rare Abbildungen wie etwa diverse Karikaturen, mit denen sich die Zeichner im Büro gegenseitig amüsiert haben, und Fotos aus Privatarchiven. Sondern auch Reproduktionen diverser Comicseiten in verschiedenen Stadien der Herstellung, Originalseiten, originale Farbgebung und, manchmal erschreckend, das Ergebnis im Druckprozess der Fünfzigerjahre.

Das Titelbild von "Choke! Gasp! - The Best of 75 Years of EC Comics".
Das Titelbild von "Choke! Gasp! - The Best of 75 Years of EC Comics".

© Dark Horse

Vor allem aber sind sämtliche Cover der EC-Comics abgebildet. Sie bilden fast eine Gattung für sich: keinem anderen Verlag gelang es, Titelbilder zu produzieren, die gleichzeitig ironisch und poetisch, heroisch und bitter, geladen mit der Energie des Pulp und doch literarisch waren. Kein Wunder, dass viele Zeichner, darunter Frank Frazetta und Jack Davis, später Zeichner von Buchcovern und Plakaten wurden, die die Popkultur geprägt haben.

Nur leider: vollständige Comics sind bloß wenige enthalten, und es erschließt sich nicht, warum einige in voller Größe, andere nur verkleinert, einige ganz und andere auszugsweise abgebildet werden. Hier bleibt nur der Rückgriff etwa auf den Band bei Dark Horse.

Übrigens: George Evans fand mehr als 15 Jahre später übrigens doch noch Arbeit bei DC. Er zeichnete Kriegscomics nach den Skripten von Kanigher.

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