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Königskinder. Der Komponist Wiktor (Tomasz Kot) kehrt nach einer West-Tournee nicht zurück. Zula (Joanna Kulig), der Star der Folkloregruppe, bleibt in Polen. Über viele Jahre trennen und treffen die beiden sich immer wieder.

© Neue Visionen

„Cold War“ von Pawel Pawlikowski: Liebe in Zeiten des Totalitarismus

Oscar-Gewinner Pawel Pawlikowski erzählt in seiner palmengekrönten Schwarzweiß-Elegie „Cold War“ von den Widrigkeiten des Exils. Eine Begegnung.

Weit, kalt und leer ist der Himmel über Polen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch die zerstörte Kuppel einer Landkirche sieht man nur winterliches Grau und ein paar kahle Baumwipfel. Aus den Resten eines Freskos schauen milde die Augen Christi. Dem Kulturfunktionär, der in der Ruine sein Wasser abschlägt, mag die Botschaft dieses Ortes gleichgültig sein. Doch „Cold War“, der Film, dessen Geschichte mit diesen Bildern beginnt, nimmt sie ernst und kommt deshalb am Schluss auch hierher zurück.

Eine Rückkehr ist der Film auch für seinen Regisseur, in doppelter Hinsicht. Pawel Pawlikowski, 1957 in Warschau geboren, verließ Polen mit 14 Jahren, lebte in Italien und Wuppertal und ließ sich 1977 in Großbritannien nieder. Er studierte Literatur und Philosophie in Oxford, realisierte Dokumentarfilme für die BBC und seit der Jahrtausendwende auch Spielfilme. Für die Dreharbeiten seines mit dem Europäischem Filmpreis und dem Auslands-Oscar prämierten Films „Ida“ ging er 2013 nach Polen zurück.

Nun hat er mit „Cold War“, der dieses Jahr in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde und mit fünf Nominierungen Favorit beim Europäischen Filmpreis im Dezember ist, seinen zweiten „polnischen“ Film gedreht. Wieder in Schwarz-Weiß, wieder in der Nachkriegszeit angesiedelt, ist „Cold War“ die folgerichtige Weiterentwicklung einer historischen, moralischen und ästhetischen Versuchsanordnung. Wo „Ida“ dem Schatten der Vergangenheit nachspürte und die Frage stellte, welches Opfer das Eintreten für den neuen, sozialistischen Staat verlangt, geht es jetzt um den Preis des Widerstands, um die Schwierigkeit eines geglückten Lebens im Exil. Der Titel „Cold War“ beschreibt den zeithistorischen Rahmen einer Liebe: Was dort die ständige Bedrohung, ist hier eine große Leidenschaft als permanentes, nicht lebbares Versprechen. Eine rein gefühlte Wirklichkeit.

„Cold War“ beginnt im Winter 1949 und umfasst in etwa die 15 Jahre vor „Ida“. Der Komponist Wiktor ((Tomasz Kot) reist mit einer Choreografin und einem Vertreter der Kulturbehörde durch das kriegsversehrte Land, sammelt traditionelle Melodien und talentierte junge Menschen für ein neues Folkloreensemble. Als sich die schöne, eigensinnige Zula (Joanna Kulig) mit einem russischen Filmschlager bewirbt, interessiert sich Wiktor sofort für sie. Sie ist so anders als er selbst – die beiden verlieben sich.

Filme funktionieren für den Regisseur wie emotionale Elektroschocks

Das Ensemble wird ein Erfolg über Polen hinaus, doch als die künstlerische Arbeit zunehmend politisch vereinnahmt wird, setzt sich Wiktor bei einem Auftritt in Ostberlin in den Westen ab. Zula wählt im letzten Moment die sichere Karriere als Star der Truppe. Über die nächsten zehn Jahre treffen sich die beiden immer wieder, in Jugoslawien, in Paris, in Polen.

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Der Film, für den Pawlikowski auch das Drehbuch schrieb, ist angelehnt an die Liebesgeschichte seiner inzwischen verstorbenen Eltern. Das Paar im Film arbeitet sich ab an seiner Gegensätzlichkeit, an den Wesensunterschieden, dem Geschlechterrollen-Verständnis, der Exilsituation. Wobei die emotionale Dynamik nicht erklärt wird, vielmehr hat Pawlikowski intensive Momentaufnahmen aneinandergefügt, rhythmisiert durch erzählerische Ellipsen und Schwarzfilm-Pausen. „Die Psychologie muss der Zuschauer selbst mitbringen,“ erläutert der Regisseur seine künstlerische Strategie im Gespräch. „Ich glaube nicht, dass es im Film – oder in der Kunst überhaupt – um Erklärungen geht. Es funktioniert eher wie eine Serie von Elektroschocks, von starken Emotionen, denen das Gehirn folgen muss.“

Musik als zentrales erzählerisches Motiv

Pawlikowskis Bilder sind im besten Sinne altmeisterlich, sie strahlen die Aura des Erhabenen aus. Ruhig, klassisch zentral komponiert, und im schmalen Akademieformat ist ihnen ein Alltagsglamour zu eigen, der an den italienischen Neorealismus erinnert und an die Bildsprache des osteuropäischen Nachkriegskinos. Parallel zur immer komplizierteren Liebe werden auch die Bildkompositionen raffinierter. Als Wiktor und Zula auf der Premierenparty zum Paar werden und sich wegen des Ensemble-Erfolgs auch die Rolle der Musik zu ändern beginnt, setzt Pawlowski dies in einer statischen Szene um, einem Kabinettstück mit Spiegel im Hintergrund.

Mit derselben Genauigkeit ist auch die Tonspur gefertigt. Die alten Melodien werden über die Jahre immer wieder variiert, sei es für den Jazz, den Wiktor im Club spielt, für die Stille beim Sex oder für den Rock’n’Roll, den Zula mit einem wilden Tanz auf dem Tresen feiert. Musik ist überhaupt ein zentrales erzählerisches Motiv, an dem entlang sich die Geschichte entwickelt. So beschreibt der Regisseur die Transformation der gelebten Folklore in etwas, das er fakelore nennt: ein im Stalinismus ideologisch aufgeladenes Gegenkonzept zur als dekadent abgelehnten westlichen Musik. Für das Ensemble im Film führt der Weg vom unschuldigen Musizieren zum monströsen Anbiedern, er gipfelt in einer Kantate an den Diktator.

Er folgte der Logik der Zeit

Im Paris der fünfziger Jahre schließlich wechselt das Licht zum ausdrucksvollen Helldunkel. Pawlikowski zitiert die Filmkunst der Nouvelle Vague, auch Antonioni und dessen Tableaus von einsamen Körpern im Raum. Wobei es sich weniger um Zitate handelt als um eine Art Aneignung – um ein historisch korrektes visuelles Kostüm. Pawlowski nutzte zeitgenössische Fotografien bei der Vorbereitung des Films. „Polen war so. Auf dem Land gab es kaum Elektrizität, und Paris war die city of lights. Ich folge also weniger filmischen Vorbildern als der Logik der Zeit.“

Am Ende gelangen Wiktor und Zula in jene zerstörte Kirche zurück, die der Zuschauer bereits kennt, in der die beiden aber noch nie waren. Über der Kuppel ziehen diesmal die Wolken im weißen Sommerhimmel, die Bäume sind seltsamerweise immer noch kahl. Sie heiraten vor dem zerstörten Christus, allein, es erklingen Bachs Goldberg-Variationen. Die Pendelbewegung des Films kommt zur Ruhe – im schönsten und traurigsten Happy-End im Kino seit Langem. (ab Donnerstag in den Berliner Kinos)

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