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Clubkultur-Romane: Die Sprache der Nacht

Die Sprache der Nacht: Hegemann, Airen, Rainald Goetz.

Als Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ noch frisch und unschuldig auf den Nachttischen der Rezensenten lag, begeisterten diese sich unter anderem an „Ansätzen einer Literatur, die nicht trotz, sondern wegen ihrer Härte, Brutalität und Vulgarität schön ist“ („FAZ“), an der „hemmungslosen halluzinatorischen Entladung eines traumatisierten Bewusstseins“ („Zeit“), daran, wie hier ein junge Frau „im Wahn“ ertrinkt, „im Koksnebel, in der akustischen Behämmerung Berliner Clubs“ (noch einmal die „Zeit“), an diesem „Dokument unbedingten Lebenswillens“ (Tagesspiegel) Mit anderen Worten: am echten, wahren Leben, das angeblich so selten aus der Literatur herauslugt.

Nun wissen wir, dass das wahre Leben, der Koksnebel, die Berghain-Behämmerung viel wahrer von dem Blogger Airen beschrieben wurden, in einem Roman mit dem Titel „Strobo – Technoprosa aus dem Berghain“. Hegemann hat Airens Erfahrungen zu Erlebnissen ihrer Hauptfigur Mifti und anderer gemacht. Die Debatte, ob sie das durfte oder nicht, ob ihr Roman ein schamloses Plagiat oder doch ein kleines Kunstwerk ist, hält an. Sie weist auf ein Genre hin, das man als Unterabteilung der Popliteratur bezeichnen kann: den Clubkultur-Roman.

Vor allem aber verweisen Hegemanns und Airens Bücher auf die Schwierigkeit, überhaupt einen solchen Roman hervorzubringen. Denn tatsächlich scheinen Clubkultur und Literatur einander auszuschließen. Die Erkenntnis, dass das wahre Leben außerhalb von Clubs gar nicht existiert, dass Drogen, Sex und Extase alles sind, das Leben, die Wahrheit – diese Behauptung hat bislang kaum wirklich große Literatur hervorgebracht. Warum das so ist, weiß Rainald Goetz in seiner Erzählung „Rave“ aus dem Jahr 1998. Man kann sie als den geglücktesten Versuch bezeichnen, die Club- und Nachtleben und Literatur doch zusammenzubringen. Immer wieder ist in „Rave“ davon die Rede, wie schwer es ist, eine Sprache zu finden für das, was man im Rausch der Nacht erlebt: „Es gab einmal eine Zeit, wo es noch keine Worte gab, für all das hier. Wo das einfach so passierte, und man war mittendrin, schaute zu und hatte irgendwelche Gedanken dabei, aber ohne Worte.“

Goetz hat eben die ganze Zeit, da er sich in den neunziger Jahren in den Clubs herumtrieb, den „Herausschaffer um sich und in sich, er heißt: die Sprache“. Aus dem Spannungsverhältnis von Sprache und Erleben, Reflexion und Loslabern, von Luhmann, dem Systemtheoretiker, und Laarmann, dem Berlin-Mitte-Frontpage-Guru, bezieht „Rave“ seine Attraktion. Goetz versucht, „eine Art Widerspruchsbalance“ herzustellen, er mischt seitenlange nichtige Dialoge zwischen den Protagonisten der Nacht mit eigenem Ich-Gegrübel. Er weiß, was „der große Bumbum sagte“, der Beat zu dem alle mitmüssen: „eins eins eins – und eins eins eins – und geil geil geil geil geil“. Doch er weiß genauso, dass dieses „kleine böse Ding“, seine Erzählung eben, ihn nicht loslässt, dass sich „das Erleben (...) zugleich danach sehnte, sich zu verstehen.“

Die Nacht, der Exzess, das Clubben, sie alle entziehen sich jedoch immer wieder einer konsistenten Erzählung. Das Flüchtige des Pop und der Anspruch der Literatur, Beständigkeit und Dauer herzustellen, passen nicht wirklich zusammen, und eine krasse Berghain-Szene an die andere zu reihen, wie es Airen in seinem „Strobo“-Roman macht, ist auf Dauer ermüdend. Dahinter verschwindet allzu schnell die von Airen angedeutete Sehnsucht des jungen Mannes, aus seinem Dasein zwischen Unternehmensberatung (tagsüber) und den Exzessen im Berghain (nachts) endlich ausbrechen zu können. Irgendwann kennt man das Berghain, weiß, was dort passiert, man will mehr: die Begründung, warum das einer alles erzählt, worin seine Notwendigkeit besteht.

Doch steht Airen damit ja nicht allein. Vielen Romanen der letzten Jahre, die sich in dem Grenzbezirk von Szene, Nachtleben und Techno bewegen, fehlt der letzte Zuschnitt, fehlt die gleichzeitige Durchdringung von Sprache und Erleben, wie bei Rainald Goetz, der die Schwächen eines Clubkulturromans eben gleich mitliefert.

So hat zum Beispiel der PR-Mann, Stylist und Trend-Scout Martin Schacht in den frühen nuller Jahren versucht, sich mit zwei Romanen zum Chronisten der Berlin-Mitte-Szene aufzuschwingen. In „Mittendrin“ und „Straßen der Sehnsucht“ beschreibt er das Leben einiger nicht mehr ganz junger Mittis, die sich abstrampeln müssen, um überall dabei zu sein: bei den sogenannten A-Events, mindestens aber bei denen eine Kategorie tiefer. Sie brauchen Mitgliedskarten fürs White Trash genauso wie die Pluseins-Gästelisten-Plätze in den wichtigen Clubs oder die Sat-1-und Sony-Bändchen bei den Love-Parade-Partys. Das ist ganz funny, die Bücher, erschienen 2002 und 2003, haben etwas von Schlüsselromanen. Letzten Endes sind es aber nur Aneinanderreihungen von Szenen, die in einer Vorabend-Soap besser aufgehoben sind als in der Literatur.

Jüngeren Datums ist der Techno-Roman „Liebestänze“ des „RollingStone“Chefredakteurs Rainer Schmidt. Letzten Sommer erschienen (und von den Feuilletons kaum beachtet), erzählt er, wie Mitte der neunziger Jahre die TechnoSause abging, von der Love Parade über den Tresor und das E-Werk, den Vorläufern des Berghain, bis zum Mayday-Wochenende. Sein Held Felix ist ein Düsseldorfer Bankmanager, der die Schnauze voll hat, zwar nicht ganz aussteigt, sich aber in Berlin mehr aufs Nachtleben als auf seinen Job konzentriert: „Felix liebte diesen Moment. Wenn er aus dem Club hinaus ins Licht stolperte und in der ganz eigenen Erfahrungsblase durch die Normalrealität surfte. Im Kopf tänzelten die Eindrücke und Gedanken der Nacht nach, im Takt des langsam sich nur verflüchtigenden Beats. (...). Es war diese besondere Aura der Nacht, die Botschaft von etwas Neuem und immer auch Fremden, die ihm so vertraut wie lieb war, eine eigene Karma-Glocke, (...), ein kurzes Echtwelt-Gastspiel auf dem Weg nach Hause.“

Schmidt gelingt es immer wieder mal, diese besondere Aura der Nacht einzufangen, eine scheinbar längst vergangene Zeit heraufzubeschwören, und doch wird auch bei ihm aus den immer härteren Techno-Abfahrten, den immer noch schöneren Ecstasy-Höhepunkten kein wirklich fesselnder Roman - und schon gar keine große Literatur. Wo die Sprache keine literarische, sondern mehr eine journalistische ist, muss die Geschichte mehr hergeben, und daran hapert es bei Schmidt ein wenig. Ein Zeitzeugnis ist „Liebestänze“ allemal, genau wie Airens „Strobo“-Roman.

Nur die „Proust’schen Blitze der Subversion“, wie sie Bernd Caillouxs Roman „Das Geschäftsjahr 1968/69“ erleuchtet haben, die finden sich hier nirgends. Was dann aber auch kein Wunder ist. Als der Berliner Schriftsteller Bernd Cailloux 2005 seine Erinnerungen an die Urszenen der Clubkultur zu einem Roman formte, einen Entwicklungsroman erster Güte, mit Drogen, Disco, Sex und allem, war er schon über sechzig Jahre alt. Jede Erinnerung, auch die an ein ausschweifendes Clubleben, und gerade so sie zu Literatur werden soll, braucht ihre Zeit.

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