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Handarbeit. Kathy Alberici benutzt nur analoge Geräte.

© David Heerde

Club Transmediale: Heute gibt es Bandsalat

Die Berliner Musikerin Kathy Alberici präsentiert auf dem heute startenden Elektronik-Festival Club Transmediale ein Akustik-Porträt des Funkhauses Nalepastraße. Die Filmkünstlerin Martha Jurksaitis hat dazu eine Bilderebene geschaffen.

Es war in einer Probenpause im letzten Frühjahr, als Kathy Alberici zum ersten Mal über das Gelände des Funkhauses in der Nalepastraße streifte. Die letzten Stunden hatte sie damit verbracht, im Studio von Jan St. Werner (Mouse On Mars) Vocals auszutesten und einzusingen, eher experimentelles, wortloses, gehauchtes oder gekreischtes Zeug, für St. Werners Nebenprojekt, die elektronische Oper „Miscontinuum“. Jetzt aber war Pause, und Kathy Alberici streunte herum, vom Hauptgebäude in eines der Nebengebäude, leer und ruinös, und von der Natur fast zur Gänze zurückerobert.

Bis 1989 waren hier die Musikredaktionen des DDR-Rundfunks untergebracht, seitdem liegt der schlichte Bau im Dornröschenschlaf der Nachwendezeit, direkt neben dem eindrucksvollen Rotklinkerkoloss des ikonischen Studiogebäudes, in dem heute wieder Künstler und Musiker arbeiten. Die in England aufgewachsene und seit drei Jahren in Berlin lebende Alberici war sofort von der Aura des Komplexes bezirzt. Und als sie auf ihrem Streifzug dann neun große Bälle altes, völlig verheddertes Tonband fand, war ihr klar: Mit alldem muss etwas gemacht werden.

Alberici brachte ihre Filmkunstkollegin Martha Jurksaitis her, und zusammen entwickelten sie das Konzept für ein „Sonic Portrait of Funkhaus Nalepastraße“, reichten es beim offenen Ideenwettbewerb „Berlin Current“ ein, den der Club Transmediale (CTM) erstmalig gemeinsam mit dem Berliner Music Board ausgeschrieben hat, und Mitte Oktober hatte sich die Jury für die Förderung ihres Projekts entschieden. Sie bekamen 2500 Euro für die Umsetzung, den altgedienten Elektronikmusiker Pole als Mentor an die Seite sowie die Zusage, ihre Arbeit während des diesjährigen Club Transmediale aufführen zu dürfen. Die beiden Frauen, die sich als Mitarbeiterinnen beim Filmfestival in Leeds kennenlernten und sich über ihre gemeinsame Liebe zu dem italienischen Filmregisseur Franco Piavoli trafen, mieteten sich einen kleinen Raum im Funkhaus, denn sie wollten „vor Ort sein und nicht so kuratorisch von außen kommen“.

Während Jurksaitis mit ihrer 16-Millimeter-Kamera auf dem Gelände unterwegs war, organisierte Alberici eine Bandmaschine und fing an, die neun gymnastikballgroßen Haufen Bandsalat zu entheddern und auf Spulen zu wickeln. Sie brauchte anderthalb Wochen und hatte schließlich fast zwei Kilometer Tonband neu aufgewickelt. Als sie das alte, teilweise stark von der Witterung angegriffene Material zum ersten Mal abspielte – es fühlte sich an wie eine Geisterbeschwörung –, hörte sie Orchesterklänge, Barockmusik, Expressionismus. An einer Stelle fand sie eine Datierung: eine Aufnahme von 1988 aus dem Großen Sendesaal des Funkhauses. Aus ihren Found-Footage-Bändern verfertigte Alberici Loops. Kopierte kurze Fragmente analog mit der Bandmaschine, hängte sie in endloser Wiederholung hintereinander. Schnitt und klebte. Schickte DDR-Streichensembles in die Drone-Schleife. Und collagierte dann andere Sounds und Geräuschquellen hinzu.

Auf der Bühne wird die Collage von einer vierköpfigen Band begleitet

Alberici – die als Jugendliche exzessiv Geige spielte, darüber zum Jazz und Noise kam, in der Psych-Doom-Band Drum Eyes von DJ Scotch Egg Keyboards und Violine bediente sowie als Solokünstlerin unter dem Namen Bocca al Lupo Field Recordings mit Geigenimprovisation verschneidet – ging auf Recherchetour. Sie fuhr ins Deutsche Rundfunkarchiv nach Potsdam und besorgte sich Audiomaterial, das „in direkter Verbindung mit dem Gebäude steht“: Reden, Aufnahmen, Anweisungen an die Mitarbeiter des DDR-Rundfunks. Sie selbst nahm Geräusche, Stimmen, den Hall in Foyers, Treppenhäusern und den Hörspielstudios auf. Sie interviewte Menschen, die im Funkhaus gearbeitet haben oder arbeiten.

Aus einer Collage all dieser sonischen Teilchen wird der hörbare Teil des Funkhausporträts bestehen, live ergänzt durch Gitarre, Bass, Keyboard und Violine. Und natürlich durch Martha Jurksaitis’ Dreifachprojektion, einer filmischen Psychogeografie des Geländes, der Bauten, der Interieurs. Die Arbeit als Ganzes soll entschieden unentschieden bleiben zwischen Dokumentation und subjektiver, künstlerischer Reaktion auf die Gegebenheiten – gerade darin, findet Alberici, könne sich das Unterbrochene, aus der Zeit Gefallene der Funkhaus-Geschichte ausdrücken und die Arbeit das Thema des morgen beginnenden CTM Festivals treffen: „Dis Continuity“.

Irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt auch die Vorgehensweise der Künstlerinnen: Sie arbeiten ausschließlich analog, alles ist Handarbeit, nichts am Rechner entstanden oder editiert. Alberici sagt: „Ich habe ein dringendes Bedürfnis nach Begrenzung der Möglichkeiten. Vom Geigespielen bin ich es gewohnt, dass es ein physisches Limit gibt, dass nur geht, was mit dem Körper geht. Die Unendlichkeit des digitalen Möglichkeitsraums inspiriert mich nicht. Wenn man am Laptop Audiofiles schneidet, schneidet man mit den Augen, vor der Bandmaschine aber verlasse ich mich ganz auf meine Ohren.“ Sagt’s und spult quietschend das fleckige Band aus der Ruine zurück, nimmt die Spule ab und legt sie auf den kleinen Schreibtisch, auf dem sich weitere überall mit bunten Zettelchen markierte Tonbänder stapeln.

Die 30- bis 40-minütige Aufführung dieser komplexen Materialschlacht gestaltet sich entsprechend unplanbar, wird vielmehr lebendige Performance sein als perfekt angerichtetes, in Versenkung zu konsumierendes „deep listening“. Fest steht nur die grobe Gliederung in vier Kapitel, angelehnt an die vier Lebensabschnitte des Funkhauses: Energie und Propagandafuror des Beginns, hochprofessionelle Betriebsamkeit während der Rundfunkjahre 1952–1989, der abrupte Schnitt der Wende sowie der Verfall und die zaghafte Wiederbelebung in heutiger Zeit.

Alberici nennt das „Sonic portrait“ eine von ihr und Jurksaitis „manipulierte Version der Wirklichkeit“, die vor allem „begeistern und unterhalten“ soll. Man kann davon ausgehen, dass die Aufführung ein dicker Brocken Copy-and-Paste-Kunst sein wird, der dem Funkhaus eine historisch umsichtige, aber sicher auch ins hypnotisch-verstrahlte Reich der Loops und Drones vordringende Würdigung zuteil werden lässt. Eine audiovisuelle Mediation über das Verlorengehen in der Zeit, über das Unüberbrückte zwischen gestern, heute und morgen, das in der Nalepastraße offen zutage tritt.

Club Transmediale: 24.2.-2.2. im HAU, Berghain und anderen Orten. „Sonic Portrait of Funkhaus Nalepastraße“, HAU 1, 1.2., 19.30 Uhr

Kirsten Riesselmann

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