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Lässige Romantik. Clara Wieck (Theresa Immerz) wird Robert Schumann (Johannes Fritsche) heiraten.

© Jochen Klenk

„Clara“ in Baden-Baden: Der Wald vor lauter Worten

Immer diese Wunderkinder: Die Osterfestspiele Baden-Baden bringen die Uraufführung der Oper „Clara“ heraus. Und Petrenko dirigiert Tschaikowsky.

Die gefeierte Klaviervirtuosin Clara Schumann suchte in Baden-Baden, wofür sie alle hierherkamen in den Sommermonaten, die Musiker und Bankiers, Literaten und Adeligen: unbeschwerte Annehmlichkeiten in einer grünen Kleinstadt, in der man im Salon Hof halten konnte, um Gönner oder Verehrer zu empfangen. Manch einen lockten auch die heilenden Quellen oder das von Dostojewski beschriebene ruinöse Spiel im Casino. Baden-Baden war das Europa des 19. Jahrhunderts als Miniaturausgabe, und es registrierte genau die Erschütterung des deutsch-französischen Kriegs, in dessen Geschützdonner Clara Schumann um ihr Paradies fürchtete.

Im September wird ihr 200. Geburtstag gefeiert, darauf leisten die Osterfestspiele mit der Uraufführung der Kammeroper „Clara“ eine Anzahlung im zauberhaften historischen Theater Baden-Baden, in dessen Orchestergräblein Philharmoniker-Flötist Michael Hasel die Karajan-Akademisten dirigiert. „Clara“, komponiert von der US-Amerikanerin Victoria Bond, beschäftigt sich mit der ersten Lebenshälfte der Pianistin und Komponistin, die bis zum Tod ihres Mannes Robert Schumann reicht. Man könnte erfahren, wovon sich Clara in späteren Jahren zu erholen hoffte und warum die Liebe zu Johannes Brahms letztlich doch erkalten musste. So viel Stoff, so viel Musik.

Leiden unter dem Vater

Doch „Clara“, zunächst als Kinderoper geplant und im Libretto dort auch stehen geblieben, fokussiert sich vor allem auf die schmerzhafte Symbiose mit dem herrischen Vater Friedrich Wieck, der sich ein Wunderkind heranziehen will. Das Wort Wunderkind fällt gefühlt 111 mal, auch Bonds von Brahms- und Schumann-Vereinnahmungen getragene Musik hängt stets hier fest. Das klingt, als habe die Komponistin ein persönliches Trauma überwinden wollen. Tatsächlich gab es eine Wunderkind-Geschichte in ihrer Familie.

Was hat das mit Clara Schumann zu tun? Nicht viel, obwohl sich die jungen Gesangssolistinnen und -solisten alle Mühe geben, angeführt von der mädchenhaft-agilen Theresa Immerz in der Titelrolle. Doch Bond gelingt es, die Gesangspartien zugleich undankbar und überflüssig schwierig zu gestalten. So scheitern alle, bevor es interessant werden könnte. Entstanden ist „Clara“ bei Studienaufenthalten im Brahmshaus. Man erreicht es in knapp dreißig Minuten zu Fuß stadtauswärts durch eine blühende Parklandschaft, nachdem man an der Lichtentaler Allee das Haus von Clara Schumann passiert. Die bescheidenen zwei Zimmer unterm Dach sind die einzige erhaltene Wohnung von Brahms, der hier von 1865 bis 1874 die Sommermonate verbrachte. Auf einem Felsen gelegen, konnte der scheue Komponist ungebetenen Besuch frühzeitig erkennen und die Hintertür zur Flucht nutzen.

Konditorei als Residenz

Im inoffiziellen Zentrum von Baden-Baden dagegen, der ehrwürdigen Konditorei König, diskutiert man noch den Verdi-Doppelschlag, mit dem die Berliner Philharmoniker ihre siebte Oster-Residenz eröffnet haben. Auf den von Zubin Mehta dirigierten „Otello“ („Da hat sich ja keiner bewegt!“) folgt ein von Riccardo Muti zelebriertes Requiem. Kein anderer Dirigent hat sich diesem Werk über Jahrzehnte hinweg mit solcher Ausdauer gewidmet, die Erwartungen sind entsprechend hoch, auch, weil mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks endlich ein Spitzenchor angereist ist.

Arte zeichnet auf und hofft, dass der Maestro die Aufnahme zur Sendung freigeben wird. Die riesige Bühne des 2500 Zuschauer fassenden Saals erweist sich als ausgesprochen fordernd. Die Musikerinnen und Musiker spüren dort kein akustisches Sättigungsgefühl und geben folglich immer mehr. So gerät selbst Mutis zunächst hauchzarte Interpretation gewaltig unter Phondruck, auch jenseits des „Dies Irae“. Vom Solistenquartett gelingt es nur Elina Garanca, daraus unverzerrt, klar und kühl hervorzugehen – eine Erscheinung. Auch der souveräne Chor lässt sich nicht provozieren und wahrt die Hoffnung auf Erlösung vom übermächtigen Dunkel.

Kammermusik im Kurhaus

Die Osterfestspiele an der Oos bestehen aber nicht aus nur Verdis Schicksalsbefragungen und großem Gesellschafts-Bahnhof im Festspielhaus. Die Berliner Philharmoniker schwärmen aus in die Stadt und spielen Kammermusik von der Matinee im Kurhaus bis zur Late Night im Casino. Meisterkonzerte heißen diese Herzensprogramme altväterlich, doch sie bringen für kleines Geld Publikum und Musizierende ganz nah zusammen. Im Museum Frieder Burda tritt noch die Kunst hinzu, wenn das Podium zwischen Großformaten von Lüpertz und Baselitz aufgebaut wird. Wie uneinnehmbar zivil klingen Mauricio Kagels kullernde, tanzende Stücke aus dem Nachlass inmitten dieser Abrechnung mit dem Militarismus, wie traumweit der Nachtgesang aus Zoltán Kodálys Serenade.

Unterdessen ist Kirill Petrenko eingetroffen und hat zu einer ausdauernden Probe viele Anmerkungen mitgebracht, obwohl man das Programm eigentlich erst vor Kurzem in Berlin gespielt hat. Doch Stillstand existiert für ihn nicht, jedes Konzert liefert neue Erkenntnisse, die berücksichtigt werden wollen. Musik zu spielen und zu reflektieren, ist für Petrenko ein kontinuierlicher Vorgang. Und dann gilt es noch, den Saal akustisch zu erobern. Vor zwei Jahren haben sich das Orchester und sein künftiger Leiter erstmals in Baden-Baden vorgestellt, damals mit einer umjubelten Aufführung von Tschaikowskys Sechster, heute mit seiner Fünften, die sich ganz aus ihrem Schicksalsthema entwickelt.

Höllisch kompliziert

Ihr voran stellt Petrenko das höllisch komplizierte Violinkonzert von Schönberg. Patricia Kopatchinskaja interpretiert es barfuß auf einem Quadratmeter Teppich; ihr Jonglieren mit den einkomponierten Widerständen tanzt über jegliche Begrenzung hinweg. So viel freudige Angriffslust und lachende Rückeroberung von Freiheit wirken unausweichlich ansteckend. Man spürt: Schönberg wollte das Spiel mit seiner Zwölftonmusik nicht beenden, er wollte es lediglich auf eine neue Ebene wuchten.

Und dann Tschaikowsky, der in quälenden Zweifeln seine Fünfte für ihre „Unaufrichtigkeit, Künstlichkeit“ hasste. Larmoyanz aber hat bei Petrenko keine Chance, er steigt die Stufen des Schicksalsmotivs nicht hinab, um über sich selbst zu weinen. In einer schier unfassbaren Kraftaufwallung erobert er der Fünften eine Fallhöhe, die schwindeln und auch bang macht, weil Orchester und Dirigent zusammen ihre physischen und psychischen Grenzen suchen.

Titanisches Erlebnis

Für die Zuhörer ist es ein titanisches Erlebnis, das auf nächste Ostern vorausdeutet. Dann dirigiert Petrenko in Baden-Baden Beethovens „Fidelio“ und seine „Missa Solemnis“. Auch die Kammermusik wird vom großen Komponistenjubiläum dominiert sein, obendrein nimmt sich das Orchester in verschiedenen Formationen sämtliche Streichquartette vor. Als Kammeroper gibt es „Simplicius Simplicissimus“ von Karl Amadeus Hartmann. Mit dem neuen Philharmoniker-Chef werden die Osterfestspiele ihr Profil deutlich anschärfen. Mal schauen, wie das in der Konditorei König aufgenommen wird.

Noch bis zum 22. April, Infos unter www.festspielhaus.de

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