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Symbolpolitik. Hitler (l.) und Mussolini inszenieren sich als volksnah.

© DB/dpa

Cineast untersucht Propaganda: Leinwand im Dienste des Duce

Mussolini am Strand, Goebbels' Zensur und Lenins Volkspädagogik: Peter Demetz zeigt, wie Diktatoren das Kino instrumentalisierten. Die Kolumne Flugschriften.

Von Caroline Fetscher

Als Diktator braucht man grandiose Entwürfe. Diktatoren planen Umwälzungen enormen Ausmaßes, sind fixiert auf das Bild, das die Massen von ihnen und ihrem Vorhaben erhalten sollen – und können nirgends offiziell das Handwerkszeug dafür erlernen. Noch hat keine Hochschule je den Studiengang „Herrschaft durch Gewalt und Größenwahn“ angeboten. Eine wirkmächtige Lehranstalt für Volk wie Führer bot jedoch der Film, wovon der Literaturwissenschaftler und Cineast Peter Demetz dicht und lebendig erzählt.

Mit dem überwältigenden Illusionsraum der Leinwand konnte man Führer glorifizieren, Feinde dämonisieren und durch Kitsch und Amüsement vom Alltag ablenken. Als Erster erkannte Mussolini das propagandistische Potenzial des Kinos. Wochenschauen zeigten den Duce „zu Pferd, auf einem Motorrad, als neugebackener Pilot, als Redner, Erntehelfer (ohne Hemd), Militärchef, Diplomat oder, ganz im Gegensatz zu Lenin oder Hitler, in Schwimmhosen am Strand“. Wie Hitler auf dem Obersalzberg und in der Berliner Reichskanzlei hatte sich Mussolini in Rom einen privaten Kinosaal einrichten lassen. 1935 ließ er die Filmindustrie komplett verstaatlichen, er hoffte mit Cinecittà auf ein faschistisches Pendant zu Hollywood und politisierte das Filmfestival von Venedig.

Visuelle Medien für analphabetisches Publikum

Peter Demetz, geboren 1922 in Prag, also im Jahr von Mussolinis Machtantritt, widmet sich auch dem NS-Propagandaminister Goebbels, der – darin dem späten Stalin ähnlich – als Autor oder Dramaturg in Drehbücher eingriff und zudem Affären mit Schauspielerinnen schätzte. So wie Goebbels instrumentalisierte kein anderer die Karriere der Kinematografie für das Entertainment der Massen in der Industriegesellschaft. Allerdings gab er einen von Hitlers favorisierten Filmen nicht für das NS-Kino frei: „Viva Villa“, ein amerikanisches Drama von 1934. Im Werdegang des wutgetriebenen mexikanischen Revolutionsführers und Rächers Pancho Villa, brachialer Anführer einer Horde nationalistischer Umstürzler, konnte sich Hitler mühelos spiegeln. Goebbels, der den Film mit Hitler privat angesehen hatte, hegte Argwohn gegenüber der Breitenwirkung derart affektgeladener Anstachelung zum Aufruhr und notierte: „Für uns nicht aufführbar. Es wird zu gefährlich.“ Bessere Dienste taten Leni Riefenstahl oder Heinz Rühmann.

Auch Lenin hatte verstanden, wie wesentlich Agitation durch visuelle Medien gerade für ein großenteils noch analphabetisches Publikum war, setzte jedoch vor allem auf technische Lehrfilme von Ingenieuren und auf Dokumentationen, etwa zum Kolonialismus oder zum Elend im Kapitalismus. Um 1919/20 durchquerten Agit-Züge das Land, und auf den Flüssen zogen Agit-Dampfer entlang, von denen einer ein Kino-Floss mit 800 Plätzen im Schlepptau hatte. Lenin, so Demetz, „wollte seine Filme pädagogisch, funktional und konservativ“, ihm fehlte die Geduld für Fiktionales. Im Genfer Exil entfloh er zwar abends mit seiner Frau der beengten Bleibe und sie besuchten Kino oder Theater, brachen aber, so seine Frau, meist „in der Mitte der Vorstellung auf“, um am See zu spazieren. Mit großen Emotionen konnte man Lenin nicht kommen, er bevorzugte Bücher, das Wort.

Toller Kontrast: das Kino seines Aufwachsens

Solchen Hinweisen und Fährten folgt Peter Demetz passioniert und mit der wunderbaren Erzählfreiheit dessen, der sein Sujet so durchdrungen hat, dass es von Fakten sicher getragen wird. In schönem Kontrast zum Kino der Diktatoren erzählt Demetz im Vorwort vom Kino des Kindes, das er war, im tschechischen Brünn, wo er Chaplin sah, Laurel und Hardy, tschechische Filme und Brechts verfilmte Dreigroschenoper. Als Überlebender des Holocaust emigrierte Demetz 1958 in die USA und lehrte bis zur Emeritierung Germanistik und Komparatistik an der Yale University. Zeitgleich erscheint jetzt bei Zsolnay „Mein Prag“, die Neuauflage seiner viel gepriesenen Erinnerungen. Sie lassen den Leser eine weitere Facette von Peter Demetz entdecken, der darin ein wahres Füllhorn an Erfahrung und Wissen ausgießt.

Peter Demetz: Diktatoren im Kino. Lenin, Mussolini, Hitler, Goebbels, Stalin. Zsolnay, Wien, 256 Seiten, 24 €, erscheint am 18. Februar

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