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02.06.2022, Ukraine, Charkiw: Eine ukrainische Fahne liegt nach einem Raketeneinschlag in den Trümmern. Beim Einschlag einer russischen Rakete in eine Schule in der ukrainischen Stadt Charkiw wurden am 02.06.2022 eine Frau getötet und mehrere Personen verletzt.

© dpa

Christoph Brummes Tagebuch aus der Ukraine: Mein Haus ist überall

Der Schriftsteller Christoph Brumme lebt seit 2016 im ukrainischen Poltawa. Mit "Im Schatten des Krieges" hat er ein Kriegstagebuch veröffentlicht.

Zu Beginn dieser Tagebuchaufzeichnungen des Schriftstellers Christoph Brumme ("Im Schatten des Krieges", S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2022. 112 Seiten, 15 €.) fragt dessen elfjähriger Stiefsohn Kolja: „Müssen wir fliehen? Wird Putin unser geliebtes Poltawa in Schutt und Asche bombardieren, wie er das schon vor mehr als zwanzig Jahren mit Grosny gemacht hat?“

Fragen eines Kindes in Zeiten des Krieges in der Ukraine, Fragen, die naheliegen. Irritierend ist bloß, dass sie von Kolja schon am 25. Januar gestellt wurden, da dieses Ukraine-Tagebuch von Brumme beginnt.

Diese Irritation ist durchaus produktiv. Denn zu jener Zeit mochte trotz des russischen Truppenaufmarsches an der Grenze kaum jemand an den Überfall auf die Ukraine knapp einen Monat später glauben, auch der Großteil der ukrainischen Bevölkerung nicht, wie man bei Brumme in den Einträgen vor dem 24. Februar lesen kann.

Doch viele Zeichen deuteten daraufhin: Ob es Putin ist, der den ukrainischen Präsidenten beleidigt, ob es die CIA ist, die am 12. Februar den Krieg in vier Tagen voraussagt, ob es aus Russland stammende Bombendrohungen gegen Kinder sind, der Hinweis auf verminte Schulen und Kindergärten.

"Ich kann in einer solchen Situation nicht weggehen"

Am 24. Februar meint Brumme es sofort in den Gesichtern der Menschen zu sehen, „dass etwas Furchtbares passiert sein muss.“ Er wird dann gefragt, warum er immer noch im Land ist, und antwortet: „Ich konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, in einer solchen Situation wegzugehen.“

Christoph Brumme lebt seit sechs Jahren im zentralukrainischen Poltawa, nachdem er das Land seit 1999 häufig bereist und sich zwischen den Jahren 2007 und 2012 auch mehrmals mit dem Rad auf den Weg von Berlin nach Russland gemacht hatte. Er ist mit einer Ukrainierin verheiratet. Weggehen kommt also für ihn so gar nicht in Frage, wie er mehrmals betont.

In Poltowa geht es vergleichsweise ruhig zu

Bislang ist Poltawa, das 100 Kilometer von der russischen Grenze und 120 von dem schwer umkämpften Charkiw entfernt liegt, einigermaßen glimpflich davon gekommen. Brumme berichtet von täglichem Sirenengeheul, den Aufforderungen, Luftschutzbunker aufzusuchen, auch davon, dass Poltawa im Visier der Russen wegen angeblicher Produktionen von Bio- und Chemiewaffen ist. Doc

h die bewaffneten Kämpfe, die Bombardierungen, all das findet noch woanders statt, wovon nicht zuletzt die vielen Geflüchteten in der Stadt künden, bis zu 60 000 an der Zahl.

Brumme setzt sich denn auch viel mit dem russischen Charakter auseinander, mit dem von Putin, mit der Leichtgläubigkeit und oftmals schwer nachvollziehbaren Dialogbereitschaft des Westen: „Wer guckt sich in Deutschland regelmäßig russisches Fernsehen an? Wer versteht, was russische Politiker sagen? (...) In Deutschland ist es üblich, über Dinge zu reden, von denen man gar nichts weiß.“

Christoph Brumme ist näher dran, er weiß, wovon er spricht. Auch für ihn gilt inzwischen die ukrainische Devise: „Mein Haus ist überall. Mitdenken, mitmachen, mithelfen.“

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