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Moebus

© David von Becker

Christiane Möbus: Der Bär hat’s schwer

...und Künstlerinnen ab 40 auch. Eine Begegnung mit Christiane Möbus, die am Dienstag den Münter-Preises erhält.

Man möchte kein Eisbär sein – jedenfalls nicht unter den strengen Augen von Christiane Möbus. Da werden Raubtiere zu Zirkuspferdchen: Die Künstlerin hat zwei Bären so ausstopfen lassen, dass sie auf dem Rücken liegen und kleine, lächerliche Kegel auf ihren Tatzen balancieren. Doch der Titel der Installation wendet die vermeintliche Dressurnummer: „Tödlich“ heißt das pelzige Doppelspiel von 1997. Auch wenn Christiane Möbus die Eisschmelze der Arktis nicht vorausgesehen hat, so macht sie doch auf ein labiles Gefüge aufmerksam: Todbringend ist nicht nur das Tier, sondern ebenso, was der Mensch mit ihm und seinem Lebensraum anstellt.

„Ich habe damals allerdings auch an Eisberge gedacht“, fügt die Künstlerin hinzu. Das ist typisch: Kaum hat man sich für eine Deutung entschieden, löst Christiane Möbus die argumentative Kette wieder auf und macht auf andere, bislang unbeachtete Aspekte aufmerksam. Etwa, dass der weiße Kegel nur die Spitze eines Eisbergs sein könnte, der sich als wuchtiger Eisbärkörper unter der (Wasser-)Oberfläche bewegt. Ein assoziatives Spiel, das Fantasie erfordert.

Das Lineare interessiert Christiane Möbus nicht. Wie sollte es auch jemanden faszinieren, der alte Holztische, ganze Kutschen und wackelige Puppenwagen für seine Ausstellung nutzt. Ihr Raum im Martin-GropiusBau, der letzte am Ende der Schau zum Gabriele-Münter-Preis, ist voll davon. Hier stehen Dinge mit Patina, die selbst Geschichten erzählen wollen. Christiane Möbus lässt sie reden: vom Horizont vor hundert Jahren und von einer anderen Geschwindigkeit. Über die Neugier auf eine Welt, die man nicht bis in den letzten Winkel kannte.

Die Künstlerin ist selbstbewusst genug, um den Gegenständen kein Konzept aufzuzwingen. Der Eisbär, die Kutsche, der Kinderwagen – jeder Gegenstand in der Ausstellung steht für ein Stück Realität. Christiane Möbus’ Part ist die leise Verwandlung, die Kombination von Vertrautem mit irritierenden Details. Ihren Tisch im Gropius-Bau hat sie „Erika“ genannt. Das runde Riesenmöbel ist ein Theaterrequisit. Christiane Möbus brauchte bloß noch einen Motor und eine seltsame Ausbuchtung aus glänzendem Kupfer, um den Gegenstand dem Alltag zu entheben. Nun dreht sich die Tischplatte langsam um die eigene Achse und gibt den Blick in jene Vertiefung frei, die unter dem Tisch beult. Zu sehen gibt es ein Pflänzchen der Sorte Erika. Viel Aufwand für ein wenig Grün, könnte man meinen. Christiane Möbus sieht das anders: Mit großer Geste macht sie sensibel für das Kleine und schärft den Blick.

Vier Jahrzehnte lang hat sie erfolgreich an ihrer Kunst gefeilt. Stipendien und Preise häufen sich in ihrem Lebenslauf, als Professorin lehrt sie seit 1990 an der Universität der Künste Berlin. Zahllose Ausstellungen machten sie international bekannt. Ab morgen zeigt der GropiusBau vier Arbeiten von ihr. Jene Werke hatte auch die Jury vor Augen, als sie Christiane Möbus im vergangenen Jahr den Gabriele-Münter-Preis zusprach, den sie am heutigen Abend verliehen bekommt. Gründe dafür gibt es viele, die Fachleute aus diversen kulturellen Institutionen hoben ihre „künstlerische Konsequenz“ hervor, mit der sie aktuelle Fragen stelle, Prozesse der „Mythen- und Legendenbildung“ untersuche und neue Funktionen für reale Gegenstände finde.

Die Preis-Ausstellung zeigt Christiane Möbus im Kreis von 39 Künstlerinnen, die in die engere Wahl gekommen waren. Sechsmal wurde der Preis, der nur alle drei Jahre vergeben wird, bislang ausgelobt. Knapp 1400 Künstlerinnen hatten sich diesmal beworben. Obwohl der Preis beim Ministerium für Familie, Senioren, Frauen, und Jugend angesiedelt ist – was ein wenig nach Wiedergutmachung für Künstlerinnen aussieht, die etwa aus familiären Gründen nicht konsequent ihre berufliche Karriere verfolgen konnten. Offiziell ist die Rede vom „einzigen Kunstpreis, der sich ausschließlich an Künstlerinnen wendet, die älter als 40 Jahre sind“. Ins Leben gerufen wurde er, weil „Frauen dieser Altersgruppe bei hoch dotierten Auszeichnungen deutlich unterrepräsentiert sind“. Also doch ein Ausgleich, nicht zuletzt finanzieller Art, weil der Preis mit 20 000 Euro vergleichsweise hoch dotiert ist?

Christiane Möbus wehrt ab. Man wird schließlich nicht auserkoren, sondern muss selbst aktiv werden und sich bewerben. Für sie bestätigt die Wahl, wie richtig es war, sich treu zu bleiben. Auch wenn die Trends wechseln, figürliche Malerei plötzlich interessanter scheint als große Installationen und man für eine Weile weniger gefragt ist. „Es ist wichtig, sich aus eigener Perspektive immer wieder zu bewerten. Der Kunstmarkt ist voller Brüche, was die Wertschätzung anbelangt“, meint die Künstlerin nüchtern. Der Gabriele-Münter-Preis sei deshalb auch kein Rest aus feministischer Tradition, sondern rücke alle drei Jahre die Verhältnisse etwas gerade. Tatsächlich ist die Auszeichnung an arrivierte Künstlerinnen wie Valie Export (1997), Rune Mields (2000) oder Ulrike Rosenbach und Cornelia Schleime (beide 2004) gegangen. Anerkannte Künstlerinnen, die eigentlich keine Unterstützung mehr brauchen. Höchstens, was ihre Präsenz in Sammlungen und Museen anbelangt. Vielleicht lanciert der Preis ihre Namen dort, wo sich Käufer und Kuratoren bei ihren Entscheidungen orientieren.

Die zum Preis gehörenden Ausstellungen im Gropius-Bau und anschließend im Bonner Frauenmuseum waren jedenfalls lange Zeit nicht unbedingt eine Empfehlung. Unkonzentriert und beliebig wirkte die Zusammenstellung in der Vergangenheit oft. Die diesjährige Ausstellung mit dem Titel „Vorreiterinnen“ verspricht mehr: Beim Rundgang fallen Arbeiten von Annegret Soltau (Darmstadt), Friederike von Rauch (Berlin), Beate Passow (München) oder Katharina Bosse (Bielefeld) auf und demonstrieren, wie groß die Konkurrenz für Christiane Möbus gewesen ist. Andererseits können wenige der vertretenen Künstlerinnen ein derart beständiges und dabei wandelbares Oeuvre vorweisen, wie das Christiane Möbus allein aufgrund ihrer Biografie vermag.

Das Werk der 1947 Geboren hat zahllose Stufen durchlaufen. Eindrücke der siebziger Jahre, in denen sie als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes die experimentelle Avantgarde von New York erlebte, verbinden sich mit ihren Erfahrungen der Achtziger, in denen die europäischen Künstler gewaltige theatralische Installationen entwarfen. Beides mischt sich in ihren Werken: die große Geste mit der minimalen Intervention, der Bezug zum Körper mit dem abstrakten formalen Gehalt jener mächtigen Objekte und präparierten Tiere, die sie für ihre Arbeiten verwendet.

So steht die Kutsche etwas windschief auf dem Parkett, mit speckigen Sitzen und rostigen Rädern. Still gestellt, weil kein Pferd mehr für Geschwindigkeit sorgt. Ein Relikt, tot wie die Eisbären am anderen Ende des Raums. Und über der Kutsche hängt ein dunkler, schwerer Zylinder, der jeden Moment auf die unsichtbaren Passagiere zu fallen droht. Nur wer sich nah an die Kutsche wagt, der versteht, weshalb Christiane Möbus die Arbeit „Mit Zugang zum Olymp“ nennt: Im Innern des Zylinders ist es hell, wie durch einen Tunnel schaut man nach oben an die meterhohe Decke. Der Blick in den Himmel – ein kostbarer Moment, genau wie bei der Tischskulptur „Erika“, bei der man aus nächster Nähe das Glück der Erde erfahren kann. Christiane Möbus ist Expertin für solche Momente. Auch wenn sie mit der Kutsche anrauscht.

Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Eröffnung und Preisverleihung heute, 19 Uhr, Ausstellung bis 6. Juni; Mi-Mo 10-20 Uhr

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