zum Hauptinhalt
Dunkelkammer des Kapitalismus. Lu Yang entwirft in ihrem Video „Material World Knight“ eine farbenfrohe Dystopie.

© Vitamin Creative Space/Lu Yang, Société

Chinesische Medienkunst in Berlin: Cyborg ärgere dich nicht

Wie sieht die Zukunft aus? Bunt. Und düster. Zumindest in Chinas Medienkunst. Die Schau „Micro Era“ im Kulturforum zeigt vier unterschiedliche Generationen.

Alles in dem Video von Cao Fei ist im Fluss und suggeriert Bewegung: die Förderbänder, die komplett identisch verpackten Waren und ihre kleinen, digitalen Aufseher. Niedliche Roboter, die außer ein paar Ersatzteilen eigentlich nichts aus diesem gigantischen Logistikzentrum brauchen. Da stellt sich nach kurzer Zeit schon die Frage, für wen all diese Kartons eigentlich bestimmt sind.

„Asia One“ ist das cineastische Hauptstück der Ausstellung „Micro Era“ im Kulturforum – und Cao Fei sicher eine der renommiertesten Künstlerinnen, wenn es um mediale Arbeiten aus China geht. Vergangenes Jahr widmete das Düsseldorfer Museum K21 der 41-Jährigen einen großen Überblick, „Micro Era“ begnügt sich mit zwei Arbeiten, stellt dafür jedoch Zusammenhänge her.

Was hat die Medienkunst in China geprägt, und auf welchem Kanon bauen Cao Feis international gefeierte Arbeiten auf? Wer so fragt, kommt an Zhang Peili nicht vorbei. Von der Malerei wechselte der 1957 geborene Künstler Anfang der 80er Jahre zum Video, das serielle Arrangement filmischer Gesten ist sein Markenzeichen.

Im Kulturforum stehen die zwölf Monitore von „Uncertain Pleasure“ halbkreisförmig auf dem Boden. Überall sieht man Hände, deren Fingernägel über weiche Haut fahren. Sich vorzustellen, wie schnell aus einem angenehmen Kratzen eine körperliche Tortur werden kann, liegt nahe. Oder, im Umkehrschluss: dass eine leise Geste in ewiger Wiederholung irgendwann zu sichtbaren Verletzungen führt.

Zhangs Arbeit von 1996 lässt sich ebenso als Reflexion über den Körper lesen wie als Kritik an politischen Missständen. Diese Zweideutigkeit wiederholt sich in seinen anderen Werken. Fünf davon sind in der Ausstellung zu sehen und machen sein Werk verständlich.

Nach den Menschen. Cao Fei macht mit ihrer filmischen Arbeit "Asia One" die Hallen eines Logistikzentrums zum Schauplatz eines Märchens.
Nach den Menschen. Cao Fei macht mit ihrer filmischen Arbeit "Asia One" die Hallen eines Logistikzentrums zum Schauplatz eines Märchens.

© Cao Fei/Sprüth Magers

Noch mehr zeigt nur Lu Yang, Jahrgang 1984 und damit die junge Generation chinesischer Medienkunst. Ihre durch mehrere Räume mäandernde Geisterbahn aus Videos, Plakaten und monsterhaften Skulpturen koppelt das Weltwissen aus dem Internet egalitär zusammen. Egal, ob es sich um Mythen, historische Rituale oder Cyber-Fantasien handelt, alles ist verfügbar.

Am Ende geht es der Künstlerin ebenfalls um Fragen von Gender oder Grenzen der Wissenschaft. Doch der Eindruck, Lu Yang wolle ihr Publikum keine Millisekunde langweilen und bombardiere es deshalb mit immer neuen höllischen Eindrücken, überwiegt.

Was für ein Kontrast zu Fang Di. Der Künstler aus der Provinz Guangdong, Jahrgang 1987 und damit wenig jünger als Lu Yang, lässt sich viel Zeit, um den Aufstieg eines Botanikers in Port Moresby zum autoritären Politiker zu verfolgen. Seine aktuelle Video-Installation „Minister“ speist sich aus einer „Belt and Road Initiative“ zwischen China und Papua-Neuguinea.

Fang Di begleitet das Projekt in der Hauptstadt der Inselnation künstlerisch und dokumentiert die schleichenden Veränderungen als Konsequenz jener interkontinentalen Handels- und Infrastrukturnetze, die der chinesische Staat seit 2013 vorantreibt.

Vier Positionen, die einiges trennt und anderes verbindet. Das sieht nach wenig aus, um die Medienkunst eines Landes mit fast 1,4 Milliarden Einwohnern abzubilden. Dennoch ermöglicht „Micro Era“ einen repräsentativen Blick, weil das dreiköpfige deutsch-chinesische Kuratorenteam die Ausstellung der Nationalgalerie sorgfältig vorbereitet hat.

Auch Cao Fei zeigt nicht allein ihre hyperästhetische, einstündige Videoinstallation „Asia One“. In der auf zwei Räume konzentrierten Schau läuft auch „11.11“, ebenfalls ein Video vom vergangenen Jahr. Es zeichnet in ungeschönten Bildern und Gesprächen die Arbeitsbedingungen jener Boten nach, die die Kartons letztlich zum Kunden bringen.

[Kulturforum am Matthäikirchplatz, bis 26. Januar 2020, Di, Mi, Fr 10–18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa, So 11–18 Uhr]

„Asia One“ hingegen ist ein artifizieller Science Fiction aus der Dunkelkammer des Kapitalismus. Gefilmt wurde beim E-Commerce-Giganten JD.com in einem Versandzentrum nahe Shanghai. In dieser echten Kulisse verwickelt Cao Fei ihre Protagonisten, zwei angeblich letzte Angestellte, in ein Märchen mit Gesang, Volkstanz und Zeitreisenden.

Beide – eine junge Frau und ein junger Mann – tragen Strichcodes auf ihren Armen, die sie ebenso lesbar machen wie das Heer der Waren ringsum. Ihre Aufgabe: Sie sollen die Maschinen beaufsichtigen. Doch im Zeitalter künstlicher Intelligenz brauchen diese die Menschen nicht mehr. Es sei denn, man stülpt dem sympathischen und dennoch nervigen Roboter einen Karton über, wie es die Frau irgendwann tut.

Dann verspannt sich das System, fährt buchstäblich kopflos gegen Regale. Und reagiert, so ist zu befürchten, am Ende strafend. Denn auch der Mann ist, allerdings versehentlich, zuvor gegen eine Maschine gefahren. Und die Zuschauerinnen und Zuschauer, die vor der Projektion wie in einem kleinen Kino Platz nehmen, sieht den „Trust-Score“ dieses menschlichen Versagers nach unten stürzen. Künftig werden sich die Roboter vor ihm in acht nehmen.

Es braucht nicht viel, um die realen und die surrealen Fäden dieser Story auseinander zu winden. Das Punktekonto ist längst in Arbeit, China plant ein System sozialer Kontrolle, das eifrige Bonussammler bevorzugt. Wer dagegen ins Minus rutscht, muss mit Einschränkungen rechnen.

Die Schönheit der Oberfläche, der perfekte Sound von „Asia One“ und die Melancholie seiner Protagonisten, die einem Film von Wong Kar-Wei entsprungen sein könnten, täuscht. Cao Fei verhandelt durchaus harte Themen. Sie kritisiert, fragt nach der Rolle des Mensch(lich)en in naher Zukunft und lässt ihre beiden überkommenen Charaktere leise murren. Nichtstun oder das sinnfreie Dekorieren des Smartphones mit Glitzersteinchen kann auch eine Form des Widerspruchs sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false