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Schauspielerin und Aktivistin Carina Kühne als Leonie in Susanne Lipps Komödie.

© David Baltzer/Bildbuehne/Grips

"Cheer Out Loud!" am Grips Theater: Die Rettung heißt Leonie

Inklusion ist das Zauberwort der Gegenwartspädagogik. Doch darunter versteht jeder etwas anderes. Das Grips Theater zeigt jetzt mit „Cheer Out Loud!“ das erste Inklusions-Stück.

Erst mal muss man die gleiche Sprache sprechen, sonst funktioniert die Chose nicht. Also das Cheerleading. Wer glaubt, das sei nur Puschelschwenken von feschen Mädchen im Glitzermini, liegt gründlich daneben. Verlangt ist Chanten, Tumblen, Tossen, Twisten, Hurdlen, Cradlen, Piken, Jumpen – kurz: Das professionelle Anfeuern von Athleten ist ein Hochleistungssport für sich. Einer, der schön anzuschauen sein soll, weswegen, pardon, übergewichtige oder sonst wie von der Idealnorm abweichende Menschen sich lieber auf Betätigungen verlegen sollten, bei denen niemand zusieht. So in der Art erklärt’s die toughe Trainerin Ricarda (Regine Seidler) im Stück „Cheer Out Loud!“ am Grips Theater.

Die Komödie von Susanne Lipp – die für das Kinder- und Jugendtheater am Hansaplatz schon die tolle Produktion „Nasser #7Leben“ nach einer wahren Coming-out- und Überlebensgeschichte entwickelt hat – arbeitet sich an einem Begriff ab, der ähnliche Verständnisprobleme aufwirft wie die Terminologie des Cheerleadings: Inklusion. Es ist das Zauberwort der Gegenwartspädagogik, das einem aus den Image-Broschüren fast aller Berliner Schulen entgegenleuchtet, in der Praxis jedoch höchst verschieden interpretiert wird. Fernab der Fachkreise wissen die meisten nur, dass Inklusion, zugespitzt, irgendwas mit Behinderten zu tun hat. Oder besser: „Menschen mit Behinderung“? Eine Frage, die in „Cheer Out Loud!“ aufgrund dramatischer Entwicklungen eine gewisse Dringlichkeit gewinnt.

Für Inklusion fließen Fördergelder!

Das Basketballteam des SV Grünow hat mal wieder verloren und steht vor dem Abstieg. Der Hauptsponsor steigt aus, die Pleite droht und damit auch die Auflösung der Cheerleading-Gruppe. Ausgerechnet in dieser Situation will Leonie mitmachen, beim Chanten, Tumblen und dem ganzen Rest. Was außer ihr selbst kaum jemand für möglich hält. Denn Leonie ist ein Mensch mit Down-Syndrom und entspricht damit so gar nicht dem von Trainerin Ricarda entworfenen Anforderungsprofil hinsichtlich geistiger und körperlicher Perfektion. Allerdings wittert der Kassenwart des Vereins – ein Neoliberaler mit Ambitionen (Frederic Phung) – die Gunst der Stunde: Für Inklusion fließen schließlich die Fördergelder. Die Rettung naht!

Leonie wird von der Schauspielerin und Aktivistin Carina Kühne gespielt, die mit dem Film „Be my Baby“ von Christina Schiewe bekannt geworden ist, der Geschichte eines Mädchens mit Down-Syndrom, das sich sein Recht auf Mainstream-Ideale wie Heirat und Kinderkriegen nicht nehmen lassen will. Als weitere Gäste wirken Max Edgar Freitag und Rachel Rosen vom kooperierenden Theater Thikwa mit – eine schöne Allianz. Die Kreuzberger Bühne, an der seit je behinderte und nicht behinderte Performer gemeinsam spielen (wofür der Terminus „mix-abled“ der Inklusion vorgezogen wird), setzt ja nicht nur in Berlin Maßstäbe in Sachen Selbst-Empowerment und Autonomie des Ensembles. Als im wahrsten Sinne schrankenloses Theater.

Handwerkliche Wirksicherheit

Am Grips stehen Carina Kühne und die Thikwas nun im Dienst einer in mehrfacher Hinsicht reibungslos ablaufenden Produktion, die Robert Neumann („Alle außer das Einhorn“) mit handwerklicher Wirksicherheit inszeniert. Äußerlich passt alles. Bühnenbildner Georg Burger hat einen Kubus mit transparenten Wänden gebaut, die auch Projektionsflächen sind und am Ende der Offenheit eines Raus-aus-der-Box-Aufrufs weichen. Mit dem Beatboxer Alexander Maulwurf und dem Cellisten Sonny Thet sind zwei hervorragende Musiker am Start. Auch leitet Neumann das Ensemble zu einem erfrischend grotesken Spielstil an, mit Bewegungen in Zeitlupe oder im Freeze und mit amüsant geloopten Sätzen.

Schade nur, dass die Konflikte recht ungeschärft bleiben. Sowohl in Leonies Familie (mit Luisa Charlotte Schulz und Christian Giese als Eltern und Lorris Andre Blazejewski als Bruder) als auch im Cheerleading-Team, wo Jana (Lisa Klabunde) die Solidarität mit der ehemaligen Freundin vermissen lässt. Bis zum Finale, das den Cheerleading-Sexismus mit einer Buntheit-statt-Schönheitsterror-Message zu überschreiben versucht, gewinnen die Figuren wenig Kontur in ihren Wünschen und Kämpfen. Das Happy End bricht recht plötzlich herein. Dabei hat sich seit 1980, als das Grips mit „Stärker als Superman“ erstmals die „Berührungsängste“ im Umgang mit behinderten Menschen thematisierte, in Sachen Ressentiments nicht so wahnsinnig viel verändert. Dazu immerhin stößt „Cheer Out Loud!“ die notwendigen Diskussionen an.

wieder am 19. und 21. Januar, weitere Termine bis Mai

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