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Selbstporträt im Revolutionsjahr 1848. Charles Baudelaire.

© PRA

Charles Baudelaire in Neuübersetzung: Eleganter Ekel

Charles Baudelaires Prosagedichte „Der Spleen von Paris“ haben eine neue Gattung begründet. Simon Werle hat die legendären Texte meisterhaft übersetzt.

Von Gregor Dotzauer

Mit Charles Baudelaires „Blumen des Bösen“ erwachte die Poesie zu den Nervenabenteuern der modernen Großstadt: ihrem bedrückenden Schmutz, Lärm und Elend, aber auch zu ihrer euphorisierenden Eindrucksflut.

Mit den 1869, zwei Jahre nach seinem Tod erschienenen „petits poèmes en prose“ unter dem Titel „Der Spleen von Paris“ trieb er dieses Schwanken zwischen Rausch und Albtraum ohne schützenden Reim und metrische Abmilderung auf die Spitze. Man darf diesen Spleen, den Baudelaire in der ersten Abteilung der „Fleurs du Mal“ mit dem Gegenbegriff des Ideals verkoppelte, nicht als Schrulle oder Marotte missverstehen.

Stefan George übersetzte „spleen et idéal“ einst mit „Trübsinn und Vergeistigung“. Das trifft die Gemütslage, zumal der Spleen etymologisch auf splen, das altgriechische Wort für die Milz, zurückgeht: ein immunologisch bedeutsames Organ, dem in weniger aufgeklärten Zeiten der Sitz melancholischer und hypochondrischer Zustände zugetraut wurde.

Simon Werle, der vor zwei Jahren eine Neuübertragung der „Blumen des Bösen“ vorlegte, dachte gar nicht mehr daran, Spleen und Ideal erneut einzudeutschen, tat sonst aber alles dafür, Baudelaire straff und zeitgemäß erscheinen zu lassen. Nun lässt er, zusammen mit Jugendgedichten sowie auch in Frankreich erst wiederentdeckten Versen und der autobiografischen Liebesnovelle „Die Fanfarlo“, die 50 berühmten Prosatexte in einer zweisprachigen Ausgabe folgen.

Gerade weil es hier keine Formzwänge einzuhalten galt, konnte Werle die sadomasochistischen Kurzgeschichten („Erschlagen wir die Armen“), träumerischen Reflexionen („Anywhere out of this world“) und finsteren Traumgesichte („Jedem seine Chimäre“) doppelt überzeugend übertragen. Ihr Ekel, ihre Aggression, ihr Sehen und Sehnen kommen einem auch nach anderthalb Jahrhunderten noch ganz nah.

Charles Baudelaire: Le Spleen de Paris – Der Spleen von Paris. Hrsg. und aus dem Französischen neu übersetzt von Simon Werle. Rowohlt, Hamburg 2019. 512 Seiten, 40 €.

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