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Schauplatz der meisten Pavese-Romane: Die Langhe, die Hügel um Turin herum im Piemont

© Getty Imges

Cesare Paveses Romantrilogie "Der schöne Sommer": Angriff der Gegenwart

Die Leidenschaften einer verlorenen Generation: Cesare Paveses wunderschöne Romantrilogie „Der schöne Sommer“ in einer Neuausgabe.

An literarischem Selbstvertrauen scheint es Cesare Pavese in den letzten Jahren vor seinem Selbstmord im August 1950 in einem Turiner Hotelzimmer nicht gemangelt zu haben. „Am 4. Oktober den Diavolo in collina beendet.“, notiert er am 7. Oktober 1948 in sein Tagebuch. „Es sieht nach etwas Großem aus. Es ist eine neue Sprache“.

Und ein halbes Jahr später, Ostern 1949: „Heute entdeckt, dass Tra donne sole ein großer Roman ist.“

Kurz nach der Fertigstellung von „Tra donne sole“ erscheinen die beiden Romane zusammen mit dem 1940 entstandenen Kurzroman „La bella estate“ als Trilogie in einem Band, und Pavese nimmt dafür „respektvolle Glückwünsche der Kollegen entgegen: „Position des Arrivierten“.

Kurz darauf erhält er für die Trilogie Italiens bedeutendste Literaturauszeichnung, den Premio Strega. Als „Arrivierter“ ist er dann auch in die Literaturgeschichte eingegangen: Der 1908 in einem Örtchen in Piemont geborene Schriftsteller ist einer der Größten der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts, einer der Großen der europäischen Literatur.

Drei urbane Romane

Seine Trilogie, die jetzt in einer Neuübersetzung im Schweizer Rotpunkt Verlag erscheint, (Aus dem Italienischen von Maja Pflug, 488 S., 29 €.) hat Pavese selbst einmal unter anderem als „drei urbane Romane, (...), drei Romane über jugendliche Begeisterung und gescheiterte Leidenschaft“ bezeichnet. Wer sie tatsächlich einmal in seiner Jugend gelesen haben sollte, dürfte diese Lektüre kaum vergessen haben.

So wie beispielsweise der Erzähler in Ulrich Peltzers jüngstem Roman „Das bist du“, der sich daran erinnert, wie er als Anfang Zwanzigjähriger zwischen Uni und Nachtleben durch West-Berlin stolpert: „Mir kam das alles vertraut vor, diese Künstler, Pseudo-Künstler, Drifter, die im Turin der Nachkriegszeit Tage und Nächte totschlugen mit ihrem Gerede, mit Träumen und Grübeleien. Wie soll man leben, wie lieben, was ist Verantwortung? Wenn man aufhöre, sich Illusionen zu machen, sagte jemand irgendwo, erst dann sei man wirklich frei.“

Peltzers Held ist begeistert von der jungen Näherin Ginia, der Hauptfigur aus „Der schöne Sommer“, wie „La bella estate“ auf Deutsch heißt. Begeistert von ihrer „stoischen Hingabe“, ihrer Offenheit und ihrer „inneren Kraft“, die sie über die Enttäuschung hinwegkommen lässt, von dem jungen Maler Guido um ihre Liebe betrogen worden zu sein.

Auch die Ich-Erzählerin Clelia aus dem letzten Band der Trilogie, „Die einsamen Frauen“, ähnelt Ginia.

Nimmt Pavese in der Figur der Rosetta sein Schicksal vorweg?

Nicht nur, weil sie ebenfalls Schneiderin ist, ihre erste Liebe ebenfalls Guido hieß und dieser sie sitzen ließ. Sondern auch, weil sie daraus ihre Robustheit, ihre Lebensstärke gezogen hat: „Er war nicht einmal fähig gewesen, mich sitzen zu lassen. Man kann einen anderen nicht mehr lieben als sich selbst. Wer sich nicht selber rettet, den rettet keiner.“

Aus Clelia ist eine erfolgreiche, selbstbewusste Frau geworden. Sie kehrt am Anfang von Paveses Roman aus Rom nach Turin zurück, an den Ort ihrer Kindheit, um hier die Filiale eines Modegeschäfts einzurichten und zu eröffnen.

Schon am ersten Tag beobachtet sie in ihrem Hotel, wie eine junge Frau, Rosetta, nach einem Selbstmordversuch auf einer Bahre hinausgetragen wird. Dabei meint sie auf dem Gesicht von Rosetta einen Ausdruck zu erkennen, „der geistreich gewesen war.“

Rosetta kommt im Gegensatz zu Clelia aus gutem Hause, und in der Folge entwickelt sich der Roman aus dem Gegensatz dieser beiden Frauen, zu denen sich weitere Bekannte und Freundinnen gesellen, Momina, Mariella, Nene. Sie alle gleiten durch die Turiner Tage, treffen sich auf Bällen, in Bars, zu Landausflügen, wollen ein Theaterstück auf die Bühne bringen.

Der italienische Schriftsteller Cesare Pavese. (1908 - 1950)
Der italienische Schriftsteller Cesare Pavese. (1908 - 1950)

© imago/Leemage

Die Einzige, die es wirklich „geschafft“ hat, ist Clelia, die sich dessen auch rühmt – und trotzdem sich zu Rosetta hingezogen fühlt, deren Überdruss, deren Todessehnsucht ergründen will. In der Nacht im Hotel, so erklärt Rosetta, wäre gar nichts Besonderes gewesen, sie habe einfach nicht mehr „die Geduld gehabt zu warten.“

Unweigerlich denkt man bei Rosetta an das Schicksal Paveses, in dessen letzten Tagebuchaufzeichnungen 1950 auffällig oft das Wort „Selbstmord“ vorkommt; „Die Selbstmörder sind schüchterne Mörder. Masochismus statt Sadismus“ heißt es beispielsweise zwei Wochen vor seinem Freitod.

Trotzdem ist Paveses Romantrilogie weit entfernt von einer klaustrophobischen Düsternis. In den beiden ersten Romanen ist der Sommer die bestimmende Jahreszeit, und auch in „Die einsamen Frauen“ weiß Clelia an ihrem ersten, noch vom Januarschnee bestimmten Turiner Tag, „dass bald die erste Sonne diesen Matsch auflösen und den Frühling eröffnen würde.“

Alle Figuren sind Zeittotschläger, driften durch Tag und Nacht, nicht zuletzt unter dem Einfluss von Alkohol und Kokain. Sie sind Maler, Schauspielerinnen, Nichtsnutze oder Studenten, reich oder arm, und wenn sie Arbeiter sind oder ihr Land selbst bestellen, werden sie von Pavese geradezu idealisiert.

Möglichkeiten eines gelungenen Lebens

Das urbane Milieu ist ständig auf Suche, ohne zu wissen, was eigentlich wird, bestimmt von einer vagen, ebenfalls kaum genau zu charakterisierenden Sehnsucht.

Natürlich spielt die Liebe eine große Rolle. Doch geglückte Beziehungen gibt es keine, nicht die von Ginia und Guido, nicht die von Poli und Gabriella oder Oreste und Cinta in „Der Teufel auf den Hügeln“ (Oreste verliebt sich unglücklich und erfolglos in Gabriella), nicht die von Clelia zu diversen Männern.

Clelia hält sie bewusst auf Abstand, und einen One-Night-Stand, der einer Vergewaltigung gleichkommt, kommentiert sie so: „Er bewegte sich nur wenig, und es war gleich vorbei.“ (...). ,Lassen Sie uns jetzt schlafen?’, brummte ich.“

Auffallend ist, dass Pavese vor allem in den beiden späten Romanen Gegenwelten aufbaut, er Möglichkeiten eines gelingenden Lebens zeigt. Die einfachen Leute, Lokale, das Leben auf dem Land. „Schlimme Sache, Land zu besitzen und nicht dort zu leben“, heißt es einmal „In der „Teufel auf den Hügeln“.

Hier ist die Natur das Nonplusultra, die unberührte, sich selbst überlassene, die Landschaft in den Hügeln in den Langhe um Turin:  „Der Gedanke, dass die glühende Sommersonne in den Wäldern nach Tod schmeckte, war wahr. Hier brach niemand die Erde auf, um ihr etwas abzutrotzen, niemand lebte hier: Einmal hatte es jemand versucht und dann aufgegeben.“

Man könnte bei Pavese Figuren von einer verlorenen Generation sprechen, einer Generation, die der Zweite Weltkrieg um ihre Jugend gebracht hat. Aber vom Krieg ist fast nie die Rede, von Mussolinis Faschismus, der schwierigen Nachkriegszeit, all das spielt schon in „Der schöne Sommer“ von 1940 keine Rolle, außer dass Ginias Liebhaber, Guido, seinen Wehrdienst absolvieren muss.

Cover der Pavese-Trilogie im Schweizer Rotpunkt Verlag
Cover der Pavese-Trilogie im Schweizer Rotpunkt Verlag

© Verlag

Paveses Trilogie hat etwas Universelles, Allgemeingültiges, gerade was die Verlorenheit und Orientierungslosigkeit und das Sich-Treiben-Lassen der Orestes, Mominas, Guidos oder Pierettos betrifft. Man merkt den Romanen die Zeit, in der sie angesiedelt sind, nicht an, ihre Mischung aus Neo-Realismus und Existentialismus.

Das hat auch mit Paveses entschlackter, genauer, an amerikanischen Vorbildern angelehnter Sprache zu tun, (er hatte unter anderem Dos Passos, Steinbeck oder Faulkner übersetzt), einer nicht zuletzt gesprochenen Sprache, die die Dialoge der Figuren umso glaubwürdiger werden lässt und in einem schönen Kontrast zu den klaren, poetischen, wahnsinnig schönen, mitunter mythisch aufgeladenen Naturbeschreibungen steht.

Maja Pflug hat für diese Ausgabe „Der Teufel auf den Hügeln“ neu übersetzt und die anderen Romane, die sie 2008 und 2012 übersetzt hatte, neu durchgesehen. Sie bringt Paveses Sprache wunderbar zum Funkeln. Manches ist beim zweiten Durchgang noch klarer, organischer geworden:

Wenn etwa aus dem „Frätzchen“, mit dem Clelia das „geistreiche“ Antlitz von Rosetta auf der Bahre beschreibt, schlicht und einfach der „Ausdruck“ wird.

Pavese liest sich so enorm gegenwärtig, und der Zauber der jugendlichen Erstlektüre wird beim späten Wiederlesen eher größer. Gut möglich, dass sich immer wieder neue Generationen im Personal dieser Romane wiederfinden.

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