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Catherine Lamb

© Rui Camili

Catherine Lamb bei der Maerzmusik: Vom Klassik-Nerd zur Avantgarde-Komponistin

Beim Maerzmusik-Festival trifft Avantgarde auf Klassik. In diesem Jahr dabei: die US-Komponistin Catherine Lamb.

„Meine Klavierlehrerin war überzeugt davon, dass ich es mit der Musik nicht erst meinte, einfach nur herumspielte.“ Die elfjährige Catherine Lamb brachte zum Unterricht Stücke mit, die sie selbst geschrieben hatte. Und elfjährige Komponistinnen – wer wollte die ernst nehmen? Ein ernstzunehmendes musikalisches Talent hätte sich vor den Großen der Geschichte verneigt, an ihnen abgearbeitet, seine Spieltechnik an den Jahrhunderten geschliffen, um bei Wettbewerben als Siegerin hervorzugehen und eines Tages, in seidene Ballkleider gehüllt, die großen Bühnen der Welt zu bespielen. „Alles wird so schnell dogmatisch“, sagt die Komponistin an einem der ersten Frühlingstage im Park.

Dogmatisch wird alles nicht nur im Klassikbetrieb. Zur Welt kam Catherine Lamb 1982 in Olympia. Die Hauptstadt des US-Bundesstaats Washington könnte als Geburtsort der Grunge-Welle gefeiert werden, wenn nicht die Popgeschichte die benachbarte, weit größere Metropole Seattle mit diesem Titel versehen hätte. „Die Schule“, erzählt Lamb, „die Courtney Love im Hole-Song ,Olympia’ besingt, habe auch ich besucht“.

Courtney Love besang die Schule von Catherine Lamb

Grunge, diese wütende Absage der Generation X an Rollenbilder und das Weltgefüge der Achtziger, war hier schon Mainstream, als man anderswo noch Phil Collins für das nächste große Ding hielt.

Und Mainstream hieß: Auch hier wurde alles schnell dogmatisch. Unter ihren E-Gitarre-, Schlagzeug-, Bass-affinen Freunden galt sie, mit Bratschen- und Klavierunterricht, als „Klassik-Nerd“. „Ich erinnere mich an die Betroffenheit an der Schule 1994, als sich Kurt Cobain das Leben nahm. Musikalisch hatte ich kurz zuvor, mit elf Jahren, ein Schlüsselerlebnis, das mir klarmachte, dass ich Musikerin werden würde. Und zwar nicht beim Hören von Nirvana, sondern einer Aufnahme von Strawinskis Le Sacre du Printemps.“

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Unter Grunge-Kids ein Klassik-Nerd, versprach die Klassikwelt ein Ankommen – doch auch das sollte noch lange ausbleiben. Mit 18 Jahren verließ sie zunächst, dank eines Stipendiums, Washington, um eine Schule mit Musikschwerpunkt in Minnesota zu besuchen. „Die Lehrinhalte waren so konservativ, dass ich schon an meiner Entscheidung, Musikerin zu werden, zweifelte“. 2003 versprach eine Ausschreibung für einen achtmonatigen Indienaufenthalt zum Studium dortiger Musik Erlösung: „Ein vollkommen anderes Musikverständnis, eine unglaublich feine Sprache und eine ganze musikalische Welt, in der ich als komponierende Instrumentalistin einen Platz fand, machten mir klar, dass es so viele mehr Möglichkeiten gab, als ich bis dahin gedacht hatte.“

Acht Stunden am Tag habe sie dort Bratsche gespielt, in reiner Stimmung, wie es dort üblich ist. Das Stimmungssystem habe sie wieder ganz an den Anfang ihrer musikalischen Praxis zurückversetzt: Es galt, sich wieder mit den grundlegenden physikalischen Eigenschaften einer schwingenden Saite zu befassen und die Möglichkeiten, mit ihr Musik zu machen, neu zu erkunden. Die Suche nach einer entsprechenden Ausbildung in den USA führte sie schließlich an das CalArts Institut in L.A., wo sie noch einige Jahre bei James Tenney mikrotonale Musik studierte, bevor der Komponist verstarb.

[Catherine Lambs Blechbläser-Stück „Inter Spatia“ und ihr elektronisches Duo „wave/forming (astrum)“ sind am Sonntag, 20. März, um 21 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu hören. Das Konzert ist Teil des Festivals Maerzmusik, das am 18. März beginnt und am 27. März endet. Programm unter: berlinerfestspiele.de]

Wenn Lamb heute über ihre Musik spricht, klingt es nicht nach Klassik, ihre Sprache wird schnell technisch: Begriffe wie Differenz- und Summentöne, Teilschwingungen, Rückkopplung und Algorithmus lassen eher an die physikalische Akustik und Klangsynthese denken, als an eine klassische Partitur. Und in der Tat sollen, so erzählt sie, Musiker:innen schon mal angesichts der vielen Zahlen in ihren Partituren erschrecken – gewohntes vom Blatt Spiel ist damit ein wenig erschwert. „Die Mathematik ist allerdings ganz einfach, was spätestens beim zweiten Blick deutlich wird – ein wenig was von den pythagoräischen Experimenten am Monochord hat es“.

Wozu das? Wenn man beginnt, Tenneys System zu verinnerlichen, verändere sich auch das eigene Hören, erklärt sie. Statt nur eines bestimmten Zusammenklangs zweier Töne auf dem Klavier, „hört man plötzlich etwa den siebten Teilton, der auch in der Turbine eines vorüberfliegenden Flugzeugs in den Vordergrund rücken kann“. Das könne eine normale Partitur gar nicht vermitteln – und das klassisch ausgebildete Musikergehör ist dafür überhaupt nicht sensibilisiert. Was aber, wenn die Musik vor allem in diesen Teiltönen spielen soll?

Nur zusammen entsteht der Klang

In ihrer Musik, sagt sie, gehe es um die Beziehung dieser Teile zum Ganzen: Die Musiker:innen spielen zusammen einen Gesamtklang, gestalten eine sich verändernde Klangfarbe. Und erfahren idealerweise auch sich selbst als Teil von etwas Größerem, das sie eben nicht durch verschiedene Stimmen voneinander trenne.

Als Komponistin schreibe sie vor allem für die Musiker:innen – als Hörerin vollziehe sie innerlich das Musikmachen der Performer nach, wie sie es schon mit elf Jahren beim Hören besagter Strawinski-Platte tat.

„Intensives Zusammensein – heute zweifle ich allerdings an der Wichtigkeit meiner Arbeit“, sagt sie. Am Morgen des Interviewtages sollte sie mit dem siebenköpfigen Bläserensemble eigentlich das Stück „Inter Spatia“ proben, das kommenden Sonntag (20. März) bei der Maerzmusik aufgeführt wird. Der Proberaum sei allerdings unzugänglich gewesen, weil ihn der Vermieter in eine Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine umfunktioniert hatte. „Zurecht natürlich“, sagt Lamb. „Angesichts von Krieg kommt man sich etwas frivol vor, wenn man mit Musikinstrumenten in diesen Raum will. Auch wenn man weiß, dass Musik gerade in Krisenzeiten Halt geben kann“.

Der Ukrainekrieg verändert das Proben und schreibt sich so, wenn auch noch so subtil, in die Aufführung von „Inter Spatia“ und „wave/forming“ am kommenden Sonntag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein.

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