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Oh Haupt voll Blut und Wunden. Hier allerdings handelt es sich um den von Schlangen umringelten Kopf der Medusa, den Gian Lorenzo Bernini 1638/40 in Marmor geschaffen hat.

© Musei Capitolini, Rom

Caravaggio & Bernini in Amsterdam: Lasst Bilder sprechen

Das Amsterdamer Rijksmuseum jubiliert im Überschwang des römischen Barock und zeigt zwei Heroen der Epoche.

Wer als Tourist das Amsterdamer Rijksmuseum besucht, will Rembrandt sehen, voran die „Nachtwache“ – sie wird seit vergangenem Juli vor aller Öffentlichkeit restauriert –, aber natürlich auch die Porträts, die hinter der gemalten Oberfläche ein geistiges Universum bergen.

Welche Überraschung muss da die Sonderausstellung „Caravaggio und Bernini. Barock in Rom“ bedeuten, die jetzt im Philips-Flügel des Museums zu besichtigen ist!

Der römische Barock ist geradezu der Gegenpol zum Amsterdam des „Goldenen“, des 17. Jahrhunderts. Während Rembrandt Prediger konterfeit, die in der Bibel lesen, lässt Rom, lässt die katholische Kirche seit dem 1563 beendeten Tridentinischen Konzil die Bilder sprechen.

Sie sollen zu Herzen gehen: Nicht der Intellekt, sondern die Sinne werden gereizt. Freilich in den Bahnen, die die Kirche vorzeichnet: Ekstase meint allein die Überhöhung des rechten Glaubens.

Den römischen Barock schlagwortartig auf die Namen von Caravaggio und Bernini zu verdichten, ist allerdings ein Kunstgriff des Marketing. Darunter kann sich jeder kunstinteressierte Laie etwas vorstellen.

Reiche Auswahl von Bildern und Skulpturen

Zum Glück belässt es die Ausstellung nicht dabei, die beiden Heroen als Meister zum einen der Malerei, zum anderen der Skulptur zu feiern.

Vielmehr sind beider Werke eingebettet in eine beeindruckend reiche Auswahl von Bildern und Skulpturen, die zudem nicht eng auf die Kunststadt Rom beschränkt sind, sondern das Umfeld ebenso gelten lassen.

Dass dies ohne Verrenkungen vonstatten geht, verdankt die Ausstellung dem klugen Konzept ihrer Kuratoren, Gudrun Swoboda und Stefan Weppelmann aus Wien sowie Frits Scholten aus Amsterdam, die diese zuvor am Kunsthistorischen Museum Wien präsentierte Gemeinschaftsausstellung erarbeitet haben.

Sie gliedern den Barock nach den neuartigen Anforderungen, die das frühe 17. Jahrhundert in Italien, im Bann der römischen Kurie, an die Kunst stellt und auf handliche Begriffe bringt.

In neun Kapiteln werden Begriffe wie „Wunder und Staunen“, „Schrecken“, „Liebe“ oder „Bewegung und Handlung“ an so treffenden Beispielen – Meisterwerken allesamt – vorgeführt, dass die beiden im Titel genannten Protagonisten gar nicht mehr so einzigartig dastehen, sondern sich in den breiten Strom einer ungemein reichen, zumeist römischen Kunstproduktion einfügen, die beständig neue Leistungen und Lösungen hervorbringt.

Auch für heutige Besucher faszinierend

Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) hat es dabei als Bildhauer im Ausstellungsbetrieb schwerer; seine Schöpfungen sind zumeist ortsgebunden und lassen sich, wie der zauberhafte Elefant als Denkmalsträger vor Santa Maria sopra Minerva in Rom, lediglich in einem bozzetto, einem Tonmodell, vorzeigen. Zumindest der Marmorkopf der Medusa mit den auf dem Haupt sich windenden Schlangen vermag gleich im ersten Raum auch heutige, der Bildhauerei weitgehend entwöhnte Besucher zu faszinieren.

Was wäre das für ein paragone geworden, dieser seit der Renaissance gesuchte Wettstreit der künstlerischen Medien, hätte Caravaggios gemalte Medusa daneben gezeigt werden können!

Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio (1571-1610), ist zum Auftakt mit dem „Narziss“ präsent, diesem tiefsinnigen Gleichnis der Malerei, das aber gerade der barocken Dramatik entbehrt. Überhaupt kommt Caravaggio in dieser Ausstellung eher zurückhaltend daher – was die überragende Qualität seiner Gemälde um nichts mindert.

Das melancholische Porträt des Malteser Ritters Antonio Martelli oder das kaum bekannte, weil in einem Provinzmuseum bewahrte, nahezu monochrome Gemälde des meditierenden hl. Franziskus stehen für eine andere Seite des Barock als die des Gefühlsüberschwanges.

Liebe muss züchtig sein

Der wird hervorragend bedient von Bildern der Gewalt, etwa der „Enthauptung des Holofernes“ von Orazio Gentileschi (dem Vater der demnächst in Londons National Gallery vorgestellten Artemisia) oder dem überaus dramatischen „David enthauptet Goliath“ des wenig bekannten Orazio Borgianni.

„Liebe“ muss züchtig sein, dafür stehen „Der himmlische Amor besiegt den irdischen Amor“ von Giovanni Baglione – eine Leihgabe der Berliner Gemäldegalerie – oder die zauberhafte Skulpturengruppe „Eros und Anteros“ von Alessandro Algardi, der den putti, den so beliebten Kleinkindern eine höchst moralische Aussage verleiht: dass die himmlische über der irdischen Liebe steht, die hohe über der niederen.

[Amsterdam, Rijksmuseum, bis 7. Juni. Katalog niederländ. oder engl, 39,95 €. Deutschsprachige Ausgabe im Prestel Verlag, im Buchhandel 45 €. Weitere Infos unter www.rijksmuseum.nl/de/rijksmuseum]

Im begleitenden Katalog fasst Ko-Kurator Stefan Weppelmann den Grundgedanken der Ausstellung so zusammen: „Zwei Aspekte sollten von Rom aus europäische Dimensionen entfalten: zum einen der neue, überall akzentuierte Sinn für die Wirklichkeit, also für eine Formensprache dal naturale, die sich – oft mit überraschender Deutlichkeit – veristischen Details verpflichtet gibt. Zum anderen tritt nun eine gesteigerte Aufmerksamkeit für das Empfinden, für die Gefühlswelt als Manifest menschlicher Existenz hinzu.“

Für die „veristischen Details“ steht Caravaggio, für die „Gefühlswelt“ Bernini. Beides zusammen aber steht für das Bestreben des Vatikans, die durch die Reformation verunsicherten Gläubigen wieder fest an die römische Kirche zu binden.

An die Stelle der Kirche ist das Museum getreten, wie schon Hegel wusste, und die Kunst des Barock fasziniert weiterhin – als Kunst. Nur wird das, was sie einst zu sagen hatte, nicht mehr verstanden und noch weniger geglaubt.

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