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Körperkünstler. Blick in die Dresdner Ausstellung „Caravaggio. Das Menschliche und das Göttliche“.

© SKD, David Pinzer

Caravaggio-Schau im Netz: Der Zahnarzt und die Heiligen

Eine virtuelle Ausstellung in Dresdens Gemäldegalerie Alte Meister zeigt den großen Einfluss Caravaggios.

Caravaggio zählt zu den Superstars des Kunstbetriebs, so wie Raffael oder Rembrandt. Es genügt der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden denn auch, ein einziges Gemälde des Malers auszuleihen, um eine ganze Ausstellung nach ihm zu benennen: „Caravaggio. Das Menschliche und das Göttliche“. Tatsächlich aber sind 60 Werke ausgestellt, um dieses eine Bild zu umkreisen und zu erläutern und schließlich weit hinauszuführen in die Kunst, in die Caravaggio hineingefahren war wie ein Blitz.

Es ist mittlerweile hinlänglich bekannt, dass Caravaggio mit seinen super-naturalistischen Darstellungen von Frauen und Männern aus dem Volke, die auf der Leinwand mit einem Mal als Jungfrau Maria oder als Jünger Jesu daherkamen, kurz nach 1600 in Rom und etwas später auch in Neapel Furore gemacht hat. Er hatte keine Schüler im eigentlichen Sinne, dazu lebte er zu unstet, ja chaotisch, aber er zog eine breite und immer breitere Bahn von Nachfolgern hinter sich her, bis weit in das folgende Jahrhundert hinein.

Um diese phänomenale Wirkung geht es der Ausstellung, die kurz nach ihrer Eröffnung erst einmal schließen musste und nun ganz ohne Wiedereröffnung bleiben wird. Doch die Staatlichen Kunstsammlungen, technisch auf der Höhe der Zeit, haben einen virtuellen Rundgang eingerichtet, der dem realen Besuch so nahe kommt, als es mit heutigen Mitteln überhaupt möglich ist. Zudem veranstalten sie in den Schlusswochen virtuelle Führungen, an denen Interessenten nach Anmeldung via Zoom teilnehmen können. Dass hier Erfahrungen für ein künftiges Museumsangebot gesammelt werden, liegt auf der Hand.

Die Ausstellung hat Stephan Koja, der Direktor der nach ihrem Gebäude Sempergalerie genannten Museumssammlung, bis auf die eine Ausleihe ganz aus dem eigenen Bestand zusammengestellt, so reichhaltig, dass sogar noch ein Gemälde von Vermeer – „Bei der Kupplerin“ – wie beiläufig darin Platz findet, um das jedes andere Museum eine eigene Huldigungs-Schau veranstalten würde.

Ja, was wäre Dresden ohne die beiden Augusts, die nacheinander im Doppelornat des sächsischen Kurfürsten und des polnischen Königs auftraten! Sie kauften dutzendweise und wo immer ein italienischer Adeliger seine ererbten Besitztümer zu Geld zu machen sich genötigt sah. So erwarben die beiden sächsischen Potentaten sieben Gemälde von Caravaggio, und erst sehr viel später sollte sich herausstellen, „dass die angekauften Bilder allesamt aus der Hand anderer Maler stammten“, wie Koja im wie gewohnt vorzüglichen Katalog schreibt.

Die Ambivalenz im Frühwerk

Dabei macht die jeweils weniger prominente Autorschaft die Bilder ja nicht schlechter. Im Gegenteil unterstreichen sie die Kennerschaft, mit der die Kunstagenten kauften. Die Ausstellung belegt gerade durch die Nachschöpfungen, wie der Caravaggismus zur übernationalen Stilsprache wurde und in höchstem Ansehen blieb – und einen der Schwerpunkte der Dresdner Sammlung bildet.

Was aber ist das eine ausgeliehene Bild des unsteten Meisters? Es ist ein „Johannes der Täufer“, hilfsweise so bezeichnet, wie Koja im Katalog ausführt; denn es handelt sich um einen nackten Knaben in freier Natur samt einem Widder, dem aber die charakteristischen Attribute des Johannesknaben fehlen.

[Dresden, Sempergalerie, bis 17. Januar. Katalog im Sandstein-Verlag, 35 €. Virtueller Rundgang und Führungen, jeweils Fr 18 Uhr und Sa 11 Uhr online unter: gemaeldegalerie.skd.museum]

Diese Ambivalenz an Caravaggios Frühwerk von 1602 ist es, die Koja interessiert und die er mit dem gewandelten Verständnis von Kunst in den höheren Kreisen Roms in Verbindung bringt. Nicht mehr Andachtsbilder werden erworben, sondern Bilder zu gelehrtem Vergnügen, dem „diletto“, dem sich die höhere Gesellschaft hingab. „Den sozial-gesellschaftlichen Rahmen“ – schreibt Koja „bildet eine – männlich dominierte Sammlerkultur, die durch enge Freundschaften und geselligen Austausch geprägt war und in der das gemeinsame diletto an den Bildern ebenso selbstverständlich war wie der Wettbewerb um das attraktivste Bild – und das bedeutet in diesem Fall: um den attraktivsten ,Knaben’.“

Und um ein mögliches Missverständnis auszuschließen, setzt Koja hinzu: „Aus diesen Beobachtungen die faktische sexuelle oder gar pädophile Orientierung der Künstler und Sammler abzuleiten, wäre eine anachronistische Herangehensweise.“

Biblische und profane Themen

Mochte Michelangelo Merisi, der sich als Maler Caravaggio nannte, in der Frühzeit seines Erfolgs auch mehrere Knabenbildnisse geschaffen haben, so wurde er doch mit weit komplexeren Bild-Erfindungen stilbildend. Biblische und profane Themen behandelte er gleichermaßen, wobei die Grenzen fließend sind. Flämische und französische Maler gingen nach Rom, um Caravaggios in verschiedenen Kirchen öffentlich zugängliche Gemälde zu studieren (wo sie bis heute zu bewundern sind).

So verfügt die Dresdner Sammlung über so exquisite Werke wie Nicolas Tourniers „Verleugnung Petri“ von 1625, als Caravaggio bereits 15 Jahre tot war, oder dessen überragende „Wachstube“, dazu Valentin de Boulognes „Falschspieler“ von 1618, die ein neues, schlagartig beliebtes Sujet behandeln.

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Keinerlei Doppeldeutigkeit gibt es beim „Zahnarzt“, dessen Behandlung Gerard van Honthorst 1622 in caravaggeske Lichteffekte taucht, und auch der große Rubens verdankt dem nur wenig älteren Caravaggio die Lichteffekte in dem zauberhaften Bild der „Alten mit dem Kohlebecken“ von 1618.

Caravaggio hat die Kunst stark beeinflusst

Selbstverständlich haben auch italienische Maler Caravaggio nachgeeifert, wie Bernardo Strozzi mit der hocherotischen „Gambenspielerin“, oder Giulio Cesare Procaccini mit der „Heiligen Familie“. Zudem besitzt Dresden eine beeindruckende Reihe von Werken spanischer Maler, die im spanisch regierten Neapel Caravaggios Kunst unmittelbar betrachten konnten, wie Jusepe de Ribera mit dem „Martyrium des Hl. Laurentius“.

Bei allem, was im Jahrhundert nach ihm kam, hat Caravaggio Spuren hinterlassen. So erklärt sich denn auch die Hereinnahme der "Kupplerin" des Johannes Vermeer, 1656 gemalt und die eigenständige Fortentwicklung eines bei Caravaggio angelegten Sujets verdeutlichend; auch wenn Vermeers Malweise gänzlich anders beschaffen ist.

Zudem ist dies ein Hinweis auf die kommende Blockbuster-Ausstellung der Dresdner Galerie: Vermeer soll nunmehr ab Anfang Juni die Besucher in die Ausstellungssäle locken. Wenn die Pandemie es erlaubt; ansonsten virtuell - und besser als gar nicht.

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