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Berlin in Cannes. Regisseur Ulrich Köhler (r.) stellt seinen Film "In My Room" in der Reihe "Un certain regard" vor, mit Hans Löw und Elena Radonicich.

© AFP

Cannes-Tagebuch (9): Männer, die auf Männer starren

Die Frauen stehen im Mittelpunkt beim Filmfest Cannes 2018. Und was machen die Männer? Neue Filme von Matteo Garrone und Ulrich Köhler aus Berlin.

Von Andreas Busche

In Cannes stehen dieses Jahr die Frauen im Mittelpunkt. Letztes Wochenende marschierten 82 Regisseurinnen, Schauspielerinnen und Drehbuchautorinnen die Stufen zum Festivalpalais hinauf, aus Protest gegen den traditionell geringen Frauen-Anteil im Hauptprogramm. Eine wichtige Geste. Festivalleiter Thierry Frémaux unterzeichnete bald darauf eine Charta der französischen Initiative „50/50 bis 2020“. Cannes verpflichtet sich darin zu mehr Transparenz bei der Auswahl, einer kritischen Revision der Strukturen und dazu, ernsthaft auf das Ziel der Genderparität im Programm und im Kuratorium hinzuarbeiten.

Und was machen die Männer dieses Jahr so? Wer noch ein weiteres Indiz dafür benötigt, dass Cannes ein ernstes Problem mit weiblicher Repräsentation hat, braucht sich nur Matteo Garrones „Dogman“ anzusehen, in dem als einzige erwachsene Frauenfiguren Mütter und Prostituierte auftreten. In dem süditalienischen Kaff gibt die Gewalt der Männer ein ähnlich deprimierendes Bild ab wie in Garrones preisgekröntem Mafia-Panoptikum „Gomorrah“.

Marcello arbeitet als Hundefriseur; nebenbei hat er ein kleines Koksgeschäft laufen, wegen des Unterhalts für seine Tochter. Sein bester Kunde ist Simone, ein minderbemittelter Brutalo, dem Marcello in fast schon entwürdigender Loyalität ergeben ist. Die stumpfe Gewalt Simones ist die einzige Triebkraft in diesem freudlosen Werk, das auch der schiefen MenschHund-Analogie keinen interessanten Gedanken abgewinnt. Nach Frémaux' Bekenntnis, er hätte von Jessica Castains kritischer Jury-Bilanz 2017 etwas über den weiblichen Blick gelernt, ist „Dogman“ eine Bankrotterklärung das Festivals.

Die in diesem Jahr auffallenden thematischen Doppelprogrammierungen sind vielleicht ja als Handreichung für begriffsstutzige Filmkritiker gedacht. So lässt sich etwa Ulrich Köhlers „In My Room“ in der Reihe „Un certain regard“ als Pendant zu „Dogman“ lesen. Der Film, einziger deutscher Beitrag im Hauptprogramm, spielt mit dem Sci-Fi-Topos des letzten Menschen.

Eines Morgens wacht Armin (Hans Löw) im Haus seines Vaters in der westfälischen Provinz auf – und die Menschen sind verschwunden. Als hätten sie sich mitten im Leben in Luft aufgelöst: Autos bohren sich in Leitplanken, ein Ausflugsschiff trudelt auf dem Fluss. Für Armin, der in Berlin ein zielloses Dasein zwischen Berghain und schlecht bezahlten Jobs fürs Fernsehen fristet, bedeutet die Einsamkeit ein Neuanfang. Und was macht ein Mann, der sich keinen sozialen Konventionen mehr unterworfen fühlt? Er klaut einen Luxus-Sportwagen und heizt damit durch die 50er-Zone.

Berliner Firma Komplizen Film im dritten Jahr im Hauptprogramm

Das virile Phlegma fungiert gewissermaßen als Spiegelbild für die aggressive Maskulinität in Garrones Film. Und wieder gibt die Persönlichkeitsstruktur der Hauptfigur den Rhythmus vor. Armins Antriebslosigkeit hält den Film in einer somnambulen Stasis, wie man sie von Köhlers früheren Filmen kennt. Aber er entwickelt auch einen pragmatischen Überlebensinstinkt, bestellt das Feld, sitzt an der Nähmaschine und repariert eine Wassermühle. Zurück zur Natur.

Köhler interessiert sich weniger für das Endzeitszenario als für das Selbstverständnis von Männlichkeit. Der Regisseur gibt sich dabei stets amüsiert skeptisch, spielt verschiedene Passformen von Virilität durch, ohne aber die Genauigkeit von Valeska Grisebachs sozialen Beobachtungen in „Western“ zu erreichen. Mit Grisebachs Film, der letztes Jahr hier lieft, teilt sich „In My Room“ das ein oder andere Motiv. Maren Ades „Toni Erdmann“ 2016, Grisebach 2017, Köhler 2018: Der Berliner Produktionsfirma Komplizen Film ist der Cannes-Hattrick gelungen. Dass man zum Ende des Festivals von Männern, die auf Männer starren, langsam genug hat, dafür kann Köhler nichts. Ist eben ein strukturelles Problem.

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