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Ungleiches Duo. Lee (Melissa McCarthy) und ihr Partner Jack Hock (Richard E. Grant).

© Twentieth Century Fox

„Can You Ever Forgive Me?“ mit Melissa McCarthy: Die Katze maunzt auf dem letzten Loch

Journalismus oder Fälschung? Marielle Hellers bitterkomische Biopic „Can You Ever Forgive Me?“ über Lee Israel.

„Wenn du berühmt bist“, wirft die Agentin ihrer Klientin Lee Israel (Melissa McCarthy) vor, „dann kannst du gern das Arschloch spielen. Du bist unbekannt, also benimm dich nicht wie ein Miststück.“ Doch genau das tut sie. Lee Israel war, so zeigt es Marielle Heller in „Can You Ever Forgive Me?“, ihrer Adaption der Memoiren der 2014 verstorbenen Journalistin, eine kratzbürstige Schnapsdrossel. Eine, die ausschließlich ihre Katze liebt und von niemandem zurückgeliebt wird. In deren verwahrloster Manhattaner Bude es dermaßen stinkt, dass selbst der Schädlingsbekämpfer mit den Worten: „Ich komme erst wieder, wenn Sie geputzt haben!“, hinausstürmt. Ein Großmaul, das auf alles wütend und auf jeden neidisch ist: auf erfolgreichere Kollegen genauso wie auf ihre eigene Vergangenheit.

Die 1939 geborene Israel erschrieb sich ihren Ruhm in den USA der 60er und 70er Jahre zunächst durch Reportagen, ihre Porträts von weiblichen Stars – den Schauspielerinnen Katharine Hepburn und Tallulah Bankhead, der Journalistin Dorothy Kilgallen – wurden Bestseller. Hellers Film setzt nach ihrem Höhenflug ein, Anfang der 90er Jahre in einem nasskalten, analogen, billigen New York. Israels Buch über Estée Lauder ist ein Flop, ihre kranke Katze maunzt auf dem letzten Loch, ihre letzte (lesbische) Beziehung ist Jahre her, und ihre Agentin (Jane Curtin) will sie nicht mehr vertreten. Bei einer Party klaut Israel zunächst ein paar Rollen Klopapier, dann einen Mantel – das schürt ihre kriminelle Energie.

Israel war stolz auf ihre Fälschungen

Als sie später bei den Recherchen für ein neues Buch über die Komikerin Fanny Brice zufällig einen alten Brief der echten Brice entdeckt und ihn teuer verkauft, kommt ihr eine Idee: Sie beginnt auf ausrangierten Schreibmaschinen und auf alt getrimmtem Papier, Briefe von verstorbenen Persönlichkeiten zu fälschen und diese „Originale“ an Sammler und Devotionalienhändler zu verschachern. Ihr Komplize ist der kleinkriminelle Dealer, Tagedieb und verarmte Dandy Jack Hock (Richard E. Grant). Doch der missbraucht ihr Vertrauen. Und als die staubige Luft in New Yorks Antiquitätenszene für Israel dünn wird, weil man ihr auf die Schliche kommt, kippt das Glück.

„Mit Briefen ist es, als ob man noch existiert“, sinniert eine Buchhändlerin einmal. Marielle Heller und ihre Drehbuchautorin, die gesellschaftspolitisch stets aussagestarke Filmemacherin Nicole Holofcener, erzählen in dem bitterkomischen „Can You Ever Forgive Me?“, dessen Titel sich auf einen gefälschten Brief der Schriftstellerin Dorothy Parker bezieht, die Lebensgeschichte einer sperrigen weiblichen Figur. Hauptdarstellerin Melissa McCarthy, für den Oscar nominiert, entzieht sich mit Verve klischierten Frauenvorstellungen, der Film braucht nicht mal eine Liebesgeschichte, um emotional in die Tiefe zu gehen. Er behandelt vor allem die nach dem Fall Relotius gerade wieder diskutierte Frage: Was darf Literatur, was darf Journalismus – und ist ein kreativ gefälschtes Werk prinzipiell frei von Qualität?

Israel, die zugab, nicht gern über sich selbst zu schreiben, war zeit ihres Lebens stolz auf ihre Fälschungen. Genau wie etwa ein Tom Kummer, der bis heute nicht einsieht, dass er nicht nur betrog, sondern Menschen auch seine Identität überstülpte, indem er sie mit seiner Stimme sprechen ließ. Heller und Holofcener behandeln diese Frage mit zornigem Humor und überlassen es dem Publikum, eine eigene moralische Einstellung zu finden. McCarthy, in ihren graubraunen Beutelklamotten – und ständig einem Whiskyglas in der Hand – eher eine Antiheldin, macht Israels Bärbeißigkeit unwiderstehlich und schafft es dennoch, dass man von ihr leicht genervt ist. Doch man versteht auch den zum Anbeißen aufspielenden Richard E. Grant als flamboyanten best gay friend: Die hat schon was, diese Bonmots spuckende Nervensäge. Mit ihr saufen gehen war garantiert spitze.

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Dass „Can You Ever Forgive Me?“ mit seiner ruppigen Menschlichkeit auch eine Hommage an ein vergangenes New York ist, in dem Informationen nur langsam reisen und Manhattan ein ungeliebter, von Drogenabhängigen und verarmten Menschen bewohnter Second-Hand-Stadtteil war, macht sie zudem zu einer historischen Milieustudie. Das waren noch Zeiten: als unleserliche Faxe wichtige Neuigkeiten beinhalteten, als Dragqueens Lou Reeds Drogenhymne „Goodnight Ladies“ interpretierten. Als die Vermieter verwanzter Studio-Apartments monatelang auf ihre Mieten warteten. Und einen dennoch nicht rauswarfen.

In 9 Berliner Kino, OV: Cinestar im Sony Center, OmU: Eva, FSK, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Rollberg

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