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Schaubühne: Stella, Stanley und der Kleiderständer

Benedict Andrews kegelt sich an der Schaubühne durch Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“.

Wieso ist denn die Bühne so riesengroß, vierzig mal vierzig Meter vielleicht, wo doch der Konflikt in „Endstation Sehnsucht“ aus der miefigen Enge einer mickrigen Zweizimmerwohnung steigt? Damit Lars Eidinger als Stanley Kowalski später umso effektvoller Tische, Stühle und Frauen brachial durch die Weite schleudern kann.

Und warum müssen eigentlich die Frauen Blanche und Stella, während sie unablässig Kleider an und wieder ausziehen, so oft ihr Unterhöschen zeigen? Logisch: damit diese Unterhöschen von den Männern später heruntergerissen werden können. Nach A folgt, zumindest in der Logik der Inszenierungsklippschule, noch immer B. Und man kann nicht gerade sagen, dass die Ereignisse in Benedict Andrews Schaubühnen-Inszenierung des Tennessee-Williams-Klassikers nicht ausreichend vorbereitet würden. Im Gegenteil: Alles, was später kommt, wird auf so plumpe Weise angekündigt, dass von Vorher und Nachher eigentlich keine Rede mehr sein kann.

Die Ankündigungen sind so leuchtbojenhaft, dass sie die Geschehnisse vorweg nehmen. Anders gesagt: Es gibt zwar Verweise, aber kein inneres Drama, keine Entwicklung, keine Konflikte. Nur einen zweieinhalb Stunden dauernden Zustand, durch den sich die Schauspieler wie Models der Desolatheit aneinander vorbei bewegen. Konzentrieren wir uns also auf das, was dieser Abend zu bieten hat. Kostüme und Laufwege.

Jule Böwe ist Blanche DuBois, eine kultivierte, aber mit den Nerven völlig runtergekommene, verblassende Südstaatenschönheit, die nach der Beerdigung ihrer Eltern und der Versteigerung des Familienanwesens zu ihrer Schwester Stella in die große Stadt flüchtet, weil sie mit den Dämonen der Vergangenheit (Selbstmord des Ehemannes, der homosexuell war) nicht allein sein kann. Sie kommt in einem schwarzen Glitzerkleid auf halsbrecherisch hohen Absätzen durch ein offenes Tor in der Brandmauer hinten rechts aus der Kudamm-Wirklichkeit ins Theater gestöckelt, schließt die Tür und stakst dann erst mal vierzig Meter nach links, um drauf eine vollgehängte Kleiderstange nach vorn zu schrieben. Das gleiche macht sie mit einem Spiegel, nebenbei genervt stöhnend gegen eine Billardkugel tretend, die da frei im Raum liegt. Puh! Gehen kann so anstrengend sein. Darauf erst mal eine Zigarette. Und ein bisschen ausruhen auf einem Stuhl in der Mitte der Bühne, zu dem man – stöckel, stöckel – allerdings auch erst hin kommen muss.

Und wie Blanche dann da sitzt, rauchend, Whiskey trinkend, möchtegern mondän wie Joan Collins und in Wahrheit so kaputt wie Gena Rowlands in den Filmen von Cassavetes – da ist dieser Abend für zwei, drei stille Minuten auf der Höhe seiner Vorlage. Selten hat man Jule Böwe so stark, so wenig als nöliges Mädchen gesehen. Man kann die Migräne, zu der die anstrengende Illusion der feinen Dame zwangsläufig führen muss, quasi an den eigenen Schläfen spüren.

Dann greift allerdings Andrews Choreographie der Konfliktvermeidung. Lea Draeger hüpft als Stella von links heran, umarmt ihre Schwester, springt dann aber wie ein ängstliches Reh gleich wieder ein paar Meter weg, so dass Blanches rauchige Wortkaskaden, pendelnd zwischen Arroganz und Weinerlichkeit, ins Leere sprudeln. Von rechts schnürt darauf hin Lars Eidinger als Stanley, Stellas Ehemann und im Stück der rohe Gegenpart zu Blanches gekünstelter Feinnervigkeit, mit pantherhafter Lässigkeit heran, zieht aus unerfindlichen Gründen aber sofort sein T-Shirt aus, bevor er einen Flirt mit Blanche beginnt, der genauso abrupt verpufft, wie er unmotiviert aufgeflammt war. Schon stößt er zur Demonstration seines unbeherrschten Charakters den Tisch um, zerdeppert Stühle an der Wand, lässt die Billardkugel krachen, spuckt Kuchen, während die Frauen sich Richtung Kleiderständer zurückziehen. Raus aus dem einen, mit Blumen verzierten Flitterkleidchen, rein ins nächste, mit Schmetterlingen verschönte Blüschen. Als Grund für die Kleiderwechselei bietet sich nur folgender an: die Auswahlmühe der Kostümbildnerin Magda Willi soll sich wenigstens gelohnt haben.

Was sonst noch auffällt: Während Stanley meist von rechts kommt, tritt Mitch (Jörg Hartmann in der Bundfaltenhose des ewigen Muttersöhnchens) regelmäßig von hinten auf. Während Stanley mehr in Geraden tobt, nähert sich Mitch in immer kleiner werdenden Kreisen Blanche, die er erst begehrt, dann wegen ihrer männerreichen Vergangenheit verachtet und schließlich fast vergewaltigt.

Rätselhaft an der fetzenfliegenden Orgie der Vorhersehbarkeit ist nur eines: eine Bowlingkugel, ein Spiegel. Warum klirrt da nichts?

Wieder vom 5. bis 7., am 17. und vom 22. bis 24. Mai.

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