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© Joachim Fieguth

Oper: Wagners "Rienzi": Der Diktator und sein Double

Volkstribun im Führerbunker: Philipp Stölzl riskiert Richard Wagners "Rienzi" an der Deutschen Oper Berlin.

Vielleicht fängt das Problem des Abends damit an, dass Heldentenöre und Diktatoren sich so wenig ähnlich sehen. Was macht den gemeinen Diktator aus, fragt man sich jetzt natürlich: das Oberlippenbärtchen eines Hitler, die Leibesfülle eines Idi Amin, das Echsenhafte eines Kim Jong-il? Torsten Kerl jedenfalls, der an der Deutschen Oper im Rahmen der Wagner-Wochen nun einen wirklich respektablen, konditionssicheren, kernig-fedrig timbrierten Rienzi singt, geht physiognomisch alles Fiese und Brutale ab. Wie ein gemütlicher Bully Herwig winkt er von der Riesenleinwand, die Regisseur und Co-Bühnenbildner Philipp Stölzl als Weltfenster über das Geschehen spannt und mit allerlei stilisiertem Reichsparteitagsgedöns in Riefenstahl-Manier bespielt. Überlebensgroß, mit scharfen Nasenkanten und schwarzen Augenringen, darf Kerl darauf Pantomime treiben, mal den eigenen Gesang synchronisierend, mal auch nicht, Propaganda für Fortgeschrittene, die Ufa lässt grüßen – und schon sind wir wieder bei Hitler.

Doch halt: Wieso soll Rienzi, Volkstribun im 14. römischen Jahrhundert, eigentlich Diktator sein, Schlächter, Menschenverächter? Er, der den Plebejern eine Verfassung gibt und Rechte gegen die Willkür des Adels, der Milde walten lässt, seine Gegner begnadigt und am Ende einer ordinären Intrige zum Opfer fällt? Die Antwort gibt die Rezeptionsgeschichte der Oper, die mit der historischen Figur und Wahrheit wenig zu tun hat: „Rienzi, der letzte der Tribunen“, 1842 in Dresden uraufgeführt, war Adolf Hitlers Liebling. Damit hat die Partitur für alle Zeiten ihren Stempel weg (schlimmer noch als beim „Lohengrin“ oder der „Lustigen Witwe“), und dass sie sich so gar nicht dagegen wehrt, ja wehren kann, sagt einiges über ihre mangelhafte Qualität. Ob David Pountney 1998 in Wien oder Katharina Wagner 2008 in Bremen: Keine jüngere Inszenierung, so es nach 1945 überhaupt welche gegeben hat, kommt ohne Faschismus-Revue aus, mal verkitschter, mal infantiler.

Auch Stölzl haut kräftig in diese Kerbe. Hitlers Berghof fürs erste Bild mit Hirschgeweih und Alpenpanorama, anschließend Reichskanzlei und Führerbunker, dazwischen ein bisschen „Metropolis“ und „Les Misérables“. Wenigstens die Nahtlosigkeit, mit der dieses Konzept aufgeht, hätte einen pfiffigen Kopf wie Stölzl irritieren müssen. Tut es aber nicht – und das ist die eigentliche Enttäuschung. Bei aller Professionalität, mit der hier gearbeitet wird (Ulrike Siegrist für die Bühne, Kathi Maurer und Ursula Kudrna für die Kostüme, fettFilm für die Videosequenzen): Opernregie ist eben doch ein anderes Fach, als Kinofilme („Nordwand“, „Goethe!“) oder Werbeclips zu drehen, zumal bei einer derart heiklen, halbgaren Vorlage. In der Oper ist oft aufschlussreich, was sich sperrt, der Rest, der bleibt und sich entblößt. Mit illustrativem Denken und totalitärem Design allein (Mussolinis Schwarzhemden, aber auch Stalinistisches) kommt man da nicht weit.

Was nicht nur am Stück liegt. „Rienzi“ sei Giacomo Meyerbeers „beste Oper“, spottete einst Hans von Bülow. Tableaus, Ballette, Prozessionen, vollbusige Arien, weitschweifige Ensembles – als wollte der junge Wagner den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, die von ihm so verhasste französische Grande Opéra mit eben dieser – aus eigener Feder. An die sechs Stunden dauert das Opus ungekürzt. Wenn Philipp Stölzl und der kurzfristig für Michail Jurowski eingesprungene Dirigent Sebastian Lang- Lessing sich daraus nun einen schlanken Dreistünder schnitzen (inklusive Pause!), dann ist das erstens nett und zweitens nicht unproblematisch. Denn wozu überhaupt „Rienzi“, wenn alles, was darin ästhetisch-proportional übel aufstoßen könnte, gestrichen wird?

Wagners große tragische Oper mag ein haltlos verquastes, höchst unverdauliches Machwerk sein, irgendwo zwischen Carl Maria von Weber und Hector Berlioz. Dem eingedenk setzt Stölzls Instant- Version radikal auf Action, feuert einen Knalleffekt nach dem anderen ab, statt sich je dem epischen Fluss der Musik anzuvertrauen. Vielleicht wäre es ehrlicher gewesen, sich die eigene Angst vor den besagten Resten einzugestehen und den „Rienzi“ für immer zu begraben. Selbst die Bayreuther Festspiele können sich bis heute nicht zu dieser „Jugendsünde“ ihres Meisters entschließen, mit Gründen.

Dennoch gibt es Momente an diesem teils heftig befehdeten Premierenabend an der Bismarckstraße, die lohnen. Die Ouvertüre zum Beispiel, einziges Prunkstück der Partitur, bekannt aus Funk und Fernsehen, ein überwältigend süffiges Perpetuum mobile: Wie Stölzl sein gut gepolstertes Rienzi-Double (Gernot Frischling) hier vor einem Trichter-Grammophon sukzessive völlig außer sich geraten lässt, Räder schlagend, auf Tische springend und am Ende mit wackeligen Beinchen zum veritablen Weltraumsimulatorenflug ansetzend, Musik als Allmachtsfantasie – das erinnert natürlich an Chaplins „Großen Diktator“ und darf es mit dem Zitat ruhig aufnehmen.

Oder Rienzis vermeintlicher Gnadenakt gegenüber den Adligen im zweiten Akt (was zwangsläufig wie eine Parodie auf den 20. Juli anmutet): Während man vorne Zeuge wird, wie der Tribun mit den Aufsässigen noch in die eilig herbeigekarrte Kamera grinst, verrät die Leinwand, was hinten und in Wahrheit geschieht. Ehe sein Führer sich’s versieht, schreitet das murrende Volk zur Selbstjustiz. Kopfschüsse, reihenweise. Krieg ist die Folge. Eine beklemmende Szene, auch weil sich hier für einmal die Mittel der Bühne mit denen der Live-Projektion sinnreich ergänzen.

An Rienzis Schicksal und Stölzls zu kurzem Griff ändert das wenig. Das Finale sieht den Diktator von den eigenen Leuten gemeuchelt, und ob er seine letzten Stunden nun wie Bruno Ganz in „Der Untergang“ am Stock und mit Parkinson-zittriger Hand verbringt, tut nicht viel zur Sache. Gravierender dürfte sein, dass Stölzl am Ende der Platz und die Luft ausgehen: Was wäre denn gewesen, so fragt man sich, wenn die Deutschen ihren Hitler tatsächlich beizeiten um die Ecke gebracht hätten? Ein kleines Schnipselchen nur von Stefan Herheims riesenmeilenstiefeligem Bayreuther „Parsifal“-Geschichtsbilderbogen, das hätte man sich hier gewünscht.

Die Liebesgeschichte um Rienzis drallblonde Schwester Irene (frisch und strahlend: Camilla Nylund) und den schmucken adeligen Colonna-Spross Adriano jedenfalls ist nicht dazu angetan, ein veritables Gegengewicht zu dem aufgefahrenen NS-Brimborium zu schaffen. Schade eigentlich, denn vor allem von Kate Aldrichs Adriano hätte man gern mehr gehört: ein schlanker, unerhört sauber geführter, leuchtender Mezzo, in der lyrischen Emphase ebenso zu Hause wie im dramatischen Ausbruch, immer fein nuanciert. Gegen ihre Bühnenpräsenz haben es die adeligen Herren (Ante Jerkunica als Vater Colonna, Krzysztof Szumanski als Paolo Orsisni) ein wenig schwer.

Überhaupt wird bemerkenswert musiziert. Der Chor (Einstudierung William Spaulding) leistet Großartiges, gerade im zweiten Teil, wenn sich die musikalischen Farben eindunkeln, das Geschehen sich bisweilen ins Piano duckt. Auch Sebastian Lang-Lessing im Graben macht seine Sache gut, lässt gleich in der Ouvertüre ein paar nagende Mittelstimmen an der Führer-Melodie kratzen – und das Orchester der Deutschen Oper folgt ihm gern. Gestalterisch fühlt er sich vielleicht noch nicht ganz frei, aber das ist bei diesem seltsamen Stück in dieser kruden Fassung eigentlich kein Wunder.

Wieder am 30.1. sowie am 7. und 10.2.

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