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Choreographin Pina Bausch gestorben

© dpa

Nachruf: Pina Bausch: Die Königin der Nacht

Tänzerin, Choreographin und Revolutionärin des modernen Tanzes – zum Tod von Pina Bausch.

Seit Joseph Beuys hat es wohl keinen Künstler und auch keine Künstlerin gegeben, in deren Werk sich die weltweite Ausstrahlung zugleich mit etwas so genuin Deutschem verband. Etwas, das sich weit über allem angeblich typisch teutonischen Tiefsinn in die Lüfte des Universellen erhob. Mit dem Wind und Flügelschlag des Genies. Pina Bausch, die in Solingen 1940 geborene Tänzerin und Choreographin, die ihre Wuppertaler Compagnie über 35 Jahre geleitet und zum berühmtesten Compagnie Theater der internationalen Tanzszene gemacht hat, sie war eine Königin.

Und ein vollkommen bescheidener, leiser, in der äußeren Anmutung zarter Mensch. Nie hätte man der fast mädchenhaft schmalen Frau angesehen, welche Energien, welche Feuer loderten in dieser Diva ohne Pomp und Prätention. Da sie Tiere und Tiervergleiche sehr gern hatte, konnte man denken: ein Adler in der Haut eines Schmetterlings. Darüber hätte sie gelacht. Pina Bausch, die anders als etwa Ariane Mnouchkine, die große Kollegin vom Schauspiel des Théâtre du Soleil, als Primadonna Assoluta nie eine Diktatorin war, ist von ihrem Ensemble geliebt worden, dass es für Außenstehende schon fast unheimlich erschien. Als gäbe es, ausgerechnet im Theater, auch noch Heilige.

Solch einen Hauch von Aura, von Überirdischem hat Pina Bausch immer entschieden abgelehnt. Deshalb brachte sie gerade das Irdische auf die Bühne, ließ ihre Tänzer in Erde treten, auf Dreck tanzen, sie holte das Leben in die bisher so keimfreien Zonen der Oper, des klassischen Balletts. Bausch hat den modernen Tanz revolutioniert, indem sie alle formalen Schranken ihrer Kunst durchbrach. Indem in ihren Choreographien die Bewegung oft auch innehielt. Indem kleine verbale Sketches gespielt wurden, mit Kalauern und Kabaretteinlagen. Indem das Dogma schöner, sehnig-sinnlicher Körper bei ihr auf dem Kehricht der Wirklichkeit landete und ihre manchmal normalmenschlich krummbeinigen, unideal eckigen oder rundlichen Protagonisten als Verkörperungen eines tanztheatralischen Verismus oder Neorealismus erschienen.

Dabei waren diese Mitspieler im Bausch-Universum, die statt Ballettanzügen auch mal Unterhosen, Nachthemden oder (komische) Badeanzüge trugen wahre Allroundkünstler. Tänzer, Sänger, Schauspieler – wie der kräftige Jan Minarik, die statiöse hochkomödiantische Mechthild Großmann (heute TV-Staatsanwältin) oder die elegante, oft anrührende Jo Ann Endicott. Sie alle verkörperten, von Pina Bausch inspiriert, gleichermaßen die Uridee des Wagnerschen „Gesamtkunstwerks“ aus Musik, Tanz und Schauspiel. Und sie zeigten statt der schönen Schemen des opernhaften Balletts oder der Show-Perfektion des amerikanischen Modern Dance die weinenden, lachenden, verrotzten oder aufgerissenen Gesichter von Menschen in all ihren dramatischen Widersprüchen. Zeigten, um mit Kleist zu sprechen, den ganzen „Schmutz und Glanz“ ihrer Seelen.

In Pina Bauschs Choreographien explodierte auch die expressionistisch-realistische Tradition des deutschen Ausdruckstanzes und ihrer Nachwirkungen etwa bei Mary Wigman. Mit 15 schon begann Pina Bausch ihr Studium an der Essener Folkwangschule unter der Leitung von Kurt Jooss, der klassisches Ballett und modernen Ausdruckstanz zu verbinden suchte. In den frühen 60er Jahren ging Bausch als Stipendiatin an die berühmte Juillard School in New York, tanzte dann unter anderem im Corps der Metropolitan Opera und kam zugleich mit den umwerfenden künstlerischen und politisch-gesellschaftlichen Strömungen der amerikanischen Popkultur in Berührung. Zurück in Deutschland und von da an wieder heimatnah in Wuppertal, sprengte sie schnell das gewohnte Repertoire.

Im Aufbruch inszenierte sie noch Tanzopern nach Glucks „Iphigenie auf Tauris“ und „Orpheus und Eurydike“, hatte erste überregionale Erfolge mit den „Sieben Todsünden“ nach der Musik von Kurt Weill und mit einer hochpersönlichen, von ihr selbst ebenso wie ihr legendäres „Café Müller“ getanzten Variation über Béla Bártoks „Blaubart“. Fürs „Café Müller“ benützte sie übrigens die barocke Musik Henry Purcells – das zeigte, wie souverän und überraschend sich Pina Bausch, die demokratische Diva, in Zeiten und Kulturen ohne vorwertende Abstufungen bewegte.

Etwas von diesem universellen Geist hat dann die ganze, tanzende Welt bewegt. Zu Hause, beim klammen Stadtkämmerer und der lokalen Kulturpolitik war das Wuppertaler Tanztheater noch umstritten, da wallfahrte schon die Tanzwelt zu jeder neuen Bausch-Premiere. Auch die Schauspiel-Kritiker kamen, denn Pina Bausch war einfach: totales, ursprüngliches Theater (das auch genre-übergreifend zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde). Gleichzeitig avancierten Bausch Choreographien zu Deutschlands kulturellen Exportschlagern. Und ob in Kalkutta oder Rio, nach einem Pina-Bausch-Gastspiel war dort, wir haben es erlebt, die Tanztheaterwelt nicht mehr die gleiche wie zuvor. Sie hat ausgestrahlt, geprägt, verändert, Spuren gelegt.

Oft waren ihre neuen Stücke bei der Premiere noch unbenannt. Doch ob sie später dann „Kontakthof“, „Arien“ oder „Palermo Palermo“ hießen oder, wie vor kaum zwei Wochen bei ihrer letzten Wuppertaler Premiere, namenlos waren, sie haben „zwischen dem Ich und dem Wir eine Brücke geschlagen“. So rühmte sie der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy, als Pina Bausch 1997 den Berliner Theaterpreis erhielt.

Jetzt ist sie, kurz vor ihrem 69. Geburtstag, an Krebs gestorben, wie einst ihr Bühnenbildner und Lebenspartner Rolf Borzik. Auch wenn es Fernsehaufzeichnungen gibt und manche Choreographien noch lange gespielt und getanzt werden, bleibt ihr eigenes Bild wohl am schönsten bewahrt im Kino. Einer von Pina Bauschs großen Fans war Federico Fellini, und er hat ihr 1983 mit seinem märchenhaften Film „E la nave va“ ein Denkmal gesetzt. Pina Bausch war darin eine geheimnisvolle Principessa, eine Fürstin der Nacht, der in einem Boot, allein auf dem Meer der Fantasie, das Schlussbild gehörte.

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